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Marcus Wallenberg: "Die Zeiten werden sich nun ändern"

Von Bernd Vasari

Wirtschaft
Politik und Unternehmen sind gefragt, die Menschen auf die digitale Zukunft vorzubereiten, sagt Marcus Wallenberg.
© Andreas Kolarik

Europa muss aktiv werden, um im digitalen Zeitalter zu bestehen, sagt Schwedens mächtigster Banker.


Es sind China und die USA, die schnellen Schrittes den Weg in die digitale Zukunft gehen. Europa zögert, verharrt hingegen in seiner Komfortzone. Damit es sich zwischen Lissabon und Riga aber weiterhin gut leben lässt, müsste mehr Risiko genommen werden, sagt Marcus Wallenberg im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Der schwedische Banker und Industrielle fordert ein Umdenken, raus aus der Selbstgefälligkeit, und erklärt, welche die nächsten Schritte sein könnten:

"Wiener Zeitung": Herr Wallenberg, in Kürze wird Mario Draghis Amtszeit als Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) enden. Er hat in diesen acht Jahren nie die Zinsen im Euroraum angehoben. War das der richtige Weg?Marcus Wallenberg: Mario Draghi hat sich nach der Finanzkrise darauf konzentriert, Stabilität zu schaffen. Das ist ihm gelungen. Es ist schwer zu sagen, ob es in seiner Amtszeit nicht auch möglich gewesen wäre, die Zinssätze zu erhöhen. Diese extrem niedrigen Zinssätze sind auf jeden Fall sehr ungewöhnlich.

Hätte er die Zinsen erhöhen sollen?

Die niedrigen Zinssätze mögen ein taugliches Mittel gegen die Finanzkrise gewesen sein, sie bergen aber auch ein Risiko. Denn niedrige Zinsen führen zu einem niedrigen Wert der Währung, was zwar die Exportraten erhöht. Nur wird dabei oft vergessen, dass dann auch die Produktivität gesteigert werden muss, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Die US-Notenbank Fed hat zuletzt auch ihre Zinsen gesenkt. Ist Wirtschaftswachstum immer noch ein Maßstab für eine erfolgreiche Wirtschaft?

Ich glaube schon. Es sind aber sehr ungewöhnliche Zeiten. Wir leben in einer Zeit des Umbruches, der digitalen Transformation. Damit Europa nicht abgehängt wird, müssen wir einen Weg finden, wie Investitionen zurück in das System fließen. Sonst wird es im globalen Wettbewerb schwierig. Ohne Investitionen in die Zukunft verlieren wir an Wettbewerbsfähigkeit. Es gibt viele Bereiche, in die investiert werden könnte: grüne Infrastruktur, grüne Innovation, grüne Technologien, usw.

Wie wird die digitale Transformation Europa verändern? Werden viele Jobs verloren gehen?

Nun ja, es werden auch viele neue Jobs geschaffen werden. Wir (Wallenberg Stiftung, Anm.) haben ein Programm zur Erforschung von künstlicher Intelligenz, autonomer Systeme und Software aufgesetzt. Aus den daraus gewonnenen Erkenntnissen wissen wir, dass viele Jobs von heute ersetzt werden. Es ist daher notwendig, dass wir die Menschen umschulen, damit sie sich in dieser neuen digitalen Welt auch zurechtfinden können, damit sie produktiv sein können. Das ist ein großer Aufwand, aber es ist machbar.

Wie wollen Sie verhindern, dass Menschen dabei auf der Strecke bleiben?

Wir müssen bei den Kleinsten anfangen. Softwareentwicklung könnte etwa ein Fach in der Schule sein.

Was schlagen Sie für Menschen vor, die über 50 Jahre alt sind, ihr Leben lang im selben Job gearbeitet haben, die nun etwas komplett Neues lernen müssen? Wie sollen diese Menschen motiviert werden?

Die Zeiten werden sich nun ändern. Das müssen die Menschen verstehen. Und wir müssen uns mit diesen Zeiten ändern. Es ist die Aufgabe der Regierungen und der Unternehmen, dies zu erklären. Wir starten in unserer Skandinaviska Enskilda Bank eine Online-Universität für unsere Mitarbeiter. Sie werden dort umgeschult, sie können sich digital weiterbilden, sie lernen über digitale Technologie usw. Jeder bekommt seine Chance, niemand wird ausgeschlossen.

Könnte ein bedingungsloses Grundeinkommen die Umbruchphase abfedern?

Ich kenne Länder, wo das bedingungslose Grundeinkommen ausprobiert wurde. Es hat nicht sehr gut funktioniert, ich weiß nicht, warum. Ich finde, die meisten Menschen mögen es, wenn sie eine Aufgabe, einen Job haben, Geld verdienen. Ich bin mir nicht sicher, ob es das Beste ist, das Geld einfach zu verteilen.

Vor vier Jahren hat die Europäische Kommission einen Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion vorgelegt. Sie wurde bis heute nicht umgesetzt. Was halten Sie von dieser Idee?

Zwei Drittel der Finanzierungen in Europa stammt von Banken. In den USA werden hingegen 80 Prozent über den Finanzmarkt finanziert. Für Europa wäre es daher strategisch von Vorteil, wenn wir uns auch in Richtung Finanzmarkt entwickeln. Grundlage dafür wäre ein einheitlicher Kapitalmarkt - derzeit gibt es in jedem Land aber noch immer eigene Kapitalmarktgesetze. Das müsste vereinheitlicht werden. Die europäischen Finanz- und Politikakteure müssen zusammenarbeiten, koordinierte Anstrengungen wären definitiv sehr hilfreich.

Geht es um Zusammenarbeit, müssen wir auch über Schweden reden. Das Land müsste laut seinem EU-Beitrittsvertrag den Euro einführen, wehrt sich jedoch dagegen, erfüllt die dafür vorgesehenen Kriterien bewusst nicht. Unterstützen Sie das?

Schwedische Politiker wollen das Thema derzeit nicht aufbringen. Wir sind nicht in der Eurozone, ich finde aber, das sollte sich ändern. Schweden soll dem Euro beitreten.

Wenn es einen gemeinsamen Finanzmarkt gibt, müsste es dann nicht auch eine Finanztransaktionssteuer geben?

In Schweden wurde die Finanztransaktionssteuer bereits ausprobiert. (Olof Palme setzte sie 1984 um, sie wurde 1992 wieder abgeschafft, Anm.). Sie hat nicht funktioniert, weil das Handelsvolumen aus Schweden ins Ausland abwanderte.

Gibt es Vorbilder für Europa in Sachen Innovation?

Ja, Israel ist so ein Beispiel. Dort treiben sie Innovation sehr stark voran, haben sogar eine eigene Innovationsbehörde. Der Erfolg gibt ihnen recht. Es gibt mehr israelische Hightech-Unternehmen an der Nasdaq (größte US-Börse, Anm.) als Hightech-Unternehmen aus Deutschland und Frankreich zusammen.

Ist Europa innovationsscheu?

Wir leben in den meisten Gegenden Europas ein sehr gutes Leben. Wir müssen aber aufpassen, dass wir nicht selbstgefällig werden. Um in Zukunft Fortschritte zu machen, müssen wir unsere Haltung ändern, wir müssen bereit sein, Risiko einzugehen. Ein neues Unternehmen zu gründen, eine Innovation zu schaffen ist nicht risikofrei, man kann scheitern, das müssen wir lernen. Es wird uns nichts anderes übrig bleiben. Denn wir haben nur einen Weg, um im globalen Wettbewerb zu bestehen, dieser ist die Innovation.

Zur Person: Marcus Wallenberg
gehört zur schwedischen Familiendynastie Wallenberg. Sie gilt als einflussreichste Familie Skandinaviens, ihre Wallenberg-Stiftung finanziert diverse Forschungsprojekte. Sie ist beteiligt an den Großunternehmen Ericsson, Electrolux, Saab und SAS Scandinavian Airlines. Seit 2005 ist Marcus Wallenberg Präsident der Skandinavska Enskilda Banken (SEB).