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Epizentrum in China erwacht wieder zum Leben

Von Gerhard Lechner und Michael Schmölzer

Wirtschaft

Wuhan, das Epizentrum der Corona-Krise, findet in die Normalität zurück: Krankenhäuser werden demontiert, Schulen öffnen, Fabriken produzieren. Riskiert man damit eine zweite Corona-Welle?


Während China langsam den Weg zurück in die Normalität wagt, wächst die Angst vor eingeschleppten Infektionen aus dem Ausland. Zuletzt wurden mehr Neuansteckungen aus dem Ausland gezählt als Erkrankungen, die in China selbst ihren Ursprung haben. Die chinesischen Behörden schicken jeden Ausländer, der einreist, für zwei Wochen in ein Quarantäne-Hotel. Für die Kosten hat die einreisende Person selbst aufzukommen. Das ist die Norm und gilt etwa auch für Städte in der Nähe von Wuhan und in der Region Anhui. In den übrigen Provinzen gelten andere Regelungen. Für Geschäftsreisende ist China deshalb noch nicht interessant.

Die meisten provisorisch errichteten Krankenhäuser in Wuhan - 14 von 16 - wurden jedenfalls wieder demontiert, die Schulen öffnen nach und nach, Fabriken nehmen die Produktion wieder auf, Geschäfte öffnen. 36.000 Corona-Patienten in Wuhan sind mittlerweile wieder genesen, die Zahl der Neuinfektionen ist nur noch einstellig. 95 Prozent der größeren Betriebe in dem Transport- und Industrie-Hub mit über elf Millionen Einwohnern haben den Betrieb laut chinesischen Angaben wieder aufgenommen.

Demnach hat sich der Gütertransport per Zug wieder normalisiert, der Luftverkehr und die Schifffahrt sind alle wieder zum Niveau vor der Krise zurückgekehrt. Das ist das Resultat eines nationalen Kraftaktes: Die gesamte Provinz Hubei mit 56 Millionen Menschen war abgeriegelt worden, insgesamt waren 42.000 medizinische Fachkräfte in die Provinz entsandt worden, um das neuartige Virus zu bekämpfen. 65.000 medizinische Geräte waren in die Krisenprovinz verschoben worden, darunter viele Beatmungsgeräte und Herz-Lungenmaschinen. Auch Plasmatherapie und traditionelle chinesische Medizin kam zum Einsatz.

"Ein neues Wuhan lässtsich nicht verheimlichen"

Bei der Suche nach einem Impfstoff ist man in China offensichtlich ebenfalls weitergekommen. Erste klinische Studien für eine wirksame Immunisierung werden demnächst durchgeführt. Chinas Wirtschaftsplaner wagen jedenfalls bereits optimistische Prognosen: So sind maßgebliche KP-Politiker der Ansicht, dass China im zweiten Quartal zur Normalität zurückkehren wird - schließlich sind die Werkhallen in Betrieb, die Geschäfte offen und die Chinesen beginnen wieder zu konsumieren und Geld auszugeben: Das Reich der Mitte feiert eine Art Auferstehung.

Aber ist der Umstand, dass die Restriktionsmaßnahmen in Wuhan wieder gelockert werden, nicht auch ein großes Risiko? Riskiert China damit nicht den Ausbruch einer zweiten Welle der Krankheit? "Wenn Schutzmaßnahmen zu früh heruntergefahren werden, kann das den Ausbruch einer Krankheit tatsächlich wieder befeuern", teilt Maike Voss, Expertin für globale Gesundheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, der "Wiener Zeitung" mit.

Das bedeute aber nicht, dass man Schutzmaßnahmen nicht auch lockern könne. "Wichtig ist, dass man die Fallzahlen im Auge behält, konsequent die Verdachtsfälle testet, Erkrankte isoliert und Kontakte nachverfolgt. Je nachdem wie sich die Fallzahlen verändern, können sich auch die Schutzmaßnahmen verändern", so Voss. "In jedem Fall brauchen wir einen langen Atem."

Darauf weist auch ihre Kollegin Nadine Godehardt hin, die stellvertretende Forschungsgruppenleiterin für Asien bei der SWP. Sie nennt Chinas Entschluss, trotz der Gefahr erneuter Ansteckung das Leben in der Krisenregion Wuhan langsam wieder zuzulassen, einen "Kompromiss". "In China ist man der Ansicht, dass man im Fall eines erneuten Ausbruchs gezielt reagieren kann - auch aufgrund der Erfahrungen, die man mittlerweile gesammelt hat", äußert sich die China-Expertin gegenüber der "Wiener Zeitung". Godehardt weist darauf hin, dass "neben all der Kritik und den Versäumnissen der Lokal- wie Zentralregierung gerade zu Beginn der Krise in Wuhan" nicht vergessen werden sollte, dass die harten chinesischen Maßnahmen zur Eindämmung der Krankheit Erfolg gehabt hätten. Deshalb sei es auch nachvollziehbar, dass die Zahl der Neuerkrankungen nun zurückgeht. "Ein erneuter Fall wie in Wuhan ließe sich meiner Ansicht nach jedenfalls nicht verheimlichen", meint sie.

Keine Alternativezur Eindämmung

Ob die offiziell gemeldeten Zahlen aus China auch wirklich stimmen, stehe allerdings auf einem anderen Blatt. "Ob zum Beispiel infizierte Häftlinge oder Kranke bestimmter Minderheiten wie etwa der Uiguren mit erfasst sind, ist jedenfalls fraglich", teilt die China-Expertin mit. Das könne man nicht einschätzen. Die harten Maßnahmen zur Eindämmung des Virus, die nicht nur in China, sondern vor allem auch in Taiwan, Hongkong und Südkorea gesetzt wurden, hätten aber jedenfalls Wirkung gezeigt.

Godehardt verweist in diesem Zusammenhang auch auf Studien, die zeigen, dass es keine Alternative zu einer Politik der Eindämmung des Virus, wie in Asien praktiziert, gibt. Eine Politik wie die des britischen Premierministers Boris Johnson, die darauf abzielt, die Bevölkerung flächendeckend mit dem Virus zu infizieren, um "Herden-Immunität" zu entwickeln, hätte schwerwiegende Folgen und würde zu hohen Todesraten führen.