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Versklavt und verkauft

Von WZ-Korrespondentin Simone Schlindwein

Wirtschaft
Täglich gehen Flüge von Ugandas Hauptstadt Kampala in die Vereinigten Arabischen Emirate.
© getty images/Universal Stop

Auf der Suche nach einem Job im Ausland erleiden etliche Uganderinnen Ausbeutung und Gewalt.


Auf dem Flugfeld inmitten der ugandischen Hauptstadt Kampala werden Ausstellungszelte errichtet, Werbebanner angebracht, Lautsprecher montiert. "Ihr sucht nach Arbeit? Ihr wolltet schon immer mal ins Ausland?", dröhnt eine Werbestimme.

Ugandas Ministerium für Arbeit hält gemeinsam mit dem Verband der Rekrutierungsfirmen (UAERA) eine Messe ab. Das Ziel: Ugandern auf dem globalen Arbeitsmarkt einen Job zu vermitteln. "Wir suchen Fahrer, Kindermädchen, Altenpflegerinnen oder Sicherheitskräfte", steht auf einem Banner. "Wir haben Jobs in Dubai, Saudi-Arabien, Jordanien oder Oman!", ist auf einem weiteren Plakat zu lesen.

Olivia Nataluswata lässt sich am Stand der Firma Sipi Contours einen Flyer aushändigen. Manager Robert Kaconco verwickelt sie in ein Gespräch: "Wir bieten monatliche Gehälter bis zu zwei Millionen Schilling - steuerfrei." Das sind umgerechnet knapp 500 Euro. Nataluswata macht große Augen. "Das ist vielversprechend." Die 25-jährige Mutter arbeitet derzeit in einem Supermarkt in Zwölf-Stunden-Schichten. Dabei verdient sie 85 Euro monatlich, ein Standardgehalt. Bisher habe dies ausgereicht, weil ihr Mann einen guten Job hatte, erzählt sie. "Doch die Firma ist pleite und hat seit vier Monaten nicht bezahlt."

Jobs in Dubai, Saudi-Arabien oder Jordanien bieten die Rekrutierer bei einer Messe in Kampala an.
© Schlindwein

"Welche Arbeitsbedingungen bieten Sie?", fragt die Frau. Der Manager nickt. Auf diese Frage war er vorbereitet.

Im September erst wurden die Leichen von fünf Ugandern nach Hause geflogen. 23 Frauen wurden im Juli auf Regierungskosten aus Jordanien ausgeflogen. Weitere 53 junge Frauen hatten sich nur wenige Tage danach in die ugandische Botschaft in Dubai gerettet. Als sie in Uganda aus der Maschine stiegen, weinten die meisten.

Todesursache Suizid

Bereits im Jahr 2017 veröffentlichte ein Untersuchungsausschuss die Zahl von 48 toten Ugandern. "Die Haupttodesursache war - in 35 Fällen - Suizid", heißt es im Bericht. "Die übrigen Menschen starben durch Herzinfarkte, traumatische Schocks, Unfälle, Vergiftungen, Herzprobleme, Mord, Ertrinken, Meningitis und Komplikationen ausgelöst durch Aids."

Eine der Rückkehrerinnen aus Jordanien ist Doreen Maghezi. Die 37-jährige alleinerziehende Mutter war halb bewusstlos, als sie im Juli aus dem Flugzeug getragen wurde. Zwei Wochen lang lag sie daraufhin im Krankenhaus. Neben starker Dehydration durch eine Typhusinfektion wurde auch eine Vergiftung durch Schwermetalle diagnostiziert. "Ich wäre fast gestorben", sagt Maghezi unter Tränen.

In Ausstellungszelten werben die Firmen um Arbeitskräfte.
© Schlindwein

Dabei hatte sie so viele Hoffnungen: ein eigenes Unternehmen gründen, ein Auto anschaffen. Auch Maghezi hatte die Expo besucht. Nach mehr als einem Jahr Arbeitslosigkeit war sie damals bereit, ihre Kinder bei ihrer Mutter zu lassen und im Ausland zu arbeiten.

Auf der Messe hatte sie die Bewerbungsunterlagen der Firma Marphie erhalten. Sie sei zu einem Vertrauensarzt geschickt worden, einem Gynäkologen. Dieser testete sie auf Schwangerschaft, sexuell übertragbare Krankheiten. "Er gab mir kostenlose Anti-Baby-Pillen für zwei Jahre", berichtet Maghezi. "Sie wissen also genau, was auf die Frauen zukommt, wenn sie sie ins Ausland schicken", schlussfolgert sie heute.

Im November 2018 unterschrieb sie den Arbeitsvertrag. Darin wurde ihr ein Monatslohn von umgerechnet rund 200 Euro zugesagt. "Wir haben die Verträge sehr rasch unterzeichnet, ohne die Details zu lesen", gibt die Frau zu. Was sie dabei übersah, war eine Klausel, die ihr später zum Verhängnis wurde. Darin hieß es: Wenn sie den Vertrag vorzeitig abbreche, dann müsse sie das Flugticket zurückzahlen.

Pass und Telefon weg

Zwei Mal täglich fliegt die Billigairline Flydubai von Uganda aus in die Vereinigten Arabischen Emirate. Am Check-in-Schalter stehen hunderte Ugander und Uganderinnen. Sie tragen T-Shirts mit den Logos der Rekrutierungsfirmen. Den meisten ist die Nervosität anzusehen.

In so einer Reisegruppe befand sich am 3. April auch Maghezi. "Ich war so aufgeregt", erinnert sie sich. "Bei der Ankunft in Amman empfing uns ein jordanischer Agent." Er habe ihr Pass und Telefon weggenommen.

Wenn Maghezi heute von ihren vier Monaten in Jordanien erzählt, schluchzt sie und versteckt ihr Gesicht unter ihrem Kopftuch. Seit ihrer Rückkehr verhüllt sie ihren Körper. Das Trauma der Vergewaltigungen ist ihr anzusehen, auch wenn sie darüber gar nicht sprechen möchte.

Sie erzählt stattdessen vom Alltag als Hausmädchen einer wohlhabenden Großfamilie: Täglich sollte sie die Bodenfliesen auf Hochglanz bürsten, das Goldbesteck mit Chemikalien reinigen. "Danach hatte ich Nasenbluten", sagte sie. "Sie gaben mir Kräutertee, und ich musste weiterarbeiten."

Am schlimmsten fand sie die "psychischen Misshandlungen". Sie habe nur einmal am Tag die Essensreste der Familie vorgestellt bekommen. Sie habe auf dem Boden schlafen müssen, habe das Haus nicht verlassen dürfen. Immer wieder sei sie beschimpft und geschlagen worden. Maghezi schluchzt: "Ich war so schwach, weil ich so hungrig war."

Vier Monate lang hielt sie durch. Ihr Glück, so berichtet sie: Sie fand in einem Versteck ihr Telefon, schloss sich damit im Klo ein und schickte per WhatsApp eine Videobotschaft an ihre Schwester in Uganda. Diese beschwerte sich bei ihrer Agentur. "Später warfen sie mir vor, faul zu sein", erinnert sich Maghezi. Man sagte ihr, dass, wenn sie den Vertrag vorzeitig abbreche, sie der Firma die Tickets zurückbezahlen müsse. Da schickte ihr die Schwester die Telefonnummer von Betty Nambooze, der Abgeordneten des Parlaments für Maghezis Heimatbezirk Mukono am Stadtrand von Kampala.

Firmen im Zirkel der Macht

Die 50-jährige Oppositionspolitikerin Nambooze sitzt in ihrem Haus auf dem Sofa. Vor ihr liegen zwei Mobiltelefone, die stetig vibrieren. Seitdem sich Nambooze für die Frauen im Nahen Osten starkmacht, gibt bei ihr das Handy keine Ruhe.

Sie zeigt auf ihre WhatsApp-Nachrichtenliste. Lauter Botschaften von Uganderinnen, die um Hilfe bitten, weinen, schreien - mehr als hundert pro Tag. Sie klickt auf eine Sprachnachricht mit saudi-arabischer Vorwahl. Eine Frauenstimme schluchzt: "Ich werde mit der Waffe bedroht und mit einem Draht geschlagen, ich weiß nicht mehr weiter", weint sie. "Wenn mich niemand rettet, werde ich hier sterben."

Nambooze fordert seit mehr als einem Jahr im Parlament einen Stopp der Rekrutierungspolitik. "Das ist moderner Sklavenhandel", wirft sie den Firmen vor, die sie ein "Kartell" nennt. "Man muss sich nur mal angucken, wem diese Unternehmen gehören", sagt sie und deutet mit dem Zeigefinger Richtung Himmel. In Uganda ist dies ein unausgesprochenes Zeichen für den engsten Zirkel der Macht um Präsident Yoweri Museveni, angeführt von dessen jüngerem Bruder und Präsidentenberater Salim Saleh, der für wirtschaftliche Beziehungen zum Ausland verantwortlich ist.

Auf der aktuellen Liste der Firmen, die vom Arbeitsministerium lizenziert sind, stehen 166 Namen. Ganz oben finden sich rund ein Dutzend Unternehmen, die mit Musevenis Bruder Saleh verbandelt sind. Darunter ist die Sicherheitsfirma Saracen, die seit dem Beginn des US-Feldzugs gegen den Terror Sicherheitskräfte für US-Militärstützpunkte in Afghanistan und Irak anheuert. Sie gilt als eine der einflussreichsten Söldnerfirmen in Afrika. Seitdem die Regierung auch Lizenzen für andere Jobs im Ausland vergibt, vermitteln sie zunehmend mehr Frauen als Hausmädchen.

Auf Listenplatz 58 steht die Firma Marphie, die Maghezi nach Jordanien vermittelt hat. Auch Marphie-Chefin Ruth Karungi hat einflussreiche Kontakte. Ihr Mann ist Polizeikommissar. Maghezis Rückkehr im Juli ist zum Politikum geworden, weil die todkranke Frau vom Flugzeug nicht direkt ins Krankenhaus gebracht wurde, sondern von der Polizei abgeführt worden war. Maghezi sagt, die Polizisten hätten ihr eingebläut, das Image der Firma nicht zu beschmutzen. Bis heute fürchtet sie sich.

Drei Wochen später debattierte das Parlament die Problematik. Dabei erklärte die Ministerin für Geschlechtergleichstellung, Peace Mutuuzo, bereits 2015 habe die Regierung die Rekrutierung von Hausmädchen ins Ausland verboten. Auch andere Länder Afrikas, wie zum Beispiel Äthiopien, hätten ein solches Verbot erlassen. Daraufhin seien viele Frauen von Schleusern illegal ins Ausland vermittelt worden. Die Zahl der Misshandlungen habe sich sogar noch erhöht. "Als uns dann viele Ugander von dort kontaktierten und von ihrem Leid berichteten, hatten wir in vielen Fällen Schwierigkeiten zu helfen", erklärt Mutuuzo. Viele Betroffene seien im Besitz falscher Pässe gewesen, die sie nicht einmal als Ugander auswiesen. "Der beste Weg ist also, einen Mechanismus einzuführen, welcher die Nachverfolgung dieser Arbeitsmigranten möglich macht."

Der Verband der Rekrutierungsfirmen UAERA hat seine Büros in einem schicken Bürohochhaus mit eigenem Fitnessraum. Vorsitzende Enid Nambuya stellt klar: "Unfälle und Tod können in jedem Arbeitsverhältnis passieren." Sie ergänzt: "Wenn es jedoch im Ausland geschieht, dann bekommt das eine andere Aufmerksamkeit." Sie wirft den Medien vor, keinen Unterschied zu machen zwischen den regulierten Firmen und illegalen Schleppern, die Frauen in Länder verschicken, mit welchen die Regierung keine Abkommen geschlossen habe, zum Beispiel mit Oman, wo die jüngsten Todesfälle passiert sind. "Unsere Ermittlungen haben ergeben, dass die tödlichen Unfälle nicht Schuld der Firmen sind", betont Nambuya.

Sie verweist auf die Regeln, die die Regierung verabschiedet habe: Jede Arbeitskraft im Ausland müsse Zugang zu einem Telefon haben. In den Botschaften wurden Konsularbeamte beauftragt, mit den Frauen in Kontakt zu sein. "Wir können Menschen nicht ihr Recht auf Migration verbieten, wir können die Bedingungen aber besser machen", meint Nambuya.

Über dem Gesetz

Auch Maghezi hat vor ihrer Abreise ein einwöchiges Training erhalten, Telefonkontakte und medizinische Versorgung im Notfall zugesagt bekommen. "Aber manche Leute und Firmen in Uganda stehen über dem Gesetz", sagt sie. Sie will nun eine Selbsthilfegruppe für Rückkehrerinnen gründen und einen Anwalt einschalten. "Wir müssen dafür sorgen, dass die Frauen vor ihrer Abreise wissen, was auf sie zukommen kann."

Auf der Messe fragt Nataluswata skeptisch Manager Kaconco: "Man hört so viele brutale Geschichten über Misshandlungen und Tote. Stimmt das denn nicht?" Kaconco nennt das Beispiel einer Frau, die seine Firma Sipi in diesem Jahr ausgeflogen hatte: "Sie hat uns angerufen, sie sei geschlagen worden, ihr Gesicht sah sehr schlimm aus." Als sie jedoch in Uganda ihre Anzeige bei der Polizei aufgeben musste, gab sie zu, sie sei nur die Treppe hinuntergefallen.