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Das EZB-Signal wird klar sein: "Investiert! Macht etwas!"

Von Konstanze Walther

Wirtschaft

Die Europäische Zentralbank wird heute, Donnerstag, neue geldpolitische Weichen stellen. | Markus Müller, Experte der Deutschen Bank, glaubt an eine Verschärfung der Strafzinsen.


Wien/Frankfurt. Es ist eine der letzten zinspolitischen Sitzungen der Europäischen Zentralbank unter Mario Draghi. Der Italiener übergibt im November seinen Vorsitz an Christine Lagarde.

Heute, Donnerstag, darf um 13.45 Uhr mit dem Ergebnis der Sitzung erwartet werden.

Angesichts der weltweiten Konjunkturabkühlung und der Schwäche des Welthandels seien "signifikante geldpolitische Impulse" notwendig, hatte Draghi unlängst gesagt. Der Kapitalmarkt vernahm die Rufe - und rechnet mit einer Neuauflage des Anleihenkaufprogramms, dem berühmten Quantitative Easing, der Flut des billigen Geldes, das dann den Aktienmarkt in neue Höhen tragen könnte.

Andere Experten glauben nicht, dass Mario Draghi tatsächlich wieder das ganze Pulver verschießt. Zu ihnen gehört Markus Müller, der Chefanlagestratege im Wealth Management der Deutschen Bank. Es wird laut Müller vor allem auf eine Verschärfung des Strafzinssatzes bei geparkten Geld geben.

Derzeit liegt dieser negative Einlagensatz bei minus 0,4 Prozent. "Es könnte zu einer Reduktion von bis zu 20 Basispunkten kommen", sagt Müller in Wien vor Journalisten - dann wäre der Strafzins sogar bei 0,6 Prozent. "Wir glauben aber auch, dass die EZB, um die Effekte für die Finanzbranche abzumildern, ein abgestuftes System bei dem negativen Einlagenzins einführen wird", damit nicht alle Finanzsektoren gleichbehandelt werden.

Noch keine Neuauflage des Anleihenkauf-Programms

Aufgrund der Konjunkturabkühlung waren sich viele sicher, dass es zu einem Anleihenkaufprogramm kommt. Aber um die Konjunktur steht es derzeit (noch) nicht so schlecht, sagt Müller. Es gebe zwei Faktoren, die Hoffnung machen: "Der Arbeitsmarkt ist solide. In der Eurozone haben wir eine Arbeitslosenquote von 7,2 Prozent. Und auch der Konsum ist weiterhin stark."

Allerdings sei ein Verlust der konjunkturellen Dynamik schon spürbar. Deutschlands Wirtschaft ist im zweiten Quartal um 0,1 Prozent geschrumpft, auch für das laufende Quartal sieht es nicht so rosig aus. Technisch gesehen herrsche Rezession, vor allem im industriellen Sektor. "Das ist nicht schön aber könnte, weiß Gott, schlimmer sein", sagt Müller. Es sei aber auch ein Zeichen, dass die Länder der Eurozone eine Strukturreform brauchen. Ein Umstand, den Mario Draghi auch in all seinen Pressekonferenzen hervorhebt. Strukturreformen bedeuten ein Umschichten der Volkswirtschaft, und Investieren in neue Projekte, etwa Straßen, Schienen, Bildung, Digitalisierung. "Jetzt gehen die Zentralbanken wieder hinein in den Markt und kaufen Zeit für fiskalpolitische und strukturpolitische Reformen." Aber das allein reiche nicht, es werde auch fiskalpolitische Impulse brauchen.

Sogar der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Christian Sewing, hat Anfang September die deutsche Bundesregierung dazu aufgerufen, mehr zu investieren. "Seit Jahren werden wir dafür kritisiert, dass wir als Land zu wenig investieren. Diese Kritik ist berechtigt", hatte Sewing gesagt.

Die Gelpolitik der EZB erhöht den Schmerz für die Finanzindustrie und für Unternehmen mit viel Geld auf der hohen Kante. Negative Zinsen nehmen ihnen schleichend das Vermögen weg. Oder, wie es Müller formuliert: "Das Signal, dass die EZB aussendet, ist klar: ‚Investiert! Macht etwas!‘" Eine Zentralbank könne keine Strukturprobleme lösen. "Sie kann nur kurzfristige Zyklen stützen. Wir brauchen die Politik", sagt Müller.

Die Deutsche Bank geht davon aus, dass die EZB das Potenzial von 35 Milliarden Euro für monatliche Anleihenkäufe hat. Aber noch wird es nicht gehoben. Noch warte man ab. Auch, weil Lagarde im November antritt. "Mario Draghi wird wohl alles tun, damit Lagarde einen guten Start hat und nicht in einer Problemsituation gebracht wird", sagt Müller. Problemsituation, weil das geldpolitische Pulver bereits verschossen wäre. So hat Lagarde noch genug Spielraum, das EZB-Haus wird aufgeräumt übergeben.

Ein Drittel der Anleihen rentiert derzeit negativ

Müller glaubt nicht, dass es in den kommenden zwölf Monaten global oder in den USA zu einer Rezession kommen wird. Auch wenn die Auguren schon die inverse Zinskurve für Anleihen der USA herangezogen haben, die normalerweise Vorbote einer solchen ist. "Die Zinskurve können wir in diesem Umfeld nicht heranziehen. Sie ist jetzt künstlich verfälscht durch die Zentralbank-Politik." Die Anleihen gelten als sicherer Hafen, auch wenn sie negativ rentieren - so wie zuletzt die 100-jährige Staatsanleihe Österreichs. Sie ist in guter Gesellschaft: Weltweit sind ein Drittel der Anleihen negativ rentiert. Das sind über 16 Billionen US-Dollar.

Am Aktienmarkt wird sich mit der EZB-Entscheidung Enttäuschung breitmachen, glaubt Müller. Da wird es nicht überraschen, dass die Kurse wohl kurzfristig nach unten zeigen. Er werde sich aber wieder erholen: "Wir haben die Spitze am Aktienmarkt noch nicht gesehen. In den nächsten zwölf Monaten glauben wir nicht an eine gewaltige Korrektur."

Dass die US-Notenbank Fed nächste Woche ebenfalls wieder im einem Zinsschritt nach unten geht, gilt auch bei der Deutschen Bank als ausgemacht: Müller glaubt, dass es bis September 2020 allerdings nur zu zwei Zinsschritte kommen wird mit 50 Basispunkten. Von 2 bis 2,5 könnte es auf 1,5 bis 1,75 gehen. Auch hier erwartet der Markt bisher deutlich mehr.