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Weil es da ist: Investieren in Lateinamerika

Von Konstanze Walther

Wirtschaft

Der Kontinent lockt internationale Investoren aus verschiedenen Gründen an. Die einen kommen wegen der Nähe zu den USA, die anderen wegen der Rohstoffe. Und manche wegen der Infrastruktur-Projekte.


Wien/Mexiko-Stadt/Brasilia. Hört man den Rednern auf dem dieswöchigen Lateinamerika-Tag der Wirtschaftskammer Österreich zu, wird man unweigerlich an das Zitat des Mount-Everest-Besteigers George Leigh Mallory erinnert: Warum in Lateinamerika investieren? Weil es da ist. Und 650 Millionen Einwohner hat.

So beschwört etwa Alexander Busch, Lateinamerika-Korrespondent unter anderem beim Handelsblatt, immer wieder: "Sie dürfen Lateinamerika nicht links liegen lassen" - trotz der größer gewordenen politischen Risiken. Denn, auch er gibt unumwunden zu: "Lateinamerika hat zehn sehr gute Jahre erlebt, und steht jetzt vor Herausforderungen." Prognosen, wohin die Reise geht, seien so schwierig wie noch nie.

In Mexiko und Brasilien sind Populisten frisch an die Macht gekommen, Venezuela erlebt eine noch nie dagewesene Krise, und Kolumbien muss seinen neu gefundenen Frieden nach 50 Jahren Bürgerkrieg mit der Guerilla-Organisation Farc erst einmal in die Normalität finden. Wie schwer sich das Land mit dem Vakuum, dass die Farc hinterlassen hat, tut, zeigt die traurige und stetig wachsende Liste an ermordeten Gewerkschaftsmitarbeitern und Menschenrechtsaktivisten in Kolumbien - die Kriminalität steigt an.

Busch teilt Lateinamerika in zwei Bereiche ein. Da gibt es das Lateinamerika nördlich des Panama-Kanals, dort dominiert Mexiko, dort dominieren die USA. Es ist eine Region, die in die globale industrielle Wirtschaftskette eingebunden ist. "In Mexiko gibt es Inseln der Hochtechnologie, die ausschließlich für den Export arbeiten. Ein Autoteil überquert oft achtmal die Grenze mit den USA, bis das Auto schließlich in Europa oder den USA verkauft wird", erklärt Busch.

Rohstoffe als Motor

Südlich des Panama-Kanals sieht es anders aus. Die Märkte sind abgeschottet mittels Zöllen und Gebühren. "Südamerika ist eine abschreckende Region, wenn man sich den Doing-Business-Report der Weltbank ansieht. Davon ist nur Chile ausgenommen", gibt Busch zu. Trotzdem kann man Südamerika aufgrund seiner Größe nicht vernachlässigen. Sogar im absoluten Krisenland Venzuela mache die Hälfte der im deutschen Dax notierten Konzerne bis heute noch Geschäfte.

Das Erdölland Venezuela ist ein eminenter Vertreter des anderen Lateinamerikas, südlich des Panama-Kanals, dort, wo die Extraktion von Rohstoffe bis heute die wirtschaftliche Hauptader ist. Dazu zählen Agrarrohstoffe genauso wie Öl, Gas, Eisenerze, Kupfer, um nur einige zu nennen.

Das ist einer der Gründe, weshalb Südamerika in den 2000er Jahren extrem erfolgreich war, mit einem ständigen Wachstum von um die vier Prozent. Die Rohstoffpreise explodierten. In vielen Ländern waren zudem Regierungen an der Macht, die die Mehreinnahmen in Sozialprogramme investierten und eine gewisse gesellschaftliche Umverteilung vornahmen.

"In dieser Zeit ist es gelungen, dass Lateinamerika erstmals ein Mittelschichtskontinent geworden ist", meint Busch. "Das ist vielleicht keine Mittelschicht, die mit Europa vergleichbar ist. Es ist aber eine Mittelschicht, die sich dadurch auszeichnet, dass zum ersten Mal die Mehrheit der Marktteilnehmer in der Lage war, über den Tag hinauszudenken." Das hätte immense Auswirkungen auf die Wertschöpfungsketten gehabt, wenn plötzlich in Versicherungen, Bildung, Konsum investiert werden konnte.

Mit der globalen Wirtschaftskrise blieb die Nachfrage nach Energie und Baumaterialen aus - die Preise sackten in den Keller.

"Die Speisekammer der Welt"

Das größte Land Lateinamerikas, Brasilien, hat sich etwa bis heute nicht von der Krise erholt, die Arbeitslosigkeit ist weiterhin hoch. Ob die Reformen des brasilianischen Wirtschaftsministers Paulo Guedes, die eher auf einen Sparkurs hinauslaufen, daran etwas ändern werden, wird sich zeigen.

"Man muss als Investor natürlich wissen, ob es einem wichtig ist, dass die Konjunktur im Land generell gut läuft", erklärt der Wirtschaftsdelegierte in Brasilien, Klaus Hofstadler. Unternehmen, die in der Agro-Industrie oder im Bergbau investiert sind, bleiben von den Krisen fast unberührt. "Brasilien ist die Speisekammer der Welt. China kann ohne die brasilianische Nahrungsmittelindustrie nicht existieren. Und so lange Handys gebraucht werden, werden Eisenerze gebraucht.

Laut Busch sei es inzwischen normal, dass chinesische Korrespondenten alle Lokalpolitiker in abgelegenen Dörfern kennen. In Chinas Universitäten seien die Säle bei Vorlesungen über brasilianische Innenpolitik berstend voll.

Der Wirtschaftsdelegierte in Kolumbien, Hans-Jörg Hörtnagl, wirbt für Infrastrukturprojekte in Kolumbien. Ein Drittel der Landfläche wurde früher von der Farc-Guerilla kontrolliert. Diese wird nun erschlossen. In den nächsten 20 Jahren werden 61 Milliarden Dollar in Infrastruktur gesteckt werden, 8000 Kilometer Straßen sollen errichtet werden. Auch ein U-Bahn-Projekt in der 10-Millionen-Stadt Bogotá sei in der Entwicklung.

Friedrich Steinecker, Delegierter in Mexiko-Stadt, gibt sich übrigens trotz aller Drohungen des US-Präsidents Richtung Süden betont gelassen. "Mexiko liegt vor der Haustür des größten Konsummarkt der Welt", so Steinecker. Und Mexiko habe noch immer Produktionsbedingungen, "die nicht zu übertreffen sind". Das sieht konkret so aus: "Wir sind jetzt in Mexiko bei einem Mindestlohn von ungefähr acht Dollar pro Tag. Im neuen USA-Mexiko-Kanada-Abkommen ist festgeschrieben, dass 40 Prozent der Autoteile aus Ländern kommen müssen, wo der Stundenlohn 16 Dollar beträgt, so wie in Kanada. Also, es ist ein weiter Weg, bis Mexiko an Konkurrenzfähigkeit verlieren könnte", meint Steinecker.