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Lasst uns weiterfliegen!

Von Bernd Vasari

Wirtschaft

Das Fliegen teurer zu machen, ist der falsche Weg. Es geht darum, in klimaneutrale Antriebe zu investieren, nicht die Demokratisierung des Reisens wieder zu beenden. Warum wir mit gutem Gewissen fliegen sollten.


Fliegen ist günstig wie nie zuvor. Und das ist gut so. Über das Wochenende um 80 Euro nach Barcelona, ins ukrainische Charkiw, nach Varna ans Schwarze Meer. Oder im Sommerurlaub um 500 Euro nach Bangkok, Addis Abeba, Miami. Eintauchen in andere Kulturen, den Blick weiten, sich selbst ein Bild machen, Freunde finden. Fliegen ist leistbar für die Gitti von der Zwölfer-Stiege aus dem Wiener Gemeindebau in Floridsdorf, genauso wie für Cornelius aus dem noblen Stadtteil Leopoldskron in Salzburg. Doch nun sollen die Tickets wieder teurer werden. Der Kraftstoff Kerosin, der in den Düsen der Flieger verbrannt wird, soll hoch besteuert werden. Er schädigt die Umwelt, so das Argument.

Gitti soll also daheimbleiben, während Cornelius die Welt bereist. Doch warum darf sein ökologischer Fußabdruck größer sein? Weil er mehr Geld hat? Teure Flugtickets wären ein Schritt zurück in die Vergangenheit, als Fliegen den Reichen vorbehalten war. Die Demokratisierung des Reisens wäre wieder beendet. Und die Flieger würden weiterhin das giftige Kerosin in die Luft blasen.

Dabei liegt die Lösung auf der Hand. Wenn wir ökologisch fliegen wollen, müssen wir uns um den klimafeindlichen Kraftstoff kümmern, nicht um die Kosten der Tickets. Es geht um nichts weniger als die Entwicklung eines umweltfreundlichen Flugzeug-Antriebs.

Wie die Geschichte zeigt, ist der Mensch in schwierigen Situationen immer wieder über sich hinausgewachsen. Warum sollte es nach Erfindungen wie Feuermachen, Buchdruck, Elektrizität, Antibabypille nicht wieder eine neue Errungenschaft der Menschheit geben?

Das Versagen vonAirbus und Boeing

Die Entwicklung eines umweltfreundlichen Antriebes ist mit hohen Investitionen verbunden. Doch sie würden sich lohnen, schließlich geht es um unseren Planeten. Wer könnte es aber zustande bringen, dass wir in Zukunft im Flugzeug sitzen und kein schlechtes Gewissen mehr haben müssen?

Von den beiden größten Flugzeugherstellern der Welt, die US-amerikanische Boeing und der europäische Airbus, ist wenig zu erwarten. Sie befinden sich im ständigen Wettstreit um die Spitze, die Umweltfreundlichkeit der Flieger spielt kaum eine Rolle. Vor allem Boeing sieht sich unter Druck, nachdem der jahrzehntelange Weltmarktführer vor zwanzig Jahren von Airbus überholt wurde.

Als Dennis Muilenburg 2015 Boeing-Chef wurde, gab er auch gleich die Richtung vor: "Wir sind ein harter Wettbewerber", sagte er und setzte noch mehr auf Profit. Der Aktienkurs ging zwar durch die Decke, auf der Strecke blieben jedoch Umweltschutz und die Sicherheit der Passagiere. Nachdem Airbus mit seinem neuen Modell A320neo die Reichweite bis zu 950 Kilometer verbesserte, brachte Boeing sein neues Modell 737 schneller als geplant auf den Markt, um dagegenzuhalten. Mit fatalen Folgen: Die Software war schlecht abgesichert, zwei Flugzeuge stürzten ab. US-Präsident Donald Trump reagierte mit Strafzöllen für Airbus, damit der europäische Konkurrent nicht noch weiter davonzieht.

Die beiden Flugzeugbauer sind also mit sich beschäftigt. Doch auch ein Investor, ein Unternehmen, ein Staat allein wird es nicht schaffen, wirksame Akzente zu setzen, die nötigen Anschubfinanzierungen in der Höhe von mehreren hundert Milliarden Euro für die Entwicklung eines sauberen Antriebs zu stemmen. Es wäre vielmehr ein Projekt für eine Staatengemeinschaft. Eine Staatengemeinschaft wie die Europäische Union.

Mit der Entwicklung eines sauberen Antriebes für Flugzeuge könnte die EU verlorenen Boden gegenüber den USA und China gutmachen. Die beiden Staaten machen sich derzeit die technologische Zukunft untereinander aus. Mit Unternehmen wie Google, Facebook, Amazon, Apple einerseits, Alibaba, Huawei und Chinas größtem Autobauer SAIC andererseits. In der EU geht hingegen das Produktivitätswachstum zurück, wichtige Industriezweige wie die Autobranche stehen unter Druck, müssen sich vor Gericht verantworten, weil sie mit fairen Mitteln auf dem Markt nicht mehr Schritt halten konnten. Es gab bereits erste Kündigungswellen.

VorbildChina

Dabei könnte sich die EU gerade an China ein Vorbild nehmen. Die chinesische Regierung definierte die Autoindustrie vor ein paar Jahren als Leitbranche. Da China beim Verbrennungsmotor in der Entwicklung zu weit hinten lag, setzte die Regierung gleich auf Stromantrieb. Heute ist die chinesische Autobranche in der Elektromobilität der europäischen weit überlegen. Die EU könnte nun ebenso auf einen klimaschonenden Antrieb setzen. Und Fliegen als Leitbranche definieren.

Es wäre ein lohnendes Geschäft: 2018 gab es 38 Millionen Starts und 4,3 Milliarden Passagiere, die in Summe mehr als acht Billionen Kilometer durch die Luft reisten - so die Bilanz der "World Air Transport Statistics" des Airline-Verbands Iata. 1970 waren es noch 310 Millionen Menschen, fast dreizehnmal weniger.

Wäre der Antrieb sauber, könnte die EU nicht weniger, sondern mehr Fliegen propagieren, die Neugier für blinde Flecken auf der europäischen Landkarte wecken. Durch die Altstadt im polnischen Posen flanieren, beim Primavera Festival in Porto an der Atlantikküste abhängen, in Rumäniens Boia-Mica-Tal Europas letzten Urwald erforschen - abseits der üblichen Trampelpfade Venedig, Amsterdam, Paris, die ihrerseits entlastet werden könnten.

Die Touristen würden in abgehängten Regionen die Wirtschaft ankurbeln. Regionen, die es derzeit schwer haben, vor allem junge Menschen zu halten und ohnehin auf Zahlungen von der EU angewiesen sind. Stillgelegte Hallen, leere Fabriken, ungenutzte Geschäftsräume würden wieder genutzt werden, neue Jobs würden entstehen und es würde auch die Verständigung zwischen den Mitgliedsstaaten fördern, die oftmals lieber mit dem Rücken zueinander sitzen, anstatt sich auszutauschen.

Doch ist es technisch überhaupt möglich, klimaneutral zu fliegen? Oder ist ein sauberer Antrieb nicht mehr als Science Fiction?

SauberesKerosin

Mehrere hundert Wissenschafter haben sich bereits den Kopf darüber zerbrochen, immer gab es einen Haken. Der häufig in Medien zelebrierte Stromantrieb hat den Makel schwerer Batterien, Wasserstoff ist angewiesen auf schwere Tanks.

Zuletzt sorgten jedoch einige Wissenschafter für Aufsehen. Sie haben einen Weg gefunden, Kerosin zu erzeugen, ohne dass es giftig ist.

Wie die "Wiener Zeitung" berichtete, soll der Kraftstoff dabei nicht mehr aus Öl, sondern aus dem CO2 der Atmosphäre und Sonnenlicht gewonnen werden. Der verbrannte Treibstoff würde ohne N-Oxide und andere schwefelhaltige Abgase keine Belastung mehr für die Erdatmosphäre darstellen.

Erforscht wird das synthetische Antriebsmittel etwa von Wissenschaftern der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich, finanziell unterstützt vom italienischen Ölkonzern Eni, oder von Wissenschaftern an der Universität Cambridge, unterstützt aus Mitteln des österreichischen Wirtschaftsministeriums und der OMV.

Der österreichische Chemiker und Professor Erwin Reisner leitet das Projekt in Cambridge. "Es ist ein neutraler Zyklus. Es kommt CO2 raus, das wieder zur Herstellung des Treibstoffs verwendet wird." Reisner und sein Team haben nach sieben Jahren Forschungsarbeit einen Prototyp entwickelt. "Im Moment können wir das aber noch nicht auf den Markt bringen, die Innovation braucht noch viele Fortschritte", sagt er. Die Kräfte müssten gebündelt werden, mehrere Forschungsgruppen und Labors zusammenarbeiten, um komplementär zu forschen. Das kostet jedoch Geld.

Geld, das verfügbar ist. 12 der 30 reichsten Länder der Erde sind Mitglied in der EU. Und der Bedarf privater Geldgeber an Investitionen in nachhaltige Projekte ist vorhanden. Vor allem in grüne Anleihen, also Geldanlagen, die ökologischen Kriterien folgen, mit der umweltfreundliche Projekte finanziert werden sollen. Der Marktwert dieser grünen Anleihen in der EU stieg von 0,7 Milliarden Euro im Jahr 2013 auf mittlerweile 72,9 Milliarden Euro bis Ende 2018. Die Erlöse der grünen Anleihen kommen nicht allgemeinen Unternehmenszwecken zugute, sondern konkreten Projekten, die die Umwelt fördern.

Keine Einigkeitbei grünen Anleihen

Doch gerade die grünen Anleihen demonstrieren die Schwäche der EU und zeigen, warum China und die USA die Staatengemeinschaft abhängen. Es herrscht keine Einheitlichkeit innerhalb der EU in der Frage, welche Kriterien eine grüne Finanzanlage ausmachen. Derzeit werde zwar an einer einheitlichen Klassifizierung gearbeitet, zu einer Lösung ist es aber noch nicht gekommen: Für Deutschland ist etwa Atomenergie nicht nachhaltig und soll daher ausgenommen werden, Frankreich und eine Reihe anderer EU-Länder sind hingegen anderer Ansicht.

Unklare Vorgaben bremsen jedoch den Markt für nachhaltige Geldanlagen. Wie lange es bis zu einer einheitlichen europäischen Lösung dauert, die konkrete Kriterien für grüne Anleihen vorgibt, ist offen.

"Frieden war ein historischer Traum, Macht war es nicht", sagt Pascal Lamy, ehemaliger Generaldirektor der Welthandelsorganisation (WTO, 2005-2013). Die EU müsse lernen groß zu denken, diese Fähigkeit fehle derzeit komplett. "Mehr Risiko nehmen", rät er der Staatengemeinschaft, "sonst kann der bereits vorhandene Abstand zu China und den USA nicht mehr aufgeholt werden. Der Wohlstand wäre dann in Gefahr."

Und während die EU nach gemeinsamen Kriterien für grüne Anleihen ringt, wird das giftige Kerosin weiter in die Umwelt geblasen.

Auch, wenn die Tickets teurer werden und nur noch Gutverdiener das nötige Kleingeld für einen Flug haben, wird das Passagieraufkommen weiter steigen. "Zwischen 80 und 90 Prozent der Weltbevölkerung sind noch nie in einem Flugzeug gesessen", sagte der Vorstand des Flughafen Wien, Günther Ofner, vor kurzem in einem Gespräch mit der "Wiener Zeitung": "Mit steigendem Wohlstand werden auch diese Menschen fliegen wollen, ob einem das gefällt oder nicht. Die Hoffnung, dass in Zukunft weniger geflogen wird, ist illusorisch." Und auch er findet, dass wir mehr Forschungsmittel brauchen, "um alternative Treibstoffe zu entwickeln und marktreif zu machen".

Der Geschäftsführer von Austrian, Alexis von Hoensbroech, stimmt zu: "Der einzige Weg sind nachhaltige Antriebe." Er plädiert ebenso für synthetisches Kerosin. "Da muss aber massiv investiert werden, europäische Länder wie Deutschland und Österreich könnten sich an die Spitze der Bewegung setzen, weil in diesen Ländern großes Innovations- und Ingenieurspotenzial vorhanden ist."

Die Herausforderung ist groß, aber der Leidensdruck anscheinend noch zu gering, um sich ihr zu stellen.

Klimaneutrales Fliegen ist möglich, auch, wenn das heute noch nach Illusion klingt. Doch es kann schnell gehen. Der Mensch ist schon so oft über sich hinausgewachsen, zuletzt wurde die ganze Welt innerhalb kürzester Zeit mit Smartphones überzogen. Wir werden es auch hier schaffen. Daran besteht kein Zweifel, wir haben es oft bewiesen.