Ruft einer Feuer, stürmen alle gleichzeitig zum Ausgang, es wird eng, Panik bricht aus: Anders lässt sich das Geschehen an den globalen Finanzmärkten zum Wochenstart phasenweise kaum beschreiben. Investoren fürchten eine globale Wirtschaftskrise infolge der Coronavirus-Epidemie.

Der Dax fiel am Montag zeitweise um mehr als acht Prozent auf ein 14-Monats-Tief von 10.558,17 Punkten und steuerte auf den größten Tagesverlust seit den Anschlägen auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 zu. Die Börsianer könnten die Fülle der Hiobs-Botschaften nicht mehr angemessen verarbeiten, sagte Portfoliomanager Thomas Böckelmann vom Vermögensverwalter Euroswitch. "Vielmehr wird der Ur-Fluchtinstinkt geweckt, der mittlerweile skurrile Züge annimmt, ob vor dem Supermarktregal oder an den Börsen." Der EuroStoxx50 büßte neun Prozent ein und notierte mit 2939,85 Zählern ebenfalls so niedrig wie zuletzt Anfang 2019.

Auch der Wiener ATX ist im Frühhandel um satte neun Prozent eingebrochen und stand im Mittagshandel immer noch um rund sechs Prozent im Minus.

Wall Street mit sieben Prozent Verlust

Auch die Wall Street in New York öffnete mit einem Minus von knapp sieben Prozent. Der Handel wurde nach Beginn sogar kurz ausgesetzt. In Italien, wo derzeit Millionen Menschen von Quarantänemaßnahmen betroffen sind, brach die Börse um mehr als elf Prozent ein. Der MSCI-Weltindex fiel um mehr als fünf Prozent und steuerte damit auf den größten Rückgang seit der Finanzkrise 2008 zu. "Gegenwärtig bestimmt die blanke Angst die Entwicklung an den Märkten", sagte Etsy Dwek, Chef-Anlagestrategin beim Vermögensverwalter Natixis. Der März dürfte schwierig bleiben. "Allerdings erwarten wir weitere geld- und fiskalpolitische Stimuli in den USA und Europa." Dies werde die Märkte mittelfristig stabilisieren.

Außerdem brachen die Ölpreise ein, nachdem Verhandlungen führender Ölstaaten über eine Drosselung der Förderung gescheitert waren. Aktienkurse sackten ab, als sicher geltende Anlagen wie Gold und Staatsanleihen großer Industrienationen waren gefragt. Händler ziehen bereits Vergleiche zu den Börsencrashs von 1929 und 1987 und sprechen von einem "schwarzen Montag".

"Obwohl in China die Infektionszahl ein Plateau erreicht zu haben scheint, rollt die Corona-Welle weiter und noch ist nicht abzusehen, wann dies ein Ende hat", schreibt Analyst Ralf Umlauf von der Landesbank Helaba. "Die Verunsicherung ist hoch und die Perspektiven für Konjunktur und Märkte schwer abzuschätzen, zumal jetzt noch die Ölpreise kräftig fallen."

Weltweit haben sich inzwischen weit mehr als 100.000 Menschen nachweislich mit dem neuen Coronavirus infiziert. Die Dunkelziffer dürfte laut Experten wesentlich höher liegen. Etwa 15 von 100 Infizierten erkranken schwer, betroffen sind vor allem ältere Menschen und solche mit Vorerkrankungen.

Die Reaktionen der Politik mögen helfen, die Ausbreitung einzudämmen, tragen aber in einigen Ländern wenig zur Beruhigung bei. So riegelt Italien ganze Landstriche ab, die Informationspolitik des Landes ist chaotisch. Niemand weiß, was passieren wird und wie die Sperrzonen mit ihren rund 16 Millionen Einwohnern kontrolliert werden sollen.

Drosselung der Kapazitäten bis zu 50 Prozent

Die Folgen der Virusausbreitung treffen die Wirtschaft in vielen Bereichen. Zahlreiche Länder erließen Reisebeschränkungen, Unternehmen verzichten auf Geschäftsreisen, Konzerte werden abgesagt, Urlauber bleiben lieber daheim. Das bekommen Fluggesellschaften und andere Touristik-Unternehmen zu spüren. Die AUA-Mutter Lufthansa etwa streicht ihren Flugplan wegen des Nachfrageeinbruchs zusammen. In den nächsten Wochen will sie die Kapazität um bis zu 50 Prozent zurückfahren.

Industrieunternehmen, die viele Vorprodukte aus China beziehen, bekommen Lieferengpässe zu spüren. So standen in China viele Fabriken wegen der Viruskrise still. Die Folge: Chinas Exporte sackten im Jänner und Februar im Vergleich zu den ersten zwei Monaten des Vorjahres um 17,2 Prozent ab. Zudem brach in dem gerade für die deutschen Autobauer so wichtigen chinesischen Markt der Pkw-Absatz im Februar ein.

Generell sorge  die aktuelle Krise sorge sowohl beim Angebot von Unternehmen als auch bei der Nachfrage der Konsumenten für Ausfälle, sagte am Montag IWF-Chefökonomin Gita Gopinath. Bei der Nachfrage scheine dies sogar schlimmer zu sein als in der Weltwirtschaftskrise von 2008/09.

Der IWF spielt auch schon bestimmte Notfallszenarien durch: Für ärmere Staaten und Schwellenländer stünden bis zu 50 Milliarden Dollar bereit, teilte Gopinath mit. Das Geld könne über verschiedene Kreditlinien fließen, darunter auch kurzfristig verfügbare Notfallfinanzierungen.

Entscheidend dürfte nun werden, wie schnell sich die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus unter Kontrolle bringen lässt und wie die Politik und die Notenbanken agieren. Erste Schritte gibt es bereits. Die US-Regierung arbeitet dem Vernehmen nach an einem Hilfspaket für die US-Wirtschaft, und die große Koalition in Deutschland will Unternehmen vor den Auswirkungen der Coronakrise schützen. Dazu will sie das Kurzarbeitergeld ausweiten und besonders betroffenen Unternehmen finanziell unter die Arme greifen.

Gesenkte Leitzinsen

Zahlreiche Notenbanken rund um den Globus senkten zudem die Leitzinsen, um Banken die Vergabe günstigerer Kredite an Unternehmen zu ermöglichen. Und auch die Europäische Zentralbank (EZB) steht laut Helaba-Analyst Umlauf unter Druck, in dieser Woche aktiv zu werden. Mit einer Zinssenkung auf minus 0,60 Prozent werde mehrheitlich gerechnet, schreibt er.

Neben der Flucht in sicherere Anlagen setzt auch die erwartete Geldpolitik die Renditen an den Anleihemärkten unter Druck. Die Rendite der deutschen zehnjährigen Bundesanleihe fiel zum Wochenstart auf minus 0,828 Prozent. Für den richtungweisenden Euro-Bund-Future ging es um fast ein Prozent nach oben. Österreichische Bundesanleihen erreichten am Montag ein Rekordtief, die Rendite für die 10-jährige Anleihe fiel bis auf minus 0,5 Prozent. Auch die 100-jährige Anleihe der Republik Österreich bringt aktuell nur mehr 0,34 Prozent Rendite, am Freitagnachmittag waren es noch 0,51 Prozent.

Neben Staatsanleihen bleibt auch das als Krisenwährung geltende Gold gefragt. Mit knapp über 1.700 Dollar (1.500 Euro) je Feinunze (31,1 Gramm) war das Edelmetall zeitweise so teuer wie zuletzt vor gut sieben Jahren.

Die Ölpreise brachen hingegen mit Verlusten von mehr einem Viertel so stark ein wie seit fast 30 Jahren nicht mehr. So scheint nach dem Scheitern der Verhandlungen des Ölkartells OPEC mit den in der sogenannten OPEC+ zusammengefassten Förderländern wie Russland über eine Förderdrosselung der Streit zwischen Saudi-Arabien und Russland über die künftige Fördermenge zu eskalieren. Sogar ein Ölpreiskrieg in Form steigender Fördermengen zwischen den beiden Staaten scheint denkbar.

Diese Befürchtungen setzten zum Wochenstart vor allem die bei vielen Anlegern als Dividendenwerte beliebten Ölaktien unter Druck. Die Aktienkurse von BP, Shell, Total und Eni brachen zeitweise um jeweils mehr als 15 Prozent ein. In Wien brachen OMV-Aktien um knapp elf Prozent und Anteilsscheine des Ölfeldausrüsters Schoeller-Bleckmann (SBO) um massive 15,08 Prozent zurück. (apa/dpa)