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"Die USA ziehen China den Stecker"

Von Konstanze Walther

Wirtschaft

Bestsellerautor Dirk Müller beobachtet die chinesische Blase schon lange mit Sorge. Mit dem Handelskonflikt scheint das Platzen in Reichweite, das auf dem ganzen Erdball zu spüren sein wird. Donald Trump sichere unterdessen die USA ab.


"Wiener Zeitung": Sie sagen seit geraumer Zeit, die Welt stehe vor der größten Wirtschaftskrise aller Zeiten. Wie groß ist diese größte Krise?

Dirk Müller: Die größte Wirtschaftskrise heißt nicht, dass wir hungernde Horden durch Wien laufen sehen. Aber es wird zum ersten Mal eine sein, die wirklich rund um den Globus geht. In der Vergangenheit hatten wir nur regionale Wirtschaftskrisen.

Bei der jüngsten großen Wirtschaftskrise 2007 waren vor allem die USA und Europa betroffen.

Genau, bei der nächsten Krise wird Asien mit dabei sein. Nicht nur das: Auslöser für die Krise wird China sein. Seit Jahren trommle ich, dass China die größte Blase der Weltwirtschaft ist. Und die Amerikaner werden China den Stecker ziehen.

Der Handelsstreit zwischen den USA und China scheint zwar zu eskalieren. Aber viele sagen, dass sich die USA damit ins eigene Fleisch schneiden und daher einlenken werden.

Die meisten dieser Experten kommen aus der Wirtschaft, sind oft etwas selbstherrlich und sehen die Wirtschaft als oberste Handlungsmaxime. Sie übersehen dabei eine Ebene, die seit Menschengedenken immer alles dominiert hat: die der Macht.

Wo fängt der Kollaps in China an? Mit dem Wegfall der Nachfrage aus den USA? Oder mit dem Platzen der Immobilienblase in China?

Es wird alles zusammenbrechen, die komplette chinesische Wirtschaft. Ich vergleiche China oft mit dem Goldrausch in Alaska. Dort sind Hunderttausende hingezogen und haben ihr Geld mitgebracht. Es wurde losgelegt, investiert und gebaut. Da haben alle zuerst von dem Geld gelebt, das von außen kam, nicht von dem Gold. Als der Zuzug aufhörte, nahm das Schicksal seinen Lauf.

Woran erkennt man die Blase in China?

Es gibt dort seit 40 Jahren einen Boom ohne jegliche Preiskorrektur. In den Geisterstädten Chinas sind 50 bis 60 Millionen leerstehende Wohneinheiten gebaut worden. Es gibt Autobahnen ohne Autos, Flughäfen ohne Flugzeuge. Nur weil es 40 Jahre funktioniert hat, heißt es nicht, dass es normal und gut ist.

Aber China versucht, kontrolliert die Luft herauszunehmen und im einstelligen Bereich zu wachsen.

Wenn die Chinesen könnten, hätten sie weiter 15 Prozent. Aber es geht nicht, weil es ein Schneeball-System ist. Wie bei dem Goldrausch. Im Westen haben wir für Investoren Zinsen von 2 bis 3 Prozent gehabt. Jeder konnte sein Geld nehmen, in China in Renminbi umtauschen und loslegen: Immobilien-Beteiligungen, Unternehmensbeteiligungen, das spielte keine Rolle, das Wachstum war immer zweistellig, rund 15 Prozent. Was kann ich kaufen? Vollkommen egal! Alles steigt! Aber verantwortlich dafür war das zuschießende Geld. Und jetzt ist das Kartenhaus zu groß, dass gar nicht mehr genug neues Geld nachkommen kann, um es in dem Tempo aufrechtzuerhalten.

Noch wächst China mit 6,5 Prozent.

Offiziell. Wir wissen seit Jahren, dass die chinesischen Zahlen nicht stimmen. Auch die 15 Prozent haben nicht gestimmt. Das spielte aber keine Rolle, es war Boom, da macht man bei zehn oder zwanzig Prozent keinen Unterschied. Aber ob es sechs Prozent oder nur zwei sind, macht einen Unterschied. Noch dazu, wenn das die Investoren sehen: Es geht nicht mehr nach oben, es geht nach unten. Es kommt nicht nur kein neues Geld herein, es wird das alte abgezogen.

Wie zieht man Geld ab, in einem Land, das Kapitalverkehrskontrollen hat? Das Geld hineinlässt, aber nur ungern wieder nach außen lässt?

Man kann befreundete Firmen in Hongkong Scheinrechnungen ausstellen lassen, die haben dort ein Sonderstatut. Da macht die erbrachte Leistung dann zehn Millionen Dollar statt einer Million aus. Und ein gewaltiger Brocken landet dann in London am Konto. Seit 2016 haben sich die "Exporte" aus Hongkong mehrmals verdoppelt.

Eine weitere beliebte Möglichkeit ist das Aufkaufen von Unternehmen im Ausland. Chinesische Unternehmen dürfen nur maximal 50.000 Dollar im Jahr ins Ausland bringen. Aber sie bekommen Sondergenehmigungen, wenn sie ein ausländisches Unternehmen übernehmen, an dessen Technologie die Zentralregierung Interesse hat. Das war der Grund für die vielen chinesischen Aufkäufe der letzten Jahre im Ausland. Hauptsache, das Geld bleibt nicht zuhause.

In welchem Zeitraum wird China krachen?

Das weiß ich nicht. Es ist so wie bei tektonischen Platten. Man kann zwar die Spannungen messen, aber nicht sagen, wann das Beben kommt. Die USA scheinen aber aktuell gerade sehr an dem Auslösen interessiert zu sein.

Der Zollstreit zwischen den USA und China ist nicht nur ein Kräftemessen in Handels- und Wettbewerbsfragen?

Es ist kein Kräftemessen, es geht um Macht auf dem eurasischen Kontinent. Seit dem Zweiten Weltkrieg sind die Amerikaner nicht mehr aus Europa verschwunden. Das Buch des ehemaligen Beraters der US-Präsidenten, "Das große Schachbrett" von Zbigniew Brzezinski, handelt von nichts anderem als dem US-amerikanischen Anspruch in Eurasien. Und die oberste US-Doktrin muss sein, sich hier nicht mehr vertreiben zu lassen und dafür zu sorgen, dass keine andere Macht groß wird. Die USA haben auch China in den 1970er Jahren groß gemacht, um ein Bollwerk gegen Russland zu haben.

Russland hat seinen Weltmachtsanspruch verloren, China ist nun die aufstrebende Macht.

Die USA haben sich das so lange angeschaut, solange es hilfreich war. Jetzt, wo China zur Gefahr wird, werden sie dem Lehrling die Ohrfeige verpassen.

Jetzt scheint aber gerade Donald Trump nicht in der Tradition der Geostrategen zu stehen.

Dabei ist es schlichtweg genial, was Trump tut. Sämtliche Medien wurden mit Informationen gefüttert, dass er ein Irrer ist. Das hätte schon stutzig machen können. Ich glaube: Er sollte oder wollte so dargestellt werden. Niemand wird in den USA Präsident, ohne dass eine große Gruppierung hinter ihm steht. Die wollen, dass Trump genau das Spiel spielt und die alte "Madman Theory" wieder zu Leben erweckt. Die wurde schon unter US-Präsident Richard Nixon perfekt umgesetzt: Man stellt den Machthaber als unberechenbar dar und schreckt so seine Feinde ab. Weil man nur bei rationalen Spielern die Spielzüge abschätzen kann. Bei Nixon streute der Geheimdienst das Gerücht, dass seine Berater keinen Einfluss mehr auf ihn haben. Hinterher hat sich herausgestellt, es war ein Bluff. Und Trump wird als Karikatur eines Präsidenten dargestellt. Aber kein Staatschef dieser Welt weiß, was macht Trump als Nächstes? Er ist der, das Spiel dominiert.

Welche Auswirkungen hat das auf den Konflikt mit China?

Angenommen, Trump bereitet sich auf einen Handelskrieg vor. Wenn er Peking in die Knie zwingen will, hat er bereits seit Amtsantritt 2017 sehr stringente Aktionen geleistet, um mobilzumachen. Er hat als Allererstes eine Sonderregelung erlassen, dass die amerikanischen Auslandsgewinne in Billionen-Größe steuerfrei nach Hause geholt werden. Die US-Konzerne wussten gar nicht, wohin mit dem Geld. Parallel wurden die Steuersätze radikal gesenkt, vollkommen ohne Not. Und er hat auf alle Konzerne eingewirkt, möglichst viel Produktion ins Land zu verlagern. Er hat die Schotten dichtgemacht.

Trotzdem werden die USA den Niedergang Chinas spüren.

Ja, für die Amerikaner heißt es, sie werden danach zwei, drei Jahre Wirtschaftskrise haben. Da müssen sie eben durch. Denn ihre Rechnung ist, dass sie dafür nachher wieder auf Jahrzehnte Weltmacht Nummer eins sind und China auf seinen Platz verwiesen haben.

Zur Person: Dirk Müller
wurde von deutschen Medien zum "Mr. DAX" geadelt. Er ist Finanzexperte, Politikberater, Senator der Wirtschaft Deutschlands und mehrfacher Spiegel-Bestseller-Autor. In seinem aktuellen Buch, "Machtbeben" beschäftigt er sich mit den geopolitischen Verschiebungen. Müller war auf Einladung von Kreditversicherer Coface in Wien.