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Kapitalismus - Bedingung oder Gefahr für die Demokratie?

Von Michael Schmölzer

Wirtschaft

Die Marktlogik allein kann keine freie Gesellschaft garantieren. Ein Grundeinkommen für alle offenbar auch nicht.


Wien. Führt kapitalistisches Wirtschaften automatisch zu einer demokratischen Gesellschaft, wie einige behaupten? Oder ist der Kapitalismus ein Feind der Freiheit? Die Frage ist verzwickt, eine simple Antwort nicht einfach zu finden. Dabei sind die Stimmen zahlreich, die die freie Marktwirtschaft als Fundament für eine freie Entwicklung des Individuums sehen.

Der britische Politologe Colin Crouch ist nicht ganz dieser Meinung. In dem Buch "Markt und Moral" bescheinigt er dem Neoliberalismus als Denkmodell autoritäre Tendenzen. In diesem Zusammenhang zitiert er die bekannt marktliberale Politikerin Margret Thatcher mit ihrem Lieblingsspruch: "There is no alternative". Der Neoliberalismus, so Crouch, sei eine Art Religion: Es werde behauptet, dass man eine Reihe einfacher Prinzipien befolgen müsse, um eine Welt zu schaffen, in der es keine bessere Alternative gebe. Menschen, die die Dinge anders machen wollten, würden nach dieser Logik Wahlfreiheit und Effizienz behindern, so Crouch.

Kapitalistisches Wirtschaften - aber mit Einschränkungen

Der britische Politologe weist aber darauf hin, dass der Neoliberalismus auch in seiner reinsten Form dem Menschen immer noch einen gewissen Freiraum zur Gestaltung einräume. Dafür sorge das Prinzip der marktwirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit. "Wenn wir uns also einen Totalitarismus aussuchen müssten, dann wäre dieser (neoliberale, Anm.) wahrscheinlich der beste", so Crouch.

Kapitalistisches Wirtschaften ist für Crouch dann in Ordnung, wenn zwei wichtige Punkte berücksichtigt werden: Es gebe erstens viele wichtige menschliche Werte, die der Markt nicht einbeziehe, nicht einbeziehen könne oder sogar zerstöre, wenn nicht von außen eingegriffen werde. Zweitens würde der sich selbst überlassene Markt Ungleichheiten bei Reichtum, Einkommen, aber auch der Machtverteilung schaffen, die seine eigenen Voraussetzungen zerstörten. Die laut Crouch wünschenswerte Form des Wirtschaftens sei die, die zwar vom Markt ausgehe, aber bereit sei, "Kritik zu üben und Interventionsbedarf zu erkennen".

Die Notwendigkeit, aktiv einzugreifen, sieht der deutsche Buchautor und Universitätsprofessor Richard David Precht. In einer digitalisierten Arbeitswelt hält er ein vom Staat garantiertes bedingungsloses Grundeinkommen für notwendig. Er ist davon überzeugt, dass die Digitalisierung zu einer weit höheren Arbeitslosigkeit und zu einer möglichen kollektiven Armut führen werde. Schon jetzt, so Precht, der am kommenden Mittwoch zu den Alpbacher Wirtschaftsgesprächen erwartet wird, könnten viele wegen Minijobs, Leiharbeit und Scheinselbstständigkeit kaum noch überleben. Dazu kommen künftig minimale Pensionen, die ebenfalls kein Auskommen mehr sichern.

Grundeinkommen würde Steuerlast enorm erhöhen

In einer "humanen Gesellschaft der Zukunft" werde durch das Grundeinkommen ein allein auf Erwerbsarbeit gegründeter Leistungsbegriff überwunden - der blind sei für die sozialen Lebensleistungen vieler Menschen, so Precht. Über ein bedingungsloses Grundeinkommen würde auch der Zwang entfallen, monotone und demoralisierende Arbeit zu verrichten. So wäre eine Grundlage für die Gesellschaftsutopie geschaffen, die den Menschen als freies Individuum begreife.

Die Thesen Prechts klingen verführerisch - und sie bleiben nicht unwidersprochen. Das Konzept tauge nicht als Zauberformel, sagen Kritiker. Bei Licht besehen wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen auch nur eine Art Hartz IV ohne behördliche Gängelung.

Die Vorstellung, dass alle ein Leben wie wohlhabende Menschen führen könnten, sei nicht realistisch. Denn für ein reichliches Grundeinkommen müssten die Steuersätze astronomisch erhöht und neue Steuern erfunden werden. Das wäre, etwa in Österreich, mit keiner politischen Partei machbar. Zuletzt hat Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger klar gemacht, dass eine Steuererhöhung unter dem Strich für sie nicht in Frage komme.

Alle Versuche, die milliardenschweren Tech-Konzerne zur Kasse zu bitten, sind bisher gescheitert. Diese sind höchst erfolgreich darin, Steuern durch geschickte Firmenkonstrukte zu vermeiden.

Dazu komme, so die Gegner eines Grundeinkommens, dass dieses die persönliche und öffentliche Verantwortung für gesellschaftliche Teilhabe schwäche. Die Erwerbsbeteiligung als Fundament eines gesellschaftlichen Vertrags aufzugeben, der auf Anstrengung des Individuums und kollektiver Solidarität basiere, wäre fatal, heißt es hier. Es sei ein wichtiger Bestandteil der liberalen Demokratie, es allen Menschen zu ermöglichen, ihr Leben aus eigener Kraft zu verbessern. Der Sozialstaat, so die Argumentation, dürfe den Menschen nicht die Angst vor dem sozialen Abstieg nehmen und müsse gleichzeitig Aufstiegsambitionen unterstützen.

Der politische Einfluss der Konzerne wird jedenfalls von Colin Crouch in seinem Buch "Postdemokratie" kritisiert. So hätten Konzerne mächtige Lobbys und könnten jederzeit mit dem Verlagern der Produktion drohen, sollte ihnen etwa die Steuergesetzgebung eines Landes nicht passen. Aus demokratiepolitischer Hinsicht sei dieser Umstand mehr als bedenklich. Umso mehr, als Politik dann zu einem reinen "Spektakel" verkommt, wie Crouch schreibt und wie in den USA gerade jetzt sichtbar wird. Die öffentliche Debatte werde durch konkurrierende Teams professioneller PR-Experten kontrolliert, Probleme nur noch dann diskutiert, wenn sie von diesen Experten vorher ausgewählt worden wären.

Der bequeme Bürger als passiver Konsument

Der Bürger, der vom politisch aktiven Wesen zum Kunden wird, der bedient werden und möglichst bequem leben will: Auf die selbst gewählte Unmündigkeit und Passivität, die gefährlich um sich greife, weist der deutsche Politologe Oliver Decker hin. "Es ist so bequem, unmündig zu sein", zitiert er den Philosophen Immanuel Kant. Demokratie und selbstbestimmtes Handeln würden unter diesen Voraussetzungen zunehmend als Belastung empfunden. Damit steige auch das Bedürfnis nach Autoritäten und Unterordnung, so Decker bei einem Vortrag auf der WU Wien.

Der Markt selbst kann Freiheit und Demokratie also nicht per se garantieren. Wer kann es also? Auf dem Symposion Dürnstein 2019 wurde lebhaft darüber diskutiert, wie sich Demokratie verändern muss, um zukunftsfähig zu bleiben. Eine Sache ändert sich dabei freilich nie: "Demokratie", so die Symposions-Kuratorin Ursula Baatz, "funktioniert nur als lebendiger Prozess unter Beteiligung aller". Und: "Der Wert der Demokratie wird uns erst bewusst werden, wenn sie uns abhandengekommen ist."

In Dürnstein wurde auch ein Ansatz diskutiert, der in der Wirtschaft Anwendung finden soll und auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen fußt. Dabei geht es darum, eine Entscheidung so lange anzupassen, bis jeder Mitarbeiter den Entschluss unterstützen kann. Gäbe es in der Firma Widerstand, würden Innovationen boykottiert, so die Argumentation. Dem steht die Binsenweisheit entgegen, dass man es wohl nie allen recht machen kann.