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Wie die Pandemie Europa verändern wird

Von Walter Hämmerle

Wirtschaft

Wilhelm Molterer, Direktor des Europäischen Fonds für strategische Investitionen, im Interview.


Europa ringt um eine gemeinsame Antwort auf die massiven wirtschaftlichen Verwüstungen durch die Corona-Pandemie. Besonders hart getroffene Länder wie Italien, Spanien und Frankreich fordern die Einführung sogenannter Eurobonds. Darunter versteht man gemeinsame Anleihen der Euro-Staaten, für die auch alle haften. Deutschland, die Niederlande, aber auch Österreich lehnen dies ab.

Ex-ÖVP-Obmann und -Finanzminister Wilhelm Molterer (64) ist geschäftsführender Direktor des Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI), einer Initiative der Europäischen Investitionsbank (EIB) und der EU-Kommission. Die EIB soll bei der Bewältigung der Corona-Folgen eine tragende Säule spielen. Die "Wiener Zeitung" sprach mit Molterer über die aktuelle Situation.

"Wiener Zeitung": Herr Molterer, wie stellt sich für Sie die ökonomische Dimension der Corona-Pandemie dar?Wilhelm Molterer: Es ist noch zu früh, um mit Sicherheit beurteilen zu können, ob wir es mit einer massiven Delle oder einem strukturellen Einbruch zu tun haben. Entscheidend ist, wie lange die Krise anhält: Je länger, desto massiver werden auch die Folgen sein. Aber einige Dinge werden sich, egal, ob Delle oder Einbruch, grundlegend ändern.

Welche werden das sein?

Erstens, die Nutzung digitaler Technologien erlebt jetzt schon einen riesigen Sprung; das wird bleiben und sich weiter verstärken. Zweitens, die Ausgestaltung der Wertschöpfungsketten erfährt neue Aufmerksamkeit; in zentralen Bereichen wird es hier zu Verschiebungen kommen. Drittens, wir erkennen jetzt, dass wir massive Innovationen im Bereich Medical Care benötigen, um Herausforderungen wie diese Pandemie zu bewältigen. Und viertens, werden wir starke Veränderungen bei den globalen Tourismusströmen erleben.

Staaten wie China oder Indien werden nicht einfach zusehen, wenn Europa Produktionsstandorte zurückholt, sondern darauf pochen, dass wer dorthin exportieren will, auch dort produzieren muss.

Ja, das wird sicher der Fall sein. Aber den gleichen Anspruch wird Europa auch erheben. Dort, wo die Märkte sind, werden auch die Werkbänke sein, das lebt die Autoindustrie schon lange vor. Aber bei einigen fundamentalen Bereichen wie Energie, Nahrung und Pharmazeutika wird es ein neues Denken geben. Hier wird es wieder zu mehr europäischer Autarkie kommen.

Immer mehr Staaten und Akteure fordern die Einführung von Eurobonds, um die finanziellen Folgen der Krise auf alle Schultern in Europa zu verteilen. Was spricht dafür, was dagegen?

Der Grundgedanke, dass auch Staaten mit schlechter Bonität Zugang zu den Kapitalmärkten haben, ist richtig. Aber das darf nicht dazu führen, dass alte Schulden hier hinein transferiert werden, und es darf keine Blankoschecks geben. Aber wir sind in Europa Gottseidank schon weiter. Das unmittelbare Krisenmanagement ist vorrangig Sache der Staaten, europäische Institutionen können hier nur unterstützen, etwa indem bestehende Regeln wie für Staatsbeihilfen flexibel gehandhabt werden. Die zentrale gemeinsame europäische Aufgabe ist der Wiederaufbau der Volkswirtschaften. Und hier haben wir bereits vier Säulen, die voll einsatzfähig sind: Die EZB hat eine Fülle an Möglichkeiten; die Mittel aus dem ESM; das EU-Budget etwa zur Unterstützung von Kurzarbeit; und die Europäische Investitionsbank über die Idee eines paneuropäischen Garantiefonds, der Kredite und Garantien an EU-Unternehmen in der Höhe von etwa 200 Milliarden vergeben kann.

Wie groß wird aus heutiger Sicht die Gesamtsumme an Hilfen in Europa sein?

Das wird eine gewaltige Summe sein, aber schon heute eine genaue Zahl zu nennen, wäre unseriös. "Fat, fast and flexible" müsse Europas Antwort sein, hat EZB-Präsidentin Lagarde gemeint. Genau so ist es.

Hat diese Krise das Potenzial, die Eurozone zu sprengen?

Nein, die Eurozone ist stärker denn je, weil unsere Krisenmechanismen deutlich robuster sind als zur Zeit der Finanzkrise 2008.

Krisen haben noch stets die Integration der EU vertieft. Wie wird sich diese Pandemie auf die Architektur von EU und Eurozone auswirken?

Es wird einen massiven Digitalisierungsschub geben, die Digitale Union ist ein absolutes Muss. Bei Forschung & Entwicklung müssen wir unsere Kräfte noch viel stärker EU-weit bündeln; dass dies jetzt im Pharma-Bereich beginnt, ist ein Hoffnungsschimmer. Das europäische Krisenmanagement wird ebenfalls eine neue Dimension erleben. Wir benötigen in kritischen Bereichen europäische Autonomie. Und wir müssen uns viel stärker unserer europäischen Verantwortung bei der globalen Reaktion auf solche Krisen bewusst werden. Die Hilfen für Afrika oder Lateinamerika müssen wir gemeinsam schultern.

Werden Kennzahlen wie nationale Budgetdefizite oder Schuldenquoten künftig ihre Bedeutung verlieren?

Nein, und das wäre auch grundfalsch. Es ist richtig, jetzt die Defizite zu erhöhen, aber wir müssen später wieder zurück zu den verantwortungsvollen Prinzipien einer soliden Budgetpolitik. Die Schulden, die wir jetzt zu Recht machen, müssen auch wieder bezahlt werden.