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Zukunftsforscherin Papasabbas: "Achtsamkeit ist der größte Gegentrend"

Von Saskia Blatakes

Wirtschaft
Zukunftsforscherin Papasabbas beim Female Future Festival in Wien.
© Female Future Festival

Prollige E-Autos, "Alexas", die keiner will, und der Megatrend "Gender Shift" –
Zukunftsforscherin Lena Papasabbas erklärt, welche Entwicklungen unser Leben dramatisch verändern.


"Wiener Zeitung": Was sind Megatrends, Frau Papasabbas?Lena Papasabbas: Das sind sehr große Veränderungen, die sich über Jahrzehnte entwickeln und alle Aspekte des Lebens verändern, wie zum Beispiel die Globalisierung. Es geht also gar nicht nur um die Zukunft oder nur um Konsum- oder Lifestyletrends. Megatrends betreffen die Wirtschaft, die Gesellschaft und die Alltagskultur gleichermaßen. Danach sieht die Welt anders aus als vorher.

Welche Trends verändern unser Leben am dramatischsten?

Die Individualisierung ist ein Trend der seit Jahrzehnten wirkt und gerade seinen Höhepunkt erreicht. Für die Wirtschaft bleibt die Globalisierung am wichtigsten. Und alles, was mit Vernetzung und Digitalisierung zu tun hat. Sehr wichtige Megatrends sind der "Gender Shift" - also die Auflösung der Geschlechterrollen - und die "Neo-Ökologie", das neue Umweltbewusstsein.

Das klingt, als würde sich alles in eine Richtung bewegen. . .

Megatrends haben immer auch Gegenbewegungen. Der größte Gegentrend unserer Zeit ist die Achtsamkeit als Antwort auf die Digitalisierung. Wir sind ständig mit den Gedanken woanders, wenn wir uns im Virtuellen bewegen. Es entsteht ein Gefühl der Beschleunigung, des Drucks und der Überforderung. Wir brauchen diese Kulturtechnik der Achtsamkeit, die auch viel mit Individualisierung zu tun hat. Menschen verstehen sich als Projekt und wollen sich durch Achtsamkeit optimieren.

Manche kritisieren den Trend als "neues Biedermeier", bei dem sich Menschen zurückziehen, um zu meditieren und Yoga zu machen, politisch aber immer gleichgültiger werden . . .

Andererseits kann man sich erst um andere kümmern und sich engagieren, wenn es einem selber gut geht. Viele Achtsamkeit-Gurus betonen, dass es eben nicht nur um das Ego geht, sondern auch darum, für andere da zu sein. Aber der Trend ist noch zu neu, es gibt kaum Studien zu den Folgen.

Vor einigen Jahren hat Matthias Horx, der Gründer ihres Zukunftsinstituts, noch vom "Megatrend Frauen" gesprochen. Warum sprechen Sie jetzt vom "Megatrend Gender Shift"?

Es war wohl eine typisch männliche Sicht, dass die neuen Rollen nur Frauen betreffen. In Wahrheit wirkt sich der Trend auf alle Geschlechterrollen und Identitäten aus. Es ist unmöglich, dass sich die Rolle der Frau in einer Gesellschaft verändert und die des Mannes unverändert bleibt.

Worum geht es dabei?

Westliche Gesellschaften waren sehr von der binären Aufteilung zwischen den Geschlechtern bestimmt. Ob man eine Frau oder ein Mann war, hat die ganze Biografie beeinflusst: welchen Beruf man ergreift, welche Produkte man kauft, welche Frisur man trägt. Früher war Krankenschwester ein weiblicher Beruf, Informatiker war ein männlicher Beruf. Das ist vorbei. Männer tragen heute auch Make-up, Frauen können programmieren. Natürlich sind die alten Geschlechterrollen noch mächtig, aber sie werden weniger relevant. Es gibt zum Beispiel Umfragen unter jungen Menschen, die zeigen, dass sich immer mehr nicht mehr als klar hetero- oder homosexuell festlegen wollen.

Was bedeutet das für die Wirtschaft?

Marketinglogiken wandeln sich, weil sich die Konsumenten stark verändert haben. Aber die Marketingbranche hinkt total hinterher. Die meiste Werbung wirkt verstaubt, weil sie veraltete Geschlechterklischees bedient.

Zum Beispiel?

In der Waschmittelwerbung wird immer noch die Hausfrau gezeigt, deren größter Stolz ihre weiße Wäsche ist. Natürlich gibt es auch schon progressive Ausnahmen, wo Männer waschen, putzen und die Kinder großziehen.

Was bedeutet das für Unternehmen?

Die müssen auf die neuen Rollen mit neuen Unternehmenskulturen reagieren, Stichwort Diversity. Es gibt schon genügend Studien, die zeigen, dass gemischtgeschlechtliche Teams resilienter und kreativer sind. Unternehmen, in denen Frauen im Vorstand und im oberen Management sind, schreiben bessere Zahlen. Es wäre dumm, darauf zu verzichten. Teams, in denen alle weiß, männlich und im selben Alter sind, arbeiten ganz einfach weniger erfolgreich. Außerdem geht es darum, wie attraktiv man für potenzielle Mitarbeiter ist. Top ausgebildete Frauen wollen nicht in einer Firma arbeiten, in der sie nicht für voll genommen werden. Und auch Männer wollen nicht mehr in Unternehmen, in denen sie nicht in Elternzeit gehen können. Zeit für ihre Kinder zu haben wird für Männer immer wichtiger.

Verfällt man nicht wieder in Rollenklischees, wenn es heißt, Frauen hätten bestimmte Skills, die Männern fehlen?

Ich denke schon, dass viele Frauen aufgrund ihrer Sozialisation empathischer und kooperativer sind. Aber letztendlich geht es nicht um das Geschlecht. Der Wunsch nach Work-Life-Balance betrifft Frauen wie Männer gleichermaßen.

Viele sehen ihre "Zukunftsorakel" kritisch. Wie wissenschaftlich sind ihre Methoden?

Wir reden ja gar nicht so viel über die Zukunft, sondern über die Gegenwart. Wenn ich sagen würde, 2030 wird dieses oder jenes eintreten, wäre das nicht seriös. Wir beobachten die Gegenwart ganz genau und leiten daraus Wahrscheinlichkeiten ab. Natürlich hat das ein spekulatives Element. Wir erstellen keine Prognosen, sondern Szenarien. Aber zugegeben, wir sind keine Wissenschaftler. Wir haben wissenschaftliche Methoden, aber auch journalistische.

Vor kurzem haben Sie eine Studie zu den "Produkten der Zukunft" veröffentlicht. Was erwartet uns da?

Wir fanden Produkte, die unser Plastikproblem lösen könnten, weil sie aus Kartoffelstärke oder Pilzmyzelien bestehen. Oder tierfreundliches Leder, das synthetisch im Labor hergestellt wird. Auch technisch tut sich viel, etwa eine Art Sonnenbrille, die Screens ausblenden kann oder ein Ring, mit dem man Geräte entsperren und kontaktlos bezahlen kann. Leider geht es bei der Produktentwicklung aber zu oft nur darum, was technisch machbar ist. Oft wollen die Menschen diese Dinge gar nicht.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Die "Alexas" dieser Welt wurden so aggressiv beworben, weil die Menschen sie eigentlich gar nicht brauchen. Stellen Sie sich vor, Sie sind bei jemandem zu Besuch und der spricht andauernd mit einem Smart Speaker.

Was wollen die Menschen dann?

Die meisten Menschen wollen nachhaltiger leben, wollen aber auf keinen Fall verzichten. Wir sind nun einmal Hedonisten. Das wird auch nicht mehr als Gegensatz gesehen. Ein Bio-Steak ist nachhaltiger, schmeckt aber auch besser.

Bedient das nicht nur ein bestimmtes, besserverdienendes Segment?

Nicht unbedingt. Auch beim Discounter gibt es Bio-Lebensmittel. Und es gibt ziemlich prollige E-SUVs. Gerade im nachhaltigen Luxussegment gibt es abgefahrene Neuheiten, wie etwa im Labor gezüchtete Diamanten, die "fair" sind, weil sie ohne die Problematik des Diamanthandels auskommen.

Lena Papasabbas

wurde 1987 in Erlangen geboren. Sie studierte Kulturanthropologie und arbeitet seit 2015 beim Zukunftsinstitut in Frankfurt am Main. Gegründet wurde es vom bekanntesten deutschen Zukunftsforscher und ehemaligen Journalisten Matthias Horx.