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Über Himmelsbrücken nach Europa

Von Wolfgang Kuhn

Wirtschaft

Tencent gilt als eines der größten Unternehmen der Welt - und expandiert zunehmend nach Europa. Doch die Investments des chinesischen Digitalkonzerns stoßen zunehmend auf Skepsis.


Noch kann die Europa-Zentrale von Tencent nicht mit dem Glamour-Faktor des Konzern-Hauptquartiers in Shenzhen konkurrieren. Im heimatlichen Südchina hat sich der asiatische IT-Gigant um 600 Millionen Dollar ein architektonisches Meisterwerk gegönnt: Es besteht aus zwei 250 Meter hohen Türmen, die über drei sogenannte Himmelsbrücken miteinander verbunden sind.

Diese stehen symbolisch für Gesundheit, Kultur und Wissen und bieten den 12.000 Beschäftigten Saftbars, ein Fitnesscenter, ein Basketballfeld und eine 300-Meter-Laufbahn. In Europa sind es derzeit nur 20 Mitarbeiter, die es noch dazu in die Alltags-Tristesse von Frankfurt verschlagen hat. Doch die haben große Pläne: Geht es nach Li Shiwei, dem Europachef der Cloud-Sparte des Konzerns, will man in drei bis vier Jahren 3000 Mitarbeiter beschäftigen - in Deutschland, aber auch in Frankreich und Großbritannien.

Auch sonst denkt der Top-Manager des Digitalkonzerns in großen Dimensionen: 2020 sollen in Europa mehr als zehn Milliarden US-Dollar investiert werden. Man wolle das Engagement in Europa ausbauen und gleichzeitig in Firmen investieren, Ziele für Übernahmen und Beteiligungen seien Unternehmen aus den Bereichen Design, Maschinenbau und autonome Mobilität. Zudem wolle man sich auf den Ausbau des Cloud-Geschäfts konzentrieren.

An zahlreichen Firmenin Europa beteiligt

Den Ankündigungen hat das Unternehmen längst Taten folgen lassen: Es ist bereits an zahlreichen Firmen in Europa beteiligt, etwa am schwedischen Musikstreamingdienst Spotify. Mit dem deutschen Autobauer BMW arbeitet Tencent an einem Datenzentrum für autonom fahrende Fahrzeuge, bei einer Finanzierungsrunde von 100 Millionen Euro wurde in das französische Banking Start-up Qonto investiert, das auf den deutschen Markt drängt.

Vor allem aber ist der Konzern in der Spielebranche aktiv: Vor wenigen Wochen beteiligte er sich am Berliner Entwickler Yager, bereits jetzt gehören den Chinesen bekannte Studios wie Riot Games ("League of Legends"), Epic Games ("Fortnite") oder Supercell. Letztere produzierten unter anderem H.C. Straches Lieblingsspiel "Clash of Clans" und wurden 2016 akquiriert - um fast 9 Milliarden Dollar.

Eine Summe, die Tencent aus der Portokasse zahlte: Das massive Portfolio umfasst Beteiligungen an über 700 Unternehmen und wies im letzten Quartal des Jahres 2019 einen Wert von 50,5 Milliarden US-Dollar auf. Und obwohl der Konzern zu den größten Unternehmen der Welt zählt, ist er in Europa nach wie vor relativ unbekannt. Gegründet 1998 vom Computerwissenschafter Pony Ma Huateng und vier Studienfreunden, legte das Start-up mit dem Instant Messenger "QQ" bereits nach kurzer Zeit einen Traumstart hin.

2004 ging die Firma an die Börse, mit den Emissionserlösen wurde vor allem das Online-Gaming-Business massiv ausgebaut. Heute ist Tencent der weltgrößte Spieleanbieter: "Honour of Kings" gilt als das erfolgreichste Handyspiel der Welt, obwohl es fast nur in China gespielt wird. Dort gibt es dafür auch 200 Millionen registrierte Nutzer, 80 Millionen Menschen spielen das Game jeden Tag. Den größten Coup landete Tencent jedoch mit "WeChat": Als eine Art Schweizer Taschenmesser unter den sozialen Netzwerken organisieren Chinesen ihren Alltag über diese App, bezahlen ihre Stromrechnung, bestellen ihre Pizza oder buchen ihre Reisen. Zwei von drei Chinesen - das sind eine Milliarde Menschen - nutzen den Dienst.

Über 60 Milliarden Dollar wurden ausgegeben

Noch hat sich der clevere App-Alleskönner außerhalb der chinesischen Grenzen zu wenig durchgesetzt. Umso aggressiver expandierte Tencent durch Übernahmen: Zwischen 2012 und 2017 wurden bei 75 Deals über 60 Milliarden Dollar ausgegeben - unter anderem bei einer 12-Prozent-Beteiligung an der Snapchat-Mutter Snap. Bei ihren Akquisen verließen sich die Chinesen nicht auf Investmentbanken, sondern zogen die Deals über eigene M&A Abteilungen selbst durch.

Nach wie vor wird ihr Geld gerne gesehen - am Frankfurter Schreibtisch von Li Shiwei liegen ausreichend Visitenkarten, die das Interesse europäischer Firmen an Kooperationen untermauern. Gleichzeitig wächst jedoch auch die Skepsis gegenüber den Geldgebern aus Fernost: Das Vorgehen chinesischer Technologiekonzerne in Europa wird zunehmend mit der Strategie der chinesischen Führung in Verbindung gebracht, sich die digitale Vormachtstellung im 21. Jahrhundert zu sichern.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) bezeichnete China in einem Grundsatzpapier Anfang des Jahres als "systemischen Wettbewerber". Die deutsche Bundesregierung erwägt aus Angst vor chinesischer Cyberspionage einen Ausschluss des chinesischen Netzausrüsters Huawei vom Mobilfunk - und hat gleichzeitig die Außenwirtschaftsverordnung verschärft, um leichter Übernahmen und Beteiligungen zu untersagen. Das könnte auch Tencent treffen, denn insbesondere Cloud-Computing Dienste zählen zur besonders sensiblen Infrastruktur.

In einem Interview mit dem Handelsblatt versuchte Europa-Chef Li Shiwei noch, die Sicherheitsbedenken zu zerstreuen: "Bei uns werden Daten von Kunden in Deutschland auch hier verarbeitet. Es findet kein Austausch mit China statt." Ob es die Glaubwürdigkeit des Top-Managers untermauert, dass er zuvor 17 Jahre lang für Huawei gearbeitet hat?