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Staatsverschuldung in Japan: Eine Frage des Vertrauens

Von Felix Lill aus Japan

Wirtschaft

Eine höhere Mehrwertsteuer soll Japans riesige Staatsverschuldung eindämmen, die Verbraucher aber möglichst wenig belasten. Denen fehlt jedoch der Glaube daran.


Tokio. Eigentlich müssten die Japaner dieser Tage aufatmen. Mit Anfang Oktober wurde nach langer Verzögerung die Mehrwertsteuer angehoben, womit das weitere Anwachsen der immensen Staatsschulden verlangsamt wird. Der öffentliche Sektor der weltweit drittgrößten Volkswirtschaft ist mit rund 240 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschuldet. Und da in Japans alternder und schrumpfender Bevölkerung die Einnahmen aus Einkommenssteuern tendenziell sinken, die Ausgaben dagegen angesichts der zunehmenden Pensionistenzahlen steigen, wird auch die Staatsverschuldung höher. Nun aber wurde die Mehrwertsteuer immerhin von acht auf zehn Prozent angehoben.

Auf den ersten Blick sieht das nach einem Erfolg aus. Nach einer Woche mit dem neuen Steuersatz zeigt sich, dass die Verbraucher die erhöhte Konsumabgabe besser verkraften als befürchtet. Große Konsumeinbrüche, weil Produkte jetzt etwas teurer sind, blieben aus. Eine Umfrage der Nachrichtenagentur Kyodo ergab am Sonntag, dass 75 Prozent der Befragten nicht weniger ausgegeben als vor der Steuererhöhung. Dies liegt wohl auch daran, dass die meisten Nahrungsmittel von der Erhöhung ausgenommen bleiben und Verbraucher fünf Prozent Rabatt auf Produkte erhalten, wenn sie bargeldlos zahlen. So ist die Steuererhöhung einigermaßen sozial verträglich und bringt noch einen Modernisierungsschub.

Trotzdem könnte ihre Effektivität arg beschnitten sein. Denn die Umfrage vom Sonntag zeigt auch: sieben von zehn Befragten erwarten, dass sich die höhere Abgabe trotz allem negativ auf die Wirtschaft auswirken werde. Auch wenn die meisten Verbraucher kaum Engpässe durch die höhere Steuer erleiden, erwartet die klare Mehrheit der Japaner genau dies für das ganze Land. Der japanischen Gesellschaft fehlt das Vertrauen in die Geschicke ihrer Regierung und das Fortkommen ihrer Volkswirtschaft.

Es ist ein Misstrauen, das immer wieder wahrnehmbar wird. Erst im vergangenen August zeigte eine andere Umfrage, dass auch 70 Prozent der großen Unternehmen kaum optimistisch in die nahe Zukunft blicken. Und der jetzige Mangel an Vertrauen seitens der Konsumenten wird auf Betriebe kaum ermutigend wirken, zusätzliche Investitionen im Land zu tätigen. Die aber wären wichtig, damit nicht zuletzt der Staat an seine Steuereinnahmen kommt, um so seine steigenden Verbindlichkeiten zu bedienen.

Demographische Entwicklung gibt Grund zur Nervosität

Japan steckt in einer ungewissen Lage. Schon mehrmals haben Experten die Sorge bekundet, dass das Land vor einer Schuldenkrise stehe, weil es die bestehenden Forderungen kaum noch bedienen könne. Zwar werfen japanische Staatsanleihen kaum Zinsen ab, gelten am Kapitalmarkt also als sicher. Zudem sind die größten Gläubiger des Staates die japanische Zentralbank und die japanischen Sparer. Von denen ist jeweils nicht zu erwarten, dass sie ihr Geld schnell zurückfordern werden. Doch schon die demographische Entwicklung gibt Grund zur Nervosität.

Neben den alterungsbedingt steigenden Sozialausgaben könnte schließlich ein Ableben der japanischen Babyboomer, die derzeit um die 70 Jahre alt sind, eine Krise auslösen. Wenn diese ihre Ersparnisse an die durchschnittlich weniger wohlhabenden Kinder vererben, könnten große Mengen an Kapital rasch liquide gemacht werden, weil die Erben das Geld akut brauchen. Der Staat müsste dann plötzlich große Auszahlungen machen und könnte dabei in Schwierigkeiten geraten. Dann wiederum würde Neuverschuldung für Japans öffentlichen Sektor teurer werden.

Realeinkommen sinken seit Jahren

Um das zu vermeiden, ist der Schritt zur Erhöhung der Mehrwertsteuer zwar haushaltspolitisch sinnvoll. Zugleich aber basiert das Misstrauen der Verbraucher auf Erfahrung. Als die Steuer vor fünf Jahren von damals fünf auf acht Prozent angehoben wurde, stieg die Staatsverschuldung einerseits trotzdem weiter an. Andererseits brach die Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen deutlich ein. Das lag nicht nur daran, dass es damals nicht so viele Ausnahmen von der Steuererhöhung gab wie heute. Viel schwerwiegender war, dass die Realeinkommen in Japan schon seit Langem tendenziell eher sinken als steigen.

Und das gegenwärtige Misstrauen der japanischen Verbraucher gäbe es vermutlich nicht, hätte die Wirtschaftspolitik von Premierminister Shinzo Abe so funktioniert wie geplant. Seit seinem Amtsantritt Ende 2012 hat Abe immer wieder versprochen, er werde der japanischen Wirtschaft eine neue Wachstumsära bescheren und damit zweieinhalb Jahrzehnte, in denen das Land ökonomisch eher stagnierte und das Konsumniveau stotterte, beenden.

Seine Strategie dafür, genannt Abenomics, ist simpel: noch höhere Staatsausgaben als zuvor, eine noch lockere Geldpolitik als vorher sowie einige wachstumsfördernde Strukturreformen. Durch mehr Geld im Umlauf, anziehende Preise, und dadurch steigende Investitionen sollte eine positive Spirale in Gang gesetzt werden. So sollte auch "das deflationäre Gedankengerüst", wie Abe und die japanische Notenbank die Kaufzurückhaltung der Japaner bezeichneten, bekämpft werden. Und schließlich sollten durch diese Kräfte auch die Einkommen steigen.

Abes Politik als Finanzminister bescherte Rekordverschuldung

Doch fast sieben Jahre später zeigt sich: Japans Realeinkommen steigen noch immer kaum, das Wirtschaftswachstum ist kaum höher als vor Abes Amtsantritt. Dafür sind die Staatsschulden auf einen Rekordwert angestiegen. Dass die Strategie glücklos blieb, ist wenig überraschend: Japans Gesamt- und Arbeitsbevölkerung schrumpft seit ungefähr 20 Jahren, womit die Zahl von Konsumenten und Produzenten Jahr für Jahr abnimmt. Weitere Investitionen ins Inland geben daher längst nicht für alle Betriebe Sinn, zumal die Infrastruktur im Land schon ein gutes Niveau hat und private Haushalte oftmals auch gut mit allen Gerätschaften ausgestattet sind.

Japan, so scheint es, ist weitgehend ausgewachsen. Statt eine kaum effektive investitionsseitige Wirtschaftspolitik zu fahren, hätte Abe etwa die Umverteilung mit einer sinnvollen Steuererhöhung im Fokus haben können. Denn durch einen sich weiter prekarisierenden Arbeitsmarkt nimmt die soziale Ungleichheit seit Jahren zu. Ein Umstand, der viele Menschen nicht optimistisch in die Zukunft blicken lässt.