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"In Afrika gibt es mehr Smartphones als in den USA und in Europa zusammen"

Von Bernd Vasari

Wirtschaft

Es gebe zwar noch viele Probleme, aber Afrika sei gerade dabei, mehrere Entwicklungsschritte zu überspringen, sagt der senegalesische Wirtschaftstreibende Amadou Mansour Mbodj.


In Afrika brechen neue Zeiten an. Nach 20 Jahren muss das im Mai auslaufende Partnerschaftsabkommen Cotonou mit der Europäischen Union neu verhandelt werden, in Westafrika steht eine tiefgreifende Reform der Währung Franc CFA an, die künftig "Eco" heißen soll, und es soll einen gemeinsamen Wirtschaftsraum geben.

Währenddessen überspringen Länder wie Senegal mehrere Entwicklungsschritte, sagt Amadou Mansour Mbodj, Geschäftsführer der Marketing- und Betriebsplattform CO.LI.E.R. Er ist Teil einer sechsköpfigen Delegation rund um den senegalesischen Industrieminister Moustapha Diop, die derzeit durch Österreich reist und von der Wirtschaftskammer durch Betriebe geführt wird. Für die "Wiener Zeitung" stand er als Gesprächspartner zu Verfügung:

"Wiener Zeitung": Herr Mbodj, Europa ist noch immer arm an Rohstoffen, aber sein Reichtum wächst. Afrika ist immer noch reich an Rohstoffen, aber der durchschnittliche Afrikaner verdient 20 Mal weniger als der durchschnittliche Europäer. Was läuft da falsch?Amadou Mansour Mbodj: Ja, wir sind reich an Rohstoffen. Ein Drittel der fruchtbaren Böden weltweit befindet sich in Afrika. Auch das Klima begünstigt den Kontinent, von Norden bis Süden ist es das ganze Jahr über konstant. Natürlich gibt es aber viele Probleme nach einer jahrhundertelangen Sklavenzeit, gefolgt von einer langen Periode der Kolonialisierung mit einhergehender Abhängigkeit von den europäischen Staaten. Im Vergleich dazu hatten wir erst sehr wenig Zeit, uns selbständig zu entwickeln. Doch wir machen rasante Fortschritte. Es gibt mehr Smartphones in Afrika als in den USA und Europa zusammen, im Senegal haben wir im ganzen Land eine gute Internetverbindung.

Würden Sie bestätigen, dass die Afrikaner das Zeitalter des PC - in dem die Europäer teilweise noch immer leben - übersprungen haben?

Auf jeden Fall. 80 Prozent der Einwohner sind jünger als 35 Jahre alt, ihre Eltern hatten gar keine Computer, sie selbst sind aber in einer digitalen Welt aufgewachsen, in der sich alles um das Smartphone dreht. Einen PC hat hier niemand. Auch in der Landwirtschaft versuchen wir, Entwicklungsschritte zu überspringen. Viele afrikanische Bauern setzen gleich auf Bioproduktion anstatt auf konventionelle Landwirtschaft.

Rund 90 Milliarden Euro überweisen afrikanische Migranten jährlich nach Hause, das ist weit mehr als die gesamte Entwicklungshilfe (rund 20 Milliarden Euro), die ihr Kontinent pro Jahr erhält. Im Senegal betragen die Überweisungen der Migranten mittlerweile mehr als zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Wie könnte sich Afrika von Europa emanzipieren?Wir sind gerade dabei, uns zu emanzipieren. Die Auslandssenegalesen bringen das Doppelte der Entwicklungshilfe ins Land und die Ersparnisse der Senegalesen im Senegal machen vier Mal so viel aus. Auch der Staat hat eigene Finanzkräfte. Die Grundvoraussetzungen für eine unabhängige Entwicklung sind also gegeben, Senegal ist nicht abhängig von der Entwicklungshilfe. Neben Geld gibt es Naturressourcen in Hülle und Fülle und junge, ausgebildete Menschen. Es fehlt jedoch an der Expertise, der Technologietransfer ist noch notwendig.

Die Europäer überfluten Afrika mit überschüssigen und hoch subventionierten Agrarerzeugnissen und zerstören so die Marktchancen der einheimischen Kleinbauern. Wie kann das verhindert werden?

Wir müssen uns besser organisieren. In Europa ist alles von A bis Z abgestimmt - von der Produktion, Ernte, Verpackung, Vertrieb. Im Senegal ist diese Produktionskette noch inexistent. Es gibt ein bisschen Verpackung, ein bisschen Produktion, viele individuelle kleine Akteure im Land, wo jeder für sich arbeitet. Wir wollen von Europa lernen, deswegen sind wir jetzt hier in Wien, wo der Industrieminister sich in den nächsten Tagen unterschiedliche österreichische Betriebe ansehen wird.

Nach 20 Jahren läuft im Mai das Cotonou-Abkommen zwischen der EU und der AKP (79 Länder aus Afrika, Karibik, Pazifik) aus. Auf was wird es bei den Neuverhandlungen ankommen? Wo sollte Afrika seine Schwerpunkte legen?

Wir wollen zuerst unsere eigene Union stärken. Dazu brauchen wir aber eine Ausweitung der eigenen Freihandelszone, die in Teilen bereits besteht. Nur wenn wir stark sind, werden wir ein gutes Ergebnis erzielen können.

Derzeit ist der Handel untereinander überschaubar. 2018 gingen nur 16 Prozent aller afrikanischen Exporte in andere afrikanische Länder . . .

Der Grund liegt darin, dass Produkte, die in Afrika hergestellt werden - wie Baumwolle, Cashewkerne und so weiter - vor allem außerhalb des Kontinents in China und in Europa nachgefragt werden. Aber klar: Wir müssen an der internen Organisation arbeiten, die Logistik optimieren, Zollbarrieren abbauen.

Zuletzt gab es eine Reform des Franc CFA, der nun in Eco umbenannt wurde. Die Währung hängt jedoch nach wie vor mit festem Wechselkurs am Euro. Wäre es nicht an der Zeit für eine eigene unabhängige Währung Afrikas, unabhängig vom Euro?

Bis jetzt garantiert die französische Nationalbank den fixen Kurs zum Franc CFA. Wir streben nun eine komplette Unabhängigkeit an. Das ist ein großer Schritt, da müssen wir zusammenstehen. Derzeit laufen die Verhandlungen.

Senegal hat ein gutes Wachstum, die entscheidenden Projekte werden aber von China finanziert. Lauert hier nicht die Gefahr der nächsten Abhängigkeit?

Der Industrieminister ist neben seiner Reise nach Österreich auch in anderen Ländern unterwegs, um andere Investoren ins Land zu holen. Er möchte ausländische Investitionen fördern, nicht nur jene aus China, sondern auch jene aus der EU.

Senegal ist auch vom weltweiten Phänomen des immer stärker werdenden Stadt-Land-Gefälles betroffen. Wie will die Regierung dieses Problem lösen?

Die Regierung hat einen staatlichen Entwicklungsplan verabschiedet, der die Schaffung sogenannter Agropols vorsieht. Das sind Sonderwirtschaftszonen für die Lebensmittelverarbeitungsindustrie mit steuerlichen Vorteil für die Unternehmen, die sich dort ansiedeln. Damit soll in einem ersten Schritt die lokale Produktion und später der Export gefördert werden. Die Freihandelszonen sind alle im ländlichen Raum angesiedelt. Auch die Infrastruktur wird im ganzen Land ausgebaut. Neben Flussbegradigungen werden 2600 Kilometer Schienen verlegt. Wir wollen das Land nachhaltig nach vorne bringen und am besten weiterhin Etappen überspringen.