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Chinas Highway to Hell?

Von WZ-Korrespondentin Andrea Jeska

Wirtschaft

Montenegro baut eine Autobahn, doch der milliardenteure erste Bauabschnitt trieb die Staatsverschuldung bereits auf mehr als 80 Prozent. Geldgeber ist die chinesische Staatsbank. Der Deal mit den Chinesen ist nicht ohne Fallstricke.


Kojo Lakusic und seine Frau Ajda leben mit Fuchs und Wolf. So jedenfalls, sagt Lakusic, käme es ihm vor, seit der größte Teil der Bewohner seines Dorfes Lijeva Rijeka fortzog. Nur die Alten seien geblieben - und gestorben. Die Häuser der ehemaligen Nachbarn stehen leer, der Lebensmittelladen ist geschlossen. Krank werden, witzelt Lakusic, dürfe man nur noch an Montagen, dann nämlich käme ein "Besuchsdoktor" vorbei.

Lakusic und seine Frau leben von den 127 Euro Pension, die er aus der Zeit bezieht, als er Fabrikarbeiter in der Hauptstadt war, die damals noch Titograd hieß. Ohne die Kühe, zwei Schweine und einen Gemüsegarten würde das zum Sattwerden nicht reichen. Das Haus hat Lakusic selber gebaut aus Felssteinen und dem Holz der umliegenden Wälder. Die viele Arbeit hat die Hände des 67-Jährigen breit und schwielig werden lassen, die Haut in seinem Gesicht ist gefaltet wie eine Ziehharmonika.

Lijeva Rijeka ist ein Bergdorf in Montenegro, gelegen zwischen der Hauptstadt Podgorica und der Kleinstadt Kolasin. Von der Europastraße 80, die von Podgorica aus in den Norden läuft, schlängelt sich die Landstraße P19 in scharfen Serpentinen bergan, verliert sich in Wäldern und durchläuft Dörfer, in denen Armut und Verlassenheit hausen wie böse Geister. Vom Tourismusboom, den Montenegro besonders an seiner Küste in den vergangenen Jahren erlebt, ist hier nichts zu spüren. Und auch von keiner anderen Entwicklung.

Chinas Staatsbank verhilft zum Traum von der Autobahn

Unweit der Kreuzung zwischen der E80 und der P19 ziehen sich Narben über die Berge. Baumaschinen fahren hin und her. Bauschutt und Aushub lagern dort, wo der Wald kahl geschlagen wurde. Hier, bei der Stadt Smokovac, beginnt der erste 43 Kilometer lange Bauabschnitt der insgesamt 163 Kilometer langen Bar-Boljare-Autobahn, die nach ihrer Fertigstellung den montenegrinischen Hafen Bar mit Serbien verbinden soll. Zum Transport von Gütern, zur Ankurbelung des Tourismus, zur Belebung des wirtschaftlich schwachen Norden des Landes. Denn Montenegro hat als einziges europäisches Land bislang nur Schnellstraßen durch die gebirgige Region oder entlang der Küste, auf denen ein zügiges Vorankommen kaum möglich ist. Die Autobahn ist, da ist man sich in Montenegro einig, dringend vonnöten.

Doch die Umstände und Folgen des Baus sind heftig umstritten. Nie hätte Montenegro ein solches Infrastrukturprojekt selber bewältigen können. Nicht einmal 14.000 Quadratkilometer groß (zum Vergleich: Tirol erstreckt sich über 12.600 Quadratkilometer), mit einer Einwohnerzahl von 626.000, gehört es zu den ärmsten Staaten Europas. Die Autobahn war lange nur Traum - bis 2014 die chinesische staatliche Exim-Bank einen Kredit von gut 800 Millionen Euro offerierte, um einen Teilabschnitt zu bauen. Die Bedingungen: Das halbstaatliche chinesische Unternehmen CRBC übernimmt die Bauausführung, dafür werden 3000 Arbeiter sowie Maschinen ins Land gebracht - Letztere zollfrei.

Der Bau ist Teil der chinesischen Belt-und-Road-Initiative, auch "neue Seidenstraße" genannt. Das 900 Milliarden Euro schwere Infrastrukturprojekt wurde 2013 von Chinas Präsidenten Xi Jinping ins Leben gerufen. Auf einem Netzwerk aus Straßen, Schienen und dem Seeweg sollen chinesische Waren durch die ganze Welt und auch mitten ins Herz Westeuropas transportiert werden. Montenegro, wie auch die Balkanstaaten Serbien, Nordmazedonien, Ungarn, Kroatien und Bosnien-Herzegowina, sind das Einfallstor in dieses europäische Herz. Mehr als 29 Milliarden Dollar (26,15 Milliarden Euro) hat China seit 2007 in Osteuropa investiert.

Neben Geld bringen die Chinesen noch etwas anderes: Expertise. Der größte Teil Montenegros besteht aus Bergen. Wenn die Autobahn fertig ist, wird sie mehr als 1000 Meter Höhenunterschied überwunden haben, über 40 Brücken und durch 90 Tunnel laufen und mit 25 Millionen Euro Kosten pro Kilometer die teuerste Autobahn Europas sein. Gebaut wird in vier Teilabschnitten, drei davon auf montenegrinischer Seite. Doch bekanntlich erfüllen die Götter nur jenen Träume, die sie bestrafen wollen. Bereits der Kredit für den ersten Teilabschnitt hat die Verschuldung des wirtschaftsschwachen Montenegros auf über drei Milliarden Euro ansteigen lassen.

Kojo Lakusic sitzt in der winzigen Stube seines Drei-Zimmer-Hauses, die auch zugleich Küche und der einzige Raum mit einem Ofen ist, und raucht eine Trokadero-Zigarette, dazu gibt es selbstgebrannten Schnaps aus den Äpfeln im Garten. Die Autobahn? Die sei dazu da, die Taschen der Regierung zu füllen, sagt er. Im Radio hat er den Ministerpräsidenten sagen hören, der Bau werde Wohlstand für alle Bürger des Landes bringen und sei auch ein Projekt zur Armutsbekämpfung. Lakusic hatten sie da gerade seine karge Rente um zehn Euro gekürzt und seine Frau war krank geworden, aber einen Arzt konnten sie nun nicht mehr bezahlen.

In Podgorica begeht in jenen Tagen des Frühherbstes die chinesische Botschaft das 70-jährige Bestehen der Volksrepublik im Hilton Hotel mit einer Ausstellung über Chinas Entwicklung seit der Kulturrevolution, chinesischem Buffet und vielen Gästen. Auch Premierminister Dusko Markovic ist dabei. Während man an Stehtischen plaudert und speist, läuft auf einer großen Leinwand ein Imagefilm mit dramatischer Musik und atemberaubenden Landschaften. Die Botschaft ist unmissverständlich: China ist groß. China ist mächtig.

Botschafter Liu Jin skizziert in seiner Rede die immensen Fortschritte seines Landes in den vergangenen 70 Jahren. Eine glorreiche und beschwerliche Reise sei es gewesen von den semi-feudalen und semi-kolonialen Zeiten zur heutigen Position als zweitgrößte Wirtschaftsmacht. China trage seit vielen Jahren mit mehr als 30 Prozent zum weltweiten Wachstum bei, vor allem durch die Belt-and-Road-Initiative. Diese nütze der Welt, nütze dem Balkan, nütze Montenegro.

Kein Gesamtkonzept,Kritik am Deal mit China

Doch die Kritiker sehen das anders: Die BRI nütze vor allem China. Das Wachstum des Reiches der Mitte wird seit 2008 durch Schulden finanziert, diese machen inzwischen mehr als 100 Prozent der Gesamtwirtschaftsleistung und 135 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Die bisherige Wachstumsstrategie durch Verschuldung hat ihre Grenzen erreicht. Was China jetzt bleibt, ist der Export von Kapital und Arbeitskraft. Die BRI sei Chinas zentrales Vehikel für die angestrebte Führungsrolle, heißt es in einer Studie der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik. "Die von Staatspräsident Xi Jinping energisch vorangetriebene Belt-and-Road-Initiative könnte eine Strategie darstellen, um das bisherige chinesische Modell schuldenfinanzierten Wachstums zu exportieren. Allerdings werden die neuen Schulden nicht China, sondern den Empfängerländern aufgebürdet."

Milos Konatar, stellvertretender Vorsitzender der Oppositionspartei URA, sagt im Gespräch mit der "Wiener Zeitung", auch die Oppositionsparteien stünden hinter dem "größten Projekt in der modernen Geschichte Montenegros", aber nicht hinter dem Deal mit China. Weil es darüber keine Transparenz gebe. "Wir kennen die groben Umrisse des Vertrags. Doch der Teufel steckt im Detail. Und diese verheimlicht unsere Regierung. Der Vertrag gilt als Verschlusssache."

Öffentlich bekannt seien lediglich die Kreditsumme, die Verzinsung von zwei Prozent, die Laufzeit von 20 Jahren und eine Frist von sechs Jahren bis zur ersten Rate. Doch wie die Regierung ihre Kreditschulden ab 2020 zurückzahlen will, darüber fehlen die Details. "Zukunftsplanung ist nichts, was unsere Regierung beherrscht", sagt der 36-jährige Ökonom spöttisch. "Sie haben mit dem Bau begonnen, bevor es ein Gesamtkonzept für die Autobahn gab. Die Regierung brauchte Geld, die Export-Import Bank von China (Exim Bank) gab es ihnen und sie nahmen es, um es für ihren eigenen Profit in regierungsnahe Subunternehmen zu pumpen."

Kotanar befürchtet, dass sich in den Verträgen "teuflische Details" wiederfinden, so wie sie auch in Exim-Bank-Verträgen mit anderen Ländern aufgetaucht sind. Für Diskrepanzen ist ein chinesisches Gericht zuständig und im Falle einer Nicht-Begleichung der Kreditschulden dürfen die Chinesen Land konfiszieren. "Unsere Regierung leugnet das nicht, sie verweigert nur die Auskunft", sagt Kotanar.

"Willkommen im Teufelskreis der Verschuldung"

"Das sind doch alles Missverständnisse", sagt nach dem Empfang Botschafter Liu Jin. Die Chinesen seien in Montenegro und auf dem Balkan, um zu helfen, der Vertrag über den Autobahnbau entspräche internationalen Standards. Die weltweite Kritik an chinesischen Investments sei eine Art von Diskriminierung, entstamme einem Eindruck aus der Ära des Kalten Krieges. "China ist nicht mehr das Land von damals. Wir möchten unser Wachstum und unser Wissen mit armen Ländern teilen. Wir wollen nicht mehr isoliert sein, das waren wir lange genug. Wir haben unsere Türen geöffnet." Und überhaupt, sagt Lin, sei das schließlich nicht die Autobahn der Chinesen, sondern die Montenegros. "Wir gefährden diesen Staat nicht und wir wollen ihm auch kein Land wegnehmen." Kritische Fragen sollten doch bitte an die Regierung gerichtet werden.

Ana Nikolic ist Abgeordnete der regierenden Demokratischen Partei der Sozialisten (DPS) und Mitglied etlicher Ausschüsse, die mit Finanzen, Kontrolle, Umwelt und Tourismus zu tun haben. Zu den Details des Vertrags mit der Exim-Bank könne sie nichts sagen, sagt Nikolic. "Ich habe diesen nicht gesehen. Aber ich vertraue unserem Premierminister, denn er ist ein verantwortungsbewusster Mann." Was sie über Landkonfiszierungen im Falle montenegrinischer Zahlungsunfähigkeit sagen könne? "Ich kann mir einen solchen Paragrafen nicht vorstellen. Ich werde danach fragen."

Die Oppositionsparteien, Thinktanks, investigative Medien und Ökonomen des Landes haben ihre Zweifel darüber geäußert, dass die Regierung ihre Schulden begleichen könne. Nikolic entgegnet den Kritikern: "Wir haben ein Austeritätsprogramm, ein Wirtschaftswachstum von 3,9 Prozent und schon jetzt generiert der Bau neue Investitionen in vielen Bereichen."

Im September 2020 soll der erste Bauabschnitt fertiggestellt sein. Damit die teuerste Autobahn Europas nicht im Nirgendwo endet, weil der Staat Montenegro keinen weiteren Kilometer bezahlen kann, will die Regierung Teil zwei mit Hilfe von Privatinvestoren im Rahmen einer Public Private Partnership realisieren. Das Interesse daran hält sich in Grenzen. Der bislang einzige öffentliche Interessent: die Exim-Bank. "Willkommen im Teufelskreis der Verschuldung", spottet Kontanar. "Wie immer bezahlen wir einen Kredit mit dem nächsten. Und wenn das System nicht mehr funktioniert, wird schon irgendjemand einspringen. Die internationale Gemeinschaft und internationale Kreditinstitute." Ob er dennoch glaubt, die Autobahn werde eines Tages fertig sein? "Ja. In 20 oder 30 Jahren wohl schon."

Die Recherchen zu diesem Artikel wurden mit einem Stipendium des Schweizer Vereins "real21 - die Welt verstehen" realisiert.