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Auf der Uberholspur

Von Bernd Vasari

Wirtschaft

Jobabbau in den Autohäusern, offene Stellen bei Technologiekonzernen. In Wien werden die ersten Auswirkungen der Mobilitätswende nun spürbar.


Miami/Wien. In Miamis Hipsterviertel Wynwood glüht der Asphalt. Schweißgebadet versucht Samantha, ein Taxi zu rufen. Vergeblich. Es gibt keine Taxis mehr. Sie wurden von Uber verdrängt.

In Wiens Außenbezirk Aspern pfeift der Wind. Mit hängendem Kopf verlässt Herbert die Fabrik. Er hat keine Arbeit mehr. Er wurde von Opel gekündigt.

Samantha und Herbert. Zwei unterschiedliche Geschichten von zwei Personen auf zwei Kontinenten. Und dennoch hängen sie unmittelbar zusammen.

Die Taxifahrer in Wynwood gehörten zu den Ersten, die den rasanten Aufstieg des digitalen Fahrdienstleisters Uber spürten. Gegen die Billigpreise des mit Investoren-Milliarden unterfütterten Unternehmens waren sie chancenlos. Doch die Taxifahrer sind nur ein Kollateralschaden auf dem Weg zum eigentlichen Ziel von Uber: der Revolution auf der Straße.

Schon jetzt ist für die Abwicklung einer Uber-Fahrt nur ein Smartphone notwendig. Eine App zeigt bereits vor der Fahrt die Strecke, die Fahrzeit und den Fahrpreis an. Künftig soll es auch keinen Fahrer mehr geben. Mit selbstfahrenden Autos würde Uber das Geschäft mit dem Privat-Pkw torpedieren.

Ein Auto, das nicht selbst einparkt, wird zum Ladenhüter

Dass dieses Ziel mehr als nur ein Hirngespinst eines größenwahnsinnigen Silicon-Valley-Start-ups ist, spüren nun auch die konventionellen Autobauer. Der Kampf ums Überleben hat begonnen. Um mitzuhalten, stecken sie Milliarden in die Entwicklung. Ein Auto, das nicht selbst einparkt, im Stau nicht die Spur hält, wird zum Ladenhüter.

Wie hoch der Druck auf die Autoindustrie ist, zeigt etwa die Kooperation der beiden Erzrivalen BMW und Daimler. Eine vor kurzem noch unvorstellbare Konstellation, in etwa so, als würden Real Madrid und FC Barcelona gemeinsam ein Team bilden. Die beiden Autokonzerne bieten über das Joint Venture "Share Now" Carsharing an, entwickeln Robotertechniken. Im Raum steht auch eine Zusammenarbeit beim Bau von Autos. Die Verhandlungen laufen.

Um sich die milliardenschweren Entwicklungen leisten zu können, legt die Autoindustrie massive Sparprogramme auf. Betroffen sind vor allem die Mitarbeiter. Damit ist die von Uber ausgelöste Dynamik auch in Wien angekommen.

Seit knapp 40 Jahren wurde jedes zweite Getriebe und jeder dritte Motor eines Opels in Aspern hergestellt. In Hochzeiten beschäftigte das Werk bis zu 2200 Mitarbeiter. Vor kurzem wurde ein Drittel der Belegschaft gekündigt. 1600 Händler verloren ihre Verträge, darunter 46 Händler in Österreich mit über 100 Standorten.

Das Wiener Opel-Werk entlässt ein Drittel seiner Mitarbeiter. Im Bild: Warnstreik der Belegschaft.
© PRO-GE

Von Kündigungen betroffen sind auch die Mitarbeiter des Wiener Standortes von Autohersteller Ford. Die Hälfte wird ihren Job verlieren. Ford-Geschäftsführer James Hackett kündigte an, die Kosten des Konzerns bis zum Jahr 2022 um etwa 25 Milliarden Dollar zu senken.

Volkswagen und Fordwollen zusammenarbeiten

Gleichzeitig setzt das Unternehmen vermehrt auf emissionsfreie Pkw. So sollen 11 Milliarden Dollar in 24 neue Hybridmodelle und 16 Elektroauto-Typen investiert werden. Eine Kooperation mit Volkswagen wird angestrebt. Eine Allianz soll auch für die gemeinsame Entwicklung von selbstfahrenden Autos aufgebaut werden.

Doch die Bundeshauptstadt ist nicht nur ein Beispiel für verlorene Arbeitsplätze im Bereich Mobilität. Während Sozialpläne für die entlassenen Ford- und Opel-Mitarbeiter verhandelt werden, sind die Auftragsbücher von Unternehmen voll, die nicht auf die Herstellung von Privatautos setzen, sondern auf shared mobility (geteilte Mobilität). Dazu gehören neben selbstfahrenden Uber-Taxis und Carsharing auch öffentliche Verkehrsmittel.

Von Schweißgeräten sprühen Funken durch die Luft, überdimensionale Kräne befördern Stahlskelette, Arbeiter mit Schutzbrillen und Sicherheitsschuhen hämmern mit lauten Schlägen auf Metall. Etwa 1300 Menschen arbeiten hier, so viele wie noch nie in der 180-jährigen Geschichte des Simmeringer Siemens-Werks in der Leberstraße 34. Anders als die Wiener Opel- und Ford-Standorte gehört es zu den Gewinnern der Mobilitätswende. In den großflächigen Hallen entstehen dutzende Garnituren, die einmal als Metros in Den Haag, Riad, Bangkok oder Nürnberg fahren werden.

Wie bei den Pkw geht auch bei den Öffis der Trend in Richtung fahrerlos. So testet Siemens mit den Wiener Linien einen selbstfahrenden Bus in Aspern. Wie es der Zufall so will, dreht der Bus seine Runden ausgerechnet vor dem Opelwerk. Der Bus soll in ein paar Wochen, am 6. Juni, im Testbetrieb eingesetzt werden und zehn Haltestellen anfahren. Auch die derzeit in Bau befindliche U-Bahnlinie U5 wird von Siemens gefertigt und ohne Fahrer in fünf Jahren in Betrieb gehen.

© Wiener Linien / Helmer

Doch es gibt auch bei Siemens Probleme beim Thema Mitarbeiter. Im Gegensatz zu Opel oder Ford müssen sie jedoch nicht gekündigt werden, sondern werden händeringend gesucht. "Es ist aktuell schwierig, sehr gute Facharbeiter wie zum Beispiel Schweißer zu finden", sagt Andreas Schwendemann, Vertriebsleiter der Sparte Nahverkehr. Auch die Suche nach Ingenieuren, Mechanikern und Technikern ist alles andere als einfach.

Roboter stillen Bedarf an Arbeitskräften

Um den Bedarf an Arbeitskräften zu stillen, setzt das Unternehmen auf Automatisierung innerhalb des Betriebs. Schwendemann zeigt auf Lasermesseinrichtungen, Luftkissen, auf denen die Waggons durch die Halle transportiert werden. "Lange Schweißnähte werden von einem Roboter genäht", erklärt er. "Nur dort, wo der Roboter schlecht hinkommt, wird von Hand gearbeitet."

Neben Siemens profitiert das Wiener Straßenbahn-Werk des Technologiekonzerns Bombardier von der Mobilitätswende. Rund 550 Mitarbeiter sind in dem Kagraner Werk beschäftigt. Nach einer kurzzeitigen Krise ist der Standort wieder voll ausgelastet. Gefertigt werden derzeit Garnituren für Wien, Innsbruck, Zürich und Göteborg. Bald starten auch die Produktionen für Brüssel, Manchester und Karlsruhe. Genauso wie Siemens sucht auch Bombardier neue Mitarbeiter.

Christian Diewald, Geschäftsführer von Bombardier Österreich, sagt: "Wachsende Ballungszentren und dichtere Verkehrsaufkommen verlangen nach Mobilität, die effizient ist und gleichzeitig umweltfreundlich. Die Nachfrage nach Straßenbahnen im urbanen Raum steigt merkbar." Die Mobilitätswende auf der Straße bestätigt er. "Wir sehen, dass nachhaltige Mobilitätslösungen für die Bevölkerung wichtiger werden. Die jüngere Generation verzichtet mehr und mehr auf ein eigenes Auto."

Volle Auftragsbücher beim Simmeringer Werk von Siemens.
© Siemens

Der Geschäftsführer spricht einen generellen Wandel in Städten an. Durch die Landflucht in urbane Zentren gibt es immer weniger Platz auf den ohnehin schon staugeplagten Straßen. Ein Smartphone erscheint heute wichtiger als der Besitz eines eigenen Autos. Auch die Luftqualität wird zum Politikum, die hohen Abgaswerte von Diesel und Benziner stehen mittlerweile am Pranger.

Mit Digitalisierung, Autonomem Fahren und Elektroantrieb gibt es drei neue Mobilitätskonzepte, die einen neuen Markt eröffnen. Wer sich hier durchsetzt, wird die Mobilität der Zukunft mitbestimmen. Um weiter zu expandieren, sind jedoch jede Menge frisches Geld notwendig.

Zuletzt kündigte Siemens an, seine florierende Bahnsparte an die Börse zu bringen, dorthin, wo sich Uber seit kurzem bereits befindet. Der Andrang an der Wall Street war groß, die Erwartungen hoch. Mit einem riesigen Firmenplakat empfing die New Yorker Börse den digitalen Fahrdienst am Freitag vor einer Woche. Mit 82 Milliarden Dollar wurde Uber bewertet, der Wert lag damit über jenem von Europas potentestem Autokonzern Volkswagen.

Uber kann hohe Erwartungen nicht erfüllen

Die hohen Erwartungen wurden zwar nicht erfüllt, Uber wird mit einem Wert von 72 Milliarden Dollar gehandelt. Doch auch das 516 Milliarden Dollar schwere Facebook konnte bei seinem Börsengang vor sieben Jahren nicht sofort die Erwartungen erfüllen. Uber-Chef Dara Khosrowshahi: "Und schauen Sie, wie sie sich seitdem entwickelt haben." Uber werde denselben Weg einschlagen. "Wir verfügen nun über das Kapital, um den Weg zu besseren Margen und Gewinnen einzuschlagen", schreibt er in einem Mail an seine Mitarbeiter, das Bloomberg vorliegt.

In Miamis Hipsterviertel Wynwood glüht der Asphalt. Samantha hat ihren Versuch, ein Taxi zu rufen, aufgegeben. Ihr Smartphone ist kaputt, sie wird sich ein Fahrrad ausborgen.

In Wiens Außenbezirk Aspern pfeift der Wind. Herbert lächelt, als der selbstfahrende Bus der Wiener Linien an ihm vorbeifährt. Die Hälfte der gekündigten Angestellten des Opel-Werks übernimmt der städtische Öffi-Anbieter. Herbert ist einer von ihnen. Er wird künftig in der Fahrzeugtechnik arbeiten. Aber nicht mehr an Privatautos, sondern an Bussen, Straßenbahnen und U-Bahnen, die jeder benutzen kann.