Man kann auch übertreiben. Bereits vor der Coronakrise kosteten Flugtickets innerhalb Europas durchschnittlich 50 Euro. Das dumpfe Gefühl beim Kauf dieser Tickets konnte oftmals noch unterdrückt werden. Doch damit ist es vorbei. Ein paar Coronamonate später bieten Fluglinien dieselben Tickets nun um knapp zehn Euro an.
Ein Preis, für den sich wahrscheinlich auch der hartgesottenste Klimawandelleugner schämt. Als Alternative wollen immer mehr Reisende vom Flieger auf den Nachtzug umsteigen. Doch welche Strecken gibt es? Ein Überblick in fünf Punkten - unter Vorbehalt geschlossener Routen wegen Corona:
- Nachtzughauptstadt Wien
Wien ist die Stadt mit den meisten Nachtzugverbindungen in der Europäischen Union. Das liegt einerseits an der günstigen Lage inmitten des Kontinents und andererseits an der umtriebigen Staatsbahn. 27 Linien umfasst das Angebot der ÖBB (Österreichische Bundesbahnen). Mit Ausnahme von Livorno und Brüssel (jeweils zweimal in der Woche) werden alle Linien jede Nacht geführt.

Entsprach Bahnfahren vor zehn Jahren noch einem antiquierten Sinnbild, so sind die Österreicher heute stolz darauf, zu den führenden Nachtzugnationen zu gehören. Als im Jänner die Verbindung nach Brüssel eröffnet wurde, waren Vertreter aller Parteien anwesend. Dabei wurde nur ein altes Konzept neu aufgewärmt. Jahrzehntelang gab es eine Nachtzugverbindung zwischen Wien und Brüssel, bis sie vor 16 Jahren eingestellt wurde.
Das gilt auch für die Strecke nach Amsterdam, die ab Dezember wieder täglich aufgenommen wird, eine von Wien über Passau und Nürnberg, eine weitere von Innsbruck, München und Nürnberg. Weitere Verbindungen müssen jedoch warten. "Es sind alle Nachtzüge im Einsatz", sagt ÖBB-Sprecher Bernhard Rieder. Mehr gibt es nicht.
In zwei Jahren soll es 13 neue Züge geben, dann soll auch wieder Paris per Nacht angebunden werden.
Derzeit können neben Einzelplätzen in Sitzwagen, Liegewagen mit vier Abteilen oder im Schlafwagen auch Abteile in den drei Komfortkategorien als eigenes Privatabteil gebucht werden. Die Nightjets werden laut ÖBB vor und nach jeder Fahrt gründlich gereinigt, im Bordverkauf gebe es Desinfektionssprays und Masken zu kaufen.
Neben den ÖBB verbindet die ukrainische Bahn seit zwei Jahren täglich Wien mit Budapest, Lemberg und Kiew. Derzeit ist der Betrieb aufgrund von Corona jedoch eingestellt.
Der polnische Euronight Chopin fährt täglich in der Nacht von Wien über Ostrawa, Katowice und Krakau nach Warschau, der rumänische EuroNight verbindet täglich Wien mit Budapest und Bukarest.
Wiener Auswahl:
ÖBB Nightjet
Wien - Wroclaw - Berlin
Wien - Linz - Feldkirch - Bregenz
Wien - Linz - Frankfurt - Brüssel
Wien - Linz - Hannover - Hamburg
Wien - Villach - Brescia - Mailand
Wien - Villach - Florenz - Rom
Wien - Linz - Salzburg - Venedig
Wien - Innsbruck - Zürich
Wien - Villach - Florenz - Livorno
Euronight Chopin:
Wien - Krakau - Warschau
Euronight Dacia:
Wien - Budapest - Bukarest
Hortobagy:
Wien - Lemberg - Kiew
- Ab in den Süden
Im Bahnhof einschlafen, am Meer aufwachen. Mit dem Intercity Notte der italienischen Staatsbahn geht es von Mailand den Stiefel entlang bis nach Sizilien. Mit rund 20 Stunden ist die Fahrt zwar eine der längsten Nachtzugstrecken in Europa. Dafür sieht, riecht und spürt man Italien wie auf keiner anderen Reise. Die meiste Zeit blickt man auf das Meer. In Messina wird man Zeuge eines seltenen Schauspiels: Der Zug wird auf die Fähre verschifft. Das gibt es sonst nur noch in Skandinavien.

An die Adriaküste Kroatiens fährt die ungarische Staatsbahn. Im Sommer sind täglich zwei Züge im Einsatz, die Badehungrige nach Split und Rijeka bringen. Beide Züge versprühen Retro-Charme der späten 1980er - ohne Klimaanlage, dafür mit Kurbelfenster.
Der tschechische Anbieter Regiojet hat ebenfalls Rijeka zum Ziel. Der Zug fährt täglich von Prag über Bratislava. Für Österreich könnte Regiojet 2021 spannend werden. "Wir planen im kommenden Jahr Verbindungen von Österreich nach Polen und in die Ostukraine", sagt Regiojet-Sprecher Ales Ondruj.
Wer sich zwischen Tapas und Portwein nicht entscheiden kann, und beides will, dem sei der Nachtzug zwischen Madrid und Lissabon ans Herz gelegt - wegen Corona ist die Verbindung derzeit stillgelegt.
Ab in den Süden-Auswahl:
Istria Express:Budapest - Ljubljana - Rijeka
Adria Express:Budapest - Zagreb - Split
Regiojet:Prag - Brünn - Bratislava - Rijeka
Intercity Notte:Mailand - Bari - LecceMailand - Salerno - PalermoMailand - Salerno - SiracusaTurin - Mailand - Rom - NeapelBozen - Verona - RomTriest - Venedig - Rom
Trenhotel:Barcelona - Saragossa - A CoruñaMadrid - Coimbra - Lissabon
Intercités de Nuit:Paris - Toulouse - Perpignan
ÖBB Nightjet:München - Salzburg - Rom
- Von Osten nach Westen
Stolze 81 Stunden waren die Reisenden 1883 im ersten Orient-Express von Paris nach Konstantinopel (Istanbul) unterwegs. Gedeckte Tische, ein Cocktail an der Bar, edle Leder-Fauteuils: Für das Ticket brauchte man das nötige Kleingeld.

Heute fährt etwa der Venice Simplon Orient Express einen Teil der alten Strecke. Der Luxuszug fährt ab September von London in die Lagunenstadt Venedig.
Von Moskau an die französische Riviera mit Stopps in Wien und Mailand verkehrt der Moskau-Nizza-Express. Coronabedingt ist der Betrieb derzeit jedoch eingestellt. Dies trifft auch auf die Strecke Paris-Venedig zu.
Es gibt aber auch eine Low-Budget-Variante, in den Osten zu kommen. Der Optima Express schaukelt, quietscht und ruckelt sich durch Slowenien, Kroatien, Serbien, Bulgarien bis in die Türkei. Auf der alten Gastarbeiterroute überwindet der Zug rund 2000 Kilometer. Der Zug transportiert auch das eigene Auto oder Motorrad. Ab 11. Juli verkehrt der Zug wieder bis nach Edirne (Türkei).
Ost-West-Auswahl
Thello: Paris - Mailand - Venedig
Trans European Express:
Paris - Berlin - Warschau - Moskau
EuroNight Lisinski:München - Villach - Zagreb
Moskau-Nizza-Express:Nizza - Mailand - Wien - Moskau
En Vltava:Prag - Ostrava - Minsk - Moskau
Regiojet:Prag - Kosice
ÖBB-Nightjet:Berlin - Wroclaw - Budapest
Optima-Express:Villach - Belgrad - Sofia - Edirne
EuroNight Alpina:Zürich - Ljubljana - Zagreb
- Quer durch Deutschland
Den Nachtzug-Trend hat Europas mächtigster Staat Deutschland verschlafen. Vor drei Jahren stoppte die Deutsche Bahn ihr Nachtzugangebot und überließ den Betrieb der ÖBB. Als Grund wurden jahrelange Verluste in diesem Geschäft genannt. "Wir bieten österreichische Gastfreundschaft", sagte ÖBB-Chef Andreas Matthä bei der Übernahme in Richtung deutscher Fahrgäste. Die ÖBB betreiben die Nachtzüge seither profitabel.

Das Angebot wird stark nachgefragt, eine Reservierung ist erforderlich, um einen Platz zu bekommen. Egal, ob im 6er Liegewagen oder im Deluxe-Schlafwagen.
Neben dem ÖBB-Nightjet verbindet der neue Nachtzug Alpen-Sylt-Express Salzburg im Sommer mit der Nordsee, vorerst bis 2. November. Auf der Strecke macht er unter anderem Halt in München, Nürnberg, Frankfurt, Hamburg, Husum und Niebüll. Von Sylt aus macht er sich donnerstags und samstags auf die Reise. Freitags und sonntags fährt der Zug dann in die entgegengesetzte Richtung von Österreich zurück in den Norden. Die Mitnahme von Surfbrettern, Fahrrädern und von Hunden ist möglich. Buchbar sind zudem nur ganze Abteile, egal ob alleine oder mit Freunden, es besteht daher keine Maskenpflicht.
In der Wintersaison verkehren wöchentlich zwei Zugpaare des privaten Anbieters Urlaubs-Express vom Skiort St.Anton über Innsbruck und München nach Hamburg bzw. nach Münster. Auch das schwedische Bahnunternehmen Snälltåget plant Verbindungen in der kommenden Wintersaison, von 12. Februar bis 12. März, jeden Freitag von Malmö nach Zell/See. Die Rückreise findet jeweils am Samstag statt.
Snälltåget bietet auch Nachtzüge zwischen Berlin und Malmö an. Die Verbindung ist aufgrund von Corona derzeit ausgesetzt. Ab 2021 soll der Betrieb wieder aufgenommen werden, statt wie bisher über die Ostsee, verläuft die Route dann über Hamburg und Kopenhagen.
Deutschland-Auswahl:
ÖBB Nightjet:Innsbruck - Frankfurt - BrüsselInnsbruck - Köln - DüsseldorfInnsbruck - Hannover - HamburgZürich - Bremen - Hamburg
Urlaubs-Express:St.Anton - Hamburg/MünsterVerona - München - Hamburg
Alpen-Sylt-Nachtexpress:Salzburg - München - Sylt
Snälltåget:Zell/See - Kopenhagen - MalmöBerlin - Kopenhagen - Malmö
- Hoch im Norden
In die Region, wo die Sonne im Sommer nie untergeht, ins finnische Rovaniemi, ins norwegische Narvik, hinauf nach Lappland. Über Nacht auf Schienen von Helsinki, Stockholm oder Oslo. Passend zur Inszenierung Rovaniemis als Wohnort des Weihnachtsmanns, fährt der sogenannte Santa-Claus-Express 12 Stunden von der finnischen Hauptstadt in den Norden. Der Doppeldecker-Nachtzug legt die Strecke über die Stationen Tampere und Oulu täglich zurück.
Über malerische Landschaften mit Panorama-Aussichten auf Seen und Fjorde verbindet die norwegische Bahn täglich Oslo über Trondheim ins nördliche Bodø. Von Stockholm gelangt man per Nachtzug in die am nördlichsten gelegene Station Narvik.
Derzeit wegen Corona gestoppt, verbindet der russische Nachtzug Lev Tolstoy normalerweise in 15 Stunden Helsinki über Lahti, Vainikkala, St. Petersburg und Tver die russische Hauptstadt Moskau.
Auf den britischen Inseln gibt es mit dem Caledonian Sleeper eine Nachtzugverbindung zwischen London Euston, Edinburgh und Glasgow, sowie Aberdeen und Inverness in den schottischen Highlands. Sie fährt täglich, außer samstags.
Nord-Auswahl:
Lapland Nighttrains:Helsinki - Kolari/Rovaniemi
Lev Tolstoy:Helsinki - St.Petersburg - Moskau
Dovrebanen:Oslo - Lillehammer - Trondheim
NordlandsbanenTrondheim - Fauske - Bodø
Nattåg:Stockholm - Uppsala - Narvik
Caledonian Sleeper:London - Edinburgh/GlasgowLondon - Aberdeen/Inverness
- EU-Verkehrskommissarin kündigt Vereinheitlichung an
EU-Verkehrskommissarin Adina Valean sagt zur "Wiener Zeitung", dass nun die unterschiedlichen Bahnstandards der Mitgliedsstaaten vereinheitlicht werden. Als Grundlage dafür dient ein Eisenbahnpaket, das ab dem 31. Oktober europaweit in Kraft treten soll. Die Genehmigung für grenzüberschreitende Züge wird ab dann nur noch von der EU-Agentur für Eisenbahnen erteilt, um sicherzustellen, dass diese Normen einheitlich angewendet werden. Sie schlägt zudem vor, 2021 zum Europäischen Jahr der Schiene zu machen. "Ich freue mich über die Renaissance der Nachtzüge und werde diese Entwicklung auf europäischer Ebene mit Nachdruck unterstützen".