Der Brexit ist das dominierende Thema, wenn es derzeit um die Europäische Union geht. Doch auch abseits des Brexits stehen wesentliche Richtungsentscheidungen an. Europas bekanntester Politiker Jean-Claude Juncker hat die Bühne in Brüssel verlassen, ihm folgt ab 1. November Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin nach. Zudem wird um die Verteilung der Mittel für das neue Budget 2021 bis 2027 gerungen.

Ein Drittel der Gelder stand bisher den Regionen zu Verfügung, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" besteht Regionen-Präsident Karl-Heinz Lambertz auch weiterhin auf diesen Anteil. Weiters kritisiert er Europas Kleinstaaterei, den Fetisch für Grenzkontrollen und spricht sich für mehr Zusammenhalt aus. Um die Gemeinsamkeit zu stärken, fordert er einen gemeinsamen Reisepass für EU-Bürger:

"Wiener Zeitung": Herr Lambertz, am 1. November tritt die neue EU-Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen an. Haben Sie mit ihr schon gesprochen?

Karl-Heinz Lambertz: Ich hatte Ende vergangener Woche ein erstes Kennenlerngespräch mit von der Leyen. Wir sind aber noch in der Aufwärmphase. Die Entscheidungen des EU-Parlaments und des EU-Ministerrates über alle Kommissare sind noch nicht gefällt. Ich hoffe nicht, dass sich diese Entscheidungen lange hinziehen. Wir müssen uns schließlich um den nächsten Finanzrahmen (EU-Budget für 2021 bis 2027, Anm.) kümmern. Dabei kann es keine Einigung geben, so lange nicht alle Positionen besetzt sind.

Was erwarten Sie von von der Leyen in Hinblick auf die Regionen?

Wir erwarten eine Stärkung der Gebietskörperschaften, eine engere Zusammenarbeit. In ihrer Antrittsrede hat sie die Bedeutung der lokalen Ebenen hervorgehoben, das freut uns.

Ein zentraler Punkt in den Plänen von der Leyens ist der Klimaschutz. Innerhalb der ersten 100 Amtstage soll die Kommission bereits das erste Klimagesetz vorschlagen, mit der Verpflichtung, dass die Mitgliedsstaaten bis 2050 klimaneutral werden.

Das klingt toll. Sie wird aber die Regionen brauchen, wenn sie diesen Green Deal umsetzen will. Die EU kriegt etwa die Verkehrsproblematik nur in den Griff, wenn sich vor Ort etwas ändert. Der Ausbau des öffentlichen Verkehrs, Energiefragen im Wohnungsbau, das bestimmen die Regionen.

Der einflussreichste EU-Staat Deutschland verhält sich sehr defensiv, was den Klimaschutz betrifft. Kann von der Leyen die Rolle Brüssels in Berlin stärken?

Die Tatsache, dass von der Leyen aus Deutschland kommt, ist keine Garantie, dass Berlin jetzt nach ihrer Pfeife tanzt. Die Kenntnis von der Leyens von der deutschen Politik ist aber sehr wertvoll für die EU. Sie weiß, was sie tun muss, um Dinge in Berlin in Bewegung zu bringen. Doch es liegt nicht nur an Deutschland. Alle müssen sich in den Fragen des Klimaschutzes bewegen. Davon hängt die Zukunft der EU ab.