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Geschäftsmodell aus Schall und Rauch

Von Wolfgang Liu Kuhn

Wirtschaft
© reuters/Jason Lee

Die Feuerwerksindustrie ist in China ein milliardenschweres Geschäft. Pro Jahr werden Böller und Raketen im Wert von 630 Millionen Euro exportiert. Doch der Druck auf die Branche nimmt zu.


Am Anfang stand ein Bambusrohr, das der Mönch Li Tian vor 1400 Jahren mit Salpeter, Holzkohle und Schwefel füllte. Der Chinese wollte mit diesem "explodierenden Bambus" gegen Seuchen, Unwetter und vor allem böse Geister vorgehen. Letztere, so heißt es, sollen durch den Lärm verschreckt und abgehalten werden. Ob das funktioniert hat, scheint fraglich, denn bis heute machen Chinesen leidenschaftlich gerne Lärm mit Feuerwerk und Teppichkrachern, für die man in anderen Ländern vermutlich einen Waffenschein bräuchte.

Dabei kracht und knallt es ganzjährig bei Hochzeiten, Volksfesten, Beerdigungen, Supermarkteröffnungen oder einfach nur, um einen bösen Geist - vermutlich den Nachbarn - zu verängstigen. Ausgerechnet zu Silvester bleibt es jedoch weitgehend ruhig im ganzen Land, denn das chinesische Neujahr wird erst einen Monat später gefeiert - je nach Mondkalender Anfang Jänner oder Anfang Februar. 2020 fällt es auf den 25. Jänner.

In Liuyang bereitet man sich bereits fieberhaft auf das große Ereignis vor. Die Stadt mit 1,5 Millionen Einwohnern in der südostchinesischen Provinz Hunan ist so etwas wie die Welthauptstadt des Feuerwerks: Mehr als die Hälfte der weltweit verkauften Böller, Heuler oder Feuerwerksraketen wird hier hergestellt, globale Player wie Panda Fireworks haben in der Stadt ihren Firmensitz. "Das chinesische Neujahrsfest ist nach wie vor unser wichtigster Umsatzbringer. Noch im letzten Jahr haben die Chinesen zur Begrüßung des neuen Jahres mehr als 200.000 Tonnen Feuerwerk in die Luft geschossen. Das gesamte Europageschäft ist zum Vergleich nicht einmal halb so groß", sagt Wang Fengyan, stellvertretender Generalmanager von Panda.

Die Zahlen können sich sehen lassen: Insgesamt gibt es in China 2800 Feuerwerk-Fabriken, ihr jährlicher Produktionswert liegt zwischen 60 und 80 Milliarden Yuan (8 und 10 Milliarden Euro). Mit 630 Millionen Euro blieb der Exportwert in den vergangenen Jahren stabil.

Liuyang, Hauptstadtder Feuerwerksproduktion

Doch in Liuyang wird nicht gefeiert - selbst wenn es an allen Ecken und Enden ständig kracht und das Getöse in den Abendstunden mitunter unerträglich wird. Kunden und Pyrotechniker aus aller Welt sollen von den neuesten Produkten überzeugt werden, dementsprechend ist der Geruch von Schwefel allgegenwärtig. In der Stadt jedoch stehen viele Geschäfte leer, ältere Ladenbesitzer sitzen gelangweilt auf den Straßen und vertreiben sich die Zeit mit Mahjong und Kartenspielen.

"Es ist nicht viel los, und ich habe bereits im letzten Jahr einen Geschäftsrückgang von 60 Prozent hinnehmen müssen. Wenn es weiter so geht, werde ich mein Geschäft wohl auch schließen müssen", erklärt einer von ihnen. Noch vor einigen Jahren gab es in der Stadt ungefähr 900 Fabriken für Pyrotechnik, davon sind knapp 500 übrig geblieben. Viele mussten wegen neuer Sicherheitsauflagen, Umweltschutzmaßnahmen und Druck der Behörden schließen, andere hielten den wirtschaftlichem Schwierigkeiten nicht Stand. Die Branche in China ist im Umbruch, und eine Stadt wie Liuyang, in der fast ein Drittel der Bewohner direkt oder indirekt in der Industrie arbeitet, spürt diese Auswirkungen als erstes.

Die meisten der Fabriken befinden sich in den Hügeln rund um die Stadt, und in vielen werden die Pyrotechnik-Artikel noch von Hand gefertigt. Dabei schaufeln Arbeiter in individuellen Bunkern mit meterdicken, explosionsgeschützten Betonwänden eine brennbare Mischung aus Schwarzpulver und Chemikalien in die Feuerwerkskanister.

Neue Sicherheitsmaßnahmen verlangen die Installation von Überwachungskameras, die Live-Übertragungen an die lokalen Behörden schicken. Zwar kommt es nach wie vor zu Unfällen mit tödlichem Ausgang, doch die Sicherheitsstandards sind in China vergleichsweise hoch - und werden in jedem Jahr nachgeschärft. Größere Produktionsfirmen setzen daher auf automatisierte Produktionslinien, in denen die menschlichen Mitarbeiter nicht in Kontakt mit den explosiven Sprengstoffen kommen. Doch nicht alle können sich solche Anlagen leisten, und da die Löhne der chinesischen Arbeiter vor allem in den letzten Jahren gestiegen sind, haben etliche Unternehmen ihre Produktion bereits an Vietnam oder Bangladesch ausgelagert.

Elektro-Knallkörper sollen Feinstaubproblem lösen

Noch mehr setzte den Firmen die Anti-Korruptionskampagne von Staatspräsident Xi Jinping zu. Während lokale Provinzgrößen früher ganz gerne mal ein Feuerwerk spendierten, will heute niemand mehr mit allzu verschwenderischen Ausgaben auf sich aufmerksam machen. Ungemach drohte zudem aus dem Ausland: Auf die bloße Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, Feuerwerke mit Strafzöllen zu belegen, folgte unverzüglich ein Umsatzeinbruch. Vor allem aber macht der Branche der Trend in China selbst zu schaffen: Da Feuerwerke große Mengen an Feinstaub und Schwefeldioxid freisetzen, verbieten immer mehr Großstädte das Abbrennen von Pyrotechnik in dem smoggeplagten Land. Aus gutem Grund: Noch vor einigen Jahren führte die Feuerwerks-Orgie zum chinesischen Neujahr in Städten wie Peking zu einem deutlichen Anstieg der PM2,5-Werte auf bis zu 500 Mikrogramm pro Kubikmeter - ein Wert, der von der Weltgesundheitsorganisation als "gefährlich" eingestuft wird. Darüber hinaus sorgte die jährliche Ballerei auch immer wieder für Kollateralschäden: 2009 setzte ein Feuerwerk einen Teil des berühmten CCTV-Towers in Vollbrand. Das Hochhaus des Staatssenders brannte wie eine Fackel, die in der gesamten Hauptstadt zu sehen war.

Dass die Behörden hier einer weiteren beliebten Tradition den Riegel vorschoben, nahmen die Chinesen widerwillig zur Kenntnis. Jüngere Konsumenten sahen den Brauch ohnehin zunehmend kritisch, speziell junge Eltern ließen ihre Kinder nicht mehr mit den Knallern und Böllern hantieren. Die Feuerwerksindustrie musste reagieren und entwickelte Elektro-Knallkörper sowie umweltfreundliche Pyrotechnik: "Bei der Herstellung dieser Produkte werden ein verbessertes Schwarzpulver und einige neue Chemikalien verwendet. Die größeren Partikel, die nach der Explosion entstehen, fallen schneller zu Boden und haben weniger Einfluss auf den Feinstaub", erklärt Panda-Manager Wang.

Der Preis für eine Schachtel Umweltfeuerwerk liegt bei 600 Yuan (74 Euro) und damit 10 bis 15 Prozent über dem für normale Pyro-Artikel. Ein stolzer Preis in einem Land, in dem das durchschnittliche Jahreseinkommen bei 8000 Euro liegt. "Das Produkt war nicht so beliebt, wie wir erwartet hatten", muss Wang eingestehen. Er rechnet damit, dass der Druck auf die Branche mit weiteren Verboten zunehmen wird, und das nicht nur in China. Nicht immer werden diese aus Umweltschutzgründen verhängt: So wurde in Hongkong das traditionelle Silvesterfeuerwerk aus Angst vor weiteren Demonstrationen und Ausschreitungen abgesagt.