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Öl-Exportnation Kasachstan setzt auf Alternativenergie

Von Thomas Seifert

Wirtschaft
Passantin in der kasachischen Hauptstadt Nur-Sultan (früher Astana).
© Thomas Seifert

Ab 2050 will das an Kohle, Uran, Gas und Öl reiche zentralasiatische Land 50 Prozent des Energiebedarfs aus alternativen Energiequellen decken, sagt der kasachische Botschafter Kairat Sarybay im Interview.


"Wiener Zeitung": Der neue Präsident Kasachstans, Kassym-Zhomart Tokajew, hat wirtschaftliche Reformen angekündigt. Welche Schritte sind zu erwarten?Kairat Sarybay: Wir hatten Anfang des Jahres 2019 einen Wechsel an der Staatsspitze. Präsident Kassym-Zhomart Tokajew ist im März Nursultan Nasarbajew im Präsidentenamt nachgefolgt. Aber: Wir hatten einen Wechsel beim politischen Spitzenpersonal, nicht in der Politik. Denn das Motto des neuen Präsidenten ist Kontinuität. Das bedeutet: Wir müssen die 28-jährige Erfolgsgeschichte fortsetzen. Und das funktioniert mit wirtschaftlichen Reformen, Diversifikation und der Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen. Es ist aber das eine, Fördermittel zur Verfügung zu stellen. Das Andere ist, einen Geist des Entrepreneurships in der Gesellschaft zu wecken.

Wieso ist das eine besondere Herausforderung?

Kasachstan war ein Teil der Sowjetunion. In der UdSSR waren die sozialen Bedingungen andere. Was zählte, war das Kollektiv, es gab nach dem Ende der Sowjetunion zunächst weniger Mut, etwas Neues zu tun, Entrepreneur zu sein. Uns ist aber klar: Ohne Initiative unserer Bürgerinnen und Bürger wird unser Land immer nur ein Lieferant für Rohstoffe bleiben. Allerdings sind die Erwartungen der Menschen an einen paternalistischen Staat sehr hoch. Die Bevölkerung hat Erwartungen, die Menschen wissen: Der Staat hat Uran, der Staat hat Öl und Gas. Also wird uns der Staat schon helfen. Und selbstverständlich soll der Staat jenen, die in Not sind, unter die Arme greifen: Einem Paar, das gerade ein Kind bekommen hat. Den Alten. Den Kranken. Den Mittellosen. Aber den anderen hilft der Staat am besten, indem er ihnen die bestmöglichen Qualifikationen ermöglicht, damit sie im Leben weiterkommen. Und genau das tun wir. Ein Beispiel: Kasachstan schickt seit mehr als 20 Jahren Studenten nach Österreich, die hier Tourismus oder Management studieren.

Welche Initiativen setzt Kasachstan in der Bildungspolitik?

Wir setzen nicht nur auf die Weiterentwicklung der Nursultan-Nasarbajew-Universität, sondern wir wollen auch auf das duale System, das in Österreich hervorragend funktioniert, setzen. Denn unser Land braucht gut ausgebildete Fachkräfte. In der Sowjetunion gab es Schulen, die den HTLs in Österreich ähnlich sind. Solche Schulen werden heute in Kasachstan gefördert, für begabte Schüler und Studenten gibt es Stipendien.

Welche Rolle sehen Sie für Kasachstan bei der Seidenstraßen-Initiative Chinas?

Kasachstan will die Rolle der Drehscheibe für Zentralasien übernehmen. Kasachstan belegt auf dem Ease-of-Doing-Business-Index der Weltbank den 25. Platz, wir bemühen uns um die Stabilität unserer Währung und haben zur Förderung des Finanzdienstleistungs-Sektors das Internationale Finanzzentrum Astana eingerichtet. Das Projekt einer Eisenbahnverbindung von Westeuropa nach Asien im Rahmen der Neuen Seidenstraße hat unglaubliches Potenzial. Vor zwei Jahren gingen 100.000 Container von China nach Europa und retour über die Schiene. Vor einem Jahr waren es 200.000. Für 2021 rechnen wir mit zwei Millionen Containern.

Der Konflikt zwischen Moskau und Kiew ist aber eine Belastung für dieses Projekt . . .

Im Moment ist leider durch den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine eine Route über Kiew-Moskau nicht wirklich möglich. Wir hoffen aber darauf, dass es Fortschritte in den Beziehungen zwischen den Konfliktparteien gibt. Wir haben hervorragende Beziehungen sowohl mit Russland als auch mit der Ukraine. Dennoch sind wir Opfer der Sanktionen. Wir mussten wegen der Spannungen zwischen beiden Ländern auch die Flugverbindung von Astana nach Kiew einstellen, weil unsere Airline russisches Territorium umfliegen hätte müssen - was schlicht unrentabel gewesen wäre.

Wie sieht es mit den wirtschaftlichen Beziehungen zu Österreich aus?

Kasachstan ist Österreichs wichtigster Öl-Lieferant. Und Österreich ist ein wichtiges Investitionsziel für Investoren aus Kasachstan. Das Ritz-Carlton am Schubertring in Wien ist da ein prominentes Beispiel. Es gibt auch Projekte in spannenden Nischen: Etwa eine Kooperation bei der Produktion von Stutenmilch - ein wichtiges Nischenprodukt, weil Stutenmilch der beste Ersatz für Muttermilch ist. Perspektiven sehe ich aber auch vor allem im IT-Sektor.

Welcher Handelspartner ist für Kasachstan wichtiger: China oder Russland?

15 oder 20 Prozent unseres Handels treiben wir mit Russland - die Zahl für China liegt ein wenig höher. Wir exportieren Rohstoffe, aus China beziehen wir Fertigprodukte. Die EU ist ebenfalls ein wichtiger Handelspartner. Wir liefern Öl und beziehen vor allem Investitions- und Konsumgüter aus EU-Ländern. Mit Russland haben wir historisch enge Beziehungen. Wir stellen uns auch immer wieder die Frage: Wer sind wir? Sind wir Asiaten? Sicher. Sind wir Europäer? Vielleicht auch das. Wir spüren eine gewisse Nähe zur europäischen Kultur, die nicht zuletzt in der Sowjetunion eine Rolle gespielt hat. Die UdSSR war Europa viel näher als China. Immerhin waren die Beziehungen zwischen Moskau und Peking vor allem in der Ära von Joseph Stalin, Nikita Chruschtschow und Leonid Breschnew einerseits und Mao Zedong andererseits nicht so gut.

Kasachstan ist Öl- und Gasexporteur. Welche Energiepolitik verfolgt das Land?

Kasachstan ist nicht nur reich an Öl und Gas, sondern auch an Kohle. Dennoch streben wir danach, erneuerbare Energiequellen einzusetzen. Wir haben das Ziel, ab dem Jahr 2050 die Hälfte unseres Energiebedarfs aus alternativen Energiequellen zu gewinnen. Für Windenergie, Solar- und geothermische Energie gibt es gute Voraussetzungen. Zudem sind wir Uranproduzent Nummer eins - bei den Uranreserven liegen wir auf Platz zwei hinter Australien. Wir wissen, dass viele in Österreich der Kernenergie kritisch gegenüberstehen - wir sehen die Atomenergie als wichtigen CO2-neutralen Energielieferanten.

Zur Person~ Kairat Sarybay (geboren 1966) studierte in St. Petersburg und arbeitete unter anderem als Berater des Präsidenten Nasarbajew, als stellvertretender Minister im Außenministerium sowie Botschafter in Ankara, Berlin und nun in Wien.