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"Wir machen uns zu viele Gedanken über Staatsschulden, aber zu wenig über Arbeitslosigkeit"

Von Thomas Seifert

Wirtschaft
© Thomas Seifert

Der US-Ökonom Warren Mosler gilt als Vater der Modernen Geldtheorie. Diese kommt den US-Linken von Alexandra Ocasio-Cortez bis hin zu Bernie Sanders im beginnenden Wahlkampf gerade recht.


"Wiener Zeitung": Sie gelten als Vater der Modernen Geldtheorie (Modern Monetary Theory). Können Sie Ihre Ideen in ein paar Sätzen erklären?

Warren Mosler: Staaten, die eine eigene Währung haben, geben Geld aus und kassieren erst danach Steuern. Politiker sagen aber immer, dass es genau andersherum ist. Sie sagen, dass sie Steuern einheben müssen, um es ausgeben zu können. Oder sie sagen, sie müssen es ausborgen. Aber wie gesagt, so läuft das nicht. Denken Sie an ein Fußballspiel oder ein Popkonzert: Jeder weiß, dass das Stadion nicht zuerst die Tickets der Besucher einsammelt und entwertet und sie danach erst verkauft. Die Tickets werden natürlich zuerst verkauft und dann bei der Eintrittsbarriere wieder eingesammelt. Beim Geld ist es genauso: All die Dollars, mit denen die Menschen ihre Steuern zahlen, kommen von der Federal Reserve. Und die Euros, mit denen die Europäer ihre Steuern zahlen, kommen von der Europäischen Zentralbank. Wenn aber alles Geld, das im Umlauf ist, von der Notenbank kommt, wie soll einem Staat dann das Geld ausgehen?

Aber . . .

Die Skepsis kenne ich. Ich war mit meiner Frau vor ein paar Jahren in Pompeji. Unsere Reiseführer hat uns Münzen gezeigt, die gefunden wurden. Er sagte zu uns: "Schaut euch einmal diese Münzen an! Man hat hier in Pompeji solche Münzen als Steuer eingehoben und dann die Menschen bezahlt, um die Aquädukte zu bauen und instandzuhalten oder um für die öffentliche Sicherheit zu sorgen." Darauf sagte ich: "Nein, ich glaube, dass der Kaiser mit diesem Münzen zuerst einmal jemanden bezahlt hat, und dann hat man wieder Steuer eingehoben." Naja, geglaubt hat mir das unser Reiseführer nicht. Aber ich bin sicher, dass jeder in Pompeij bis zum tragischen Ende der Stadt im Jahr 79 gewusst hat, dass das so ist.

Was ist Ihrer Theorie zufolge die Aufgabe von Steuern?

Sobald Steuern eingehoben werden, braucht jeder diese Münzen, um seine Steuerschuld zu begleichen. Also begeben sich die Menschen auf die Suche nach Arbeit. Es geht nicht einfach darum, Geld einzusammeln. Es geht darum, dass man die Leute dazu bringt, dass sie Geld brauchen. Und um dieses Geld zu verdienen, arbeiten sie dann - etwa in der Armee, in einem Bautrupp oder bei der Polizei. Sobald Geld in Umlauf gebracht wird, suchen die Menschen sich bezahlte Arbeit. Leider machen wir uns zu viele Gedanken über Inflation, aber nicht genügend Gedanken über Arbeitslosigkeit.

Gegner der modernen Geldtheorie kritisieren, dass Sie es sich mit dem Gelddrucken recht einfach machen. Wenn der Staat welches braucht, soll er einfach welches drucken.

Das sagen wir aber nicht. Was wir sagen, ist: Die Regierung muss zuerst Geld ausgeben, bevor sie es als Steuern wieder einsammeln kann. Aus diesem Grund glauben wir auch nicht, dass der Staat daran schuld ist, wenn die Zinsen hinaufgehen, oder dass der Staat private Investitionen aus dem Markt drängt. Eine Währung ist ein öffentliches Monopol. Wir stellen auch die Frage nach dem Ursprung des Werts einer Währung. Die klassischen Ökonomen geben Ihnen alle möglichen Erklärungen, woher sich der Wert einer Währung ableiten lässt.

Und wie lautet Ihre Antwort?

Gehen wir noch einmal zurück nach Pompeji: Sagen wir, ein Soldat der Legion bekommt eine Münze pro Tag. Nun gibt es einen Bauern, der dem Legionär Getreide verkauft. Nehmen wir an, dass der Legionär für eine Münze, die er für seine Arbeit an einem Tag bekommen hat, vom Bauern zehn Löffel Getreide kaufen kann. Die Münze ist also nun einen Tag Arbeit als Legionär und zehn Löffel Getreide wert. Und das wird sich auch nicht ändern, es sei denn, die Getreideernte ist katastrophal. Wenn nun der Kaiser plötzlich dem Legionär zwei Münzen statt nur einer gibt, dann sagt der Bauer, der natürlich mitbekommt, dass das Imperium das Gehalt der Legionäre verdoppelt hat: "Ich verkaufe dir jetzt für eine deiner Münzen nur noch fünf Löffel Getreide." Der römische Kaiser hat plötzlich 100 Prozent Inflation geschaffen - er zahlt ja jetzt doppelt so viel für die gleiche Arbeit.

Was ich damit sagen will: Der Kaiser, der Senat, die Premierministerin oder die Präsidentin ist jener wirtschaftliche Akteur, der letztlich die Kontrolle über Preise und Gehälter hat. Jedes Mal, wenn eine Regierung beschließt, einem Soldaten nicht mehr 30.000 Euro, sondern 33.000 Euro pro Jahr zu bezahlen, dann passiert, was passieren muss: Das Gehalt des Soldaten ist zwar gestiegen, aber gleichzeitig kann er mit diesem Geld um 10 Prozent weniger kaufen.

Unterschätzen Sie nicht die Macht der Notenbanken und ihrer Zinsentscheidungen?

Gegenbeispiel Japan: Dort sind die Zinsen nun schon seit 30 Jahren auf einem tiefen Stand, gleichzeitig hat die Notenbank jede Menge Anleihen aus dem Markt gekauft. Gleichzeitig haben alle die Bedeutung der Staatsschulden überschätzt. Die Staatsschulden liegen bei 253 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes. Dennoch hat Japan kein Problem, seine Schulden zu finanzieren, die Zinsen sind niedrig. In der Türkei liegt der Schuldenstand nur bei 25 Prozent der Wirtschaftsleistung, das Land muss hohe Zinsen für seine Staatsanleihen anbieten. Ich frage Sie: Kann es sein, dass diese höheren Zinsen andere Gründe haben als den Schuldenstand?

Zu hohe Staatsschulden und Inflation - alles kein Problem?

So einfach ist es auch wieder nicht. Aber es gibt seit Jahren kein Inflationsproblem. Im Gegenteil, die EZB hätte gerne höhere Inflationsraten. Erlauben Sie mir einen kleinen Scherz: Die Europäer haben einen Italiener an die Spitze der EZB gesetzt und nicht mal Mario Draghi gelingt es, Inflation herbeizuführen. Das ist doch eine Schande für Italien (lacht)!

Sie haben nun das Ohr vieler linker US-Politiker. Fühlen Sie sich von denen richtig verstanden?

Ja, weil ich selbst mich als Progressiven verstehe. Aber sie missverstehen auch einige Dinge. Wenn man zum Beispiel die Steuern der Unternehmen erhöht, dann erhöhen die Unternehmen einfach die Preise. Was ich auf jeden Fall sagen kann: Ich bin kein Unterstützer von Donald Trump. Er hat auch keine Ahnung, was er mit seinen Zöllen anrichtet. Importe sind ein Gewinn für eine Volkswirtschaft, Exporte sind Kosten für eine Volkswirtschaft.

Auf die Spitze getrieben: Nehmen wir an, wir haben eine Exportquote von 100 Prozent. Was passiert dann? Dann verhungern wir, weil wir all das Soja, all den Mais, all die Schweine und Rinder exportiert haben. Was die Demokraten aber verstanden haben, ist: Es gibt wichtige, notwendige Investitionen. Wenn der "Grüne Deal" den Klimawandel zu stoppen hilft, glauben Sie, dass irgendjemand sagt, wir haben jetzt zwar die Welt gerettet, aber es hat uns 5 Prozent Inflation eingebracht, und das ist jetzt ganz schrecklich?

Zur Person~ Warren Mosler (geboren 1949 in Connecticut, USA) ist US-Ökonom, Autodesigner und Hedgefonds-Gründer. Er gilt als Vater der Modernen Geldtheorie (Modern Monetary Theory), die derzeit vor allem von US-Demokraten hitzig diskutiert wird. Die "New York Times" beschrieb Mosler vor einigen Jahren in einem Porträt als "Defizit-Liebhaber". Im Mai war er in Wien für einen Vortrag an der Wirtschaftuniversität.