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Als wäre nichts gewesen

Von Bernd Vasari

Wirtschaft

Massentierhaltung, Umweltzerstörung, Ausbeutung. Nach dem Lockdown sah es so aus, als ginge alles so weiter wie bisher. Doch mit den Staatshilfen kam die Gier der Manager, die noch eines drauflegten.


400.000 Schweine, die weiterleben. Einfach so. Die nicht wie jedes Schwein auf die Welt kommen, um gemästet, geschlachtet und zerteilt zu werden. Die aus dem eisernen Wirtschaftssystem des Menschen einfach ausbrechen. Was war passiert? Europas größter Schlachthof, die deutsche Tönnies-Fleischfabrik in Rheda-Wiedenbrück, wurde nach einem Corona-Ausbruch von den Behörden geschlossen. Es standen Tausende Mitarbeiter plötzlich auf der Straße. Und ebenso 400.000 Schweine. Das ist so nicht vorgesehen.

Doch Covid-19 befördert menschengemachte Schweinereien ans Tageslicht. Die Pandemie wirft ein Schlaglicht auf alles, was schiefläuft, legt unsere Schwächen offen, hält uns den Spiegel vor, wirft grundlegende Fragen auf.

Der Lockdown im Frühjahr führte uns vor Augen, dass die Umwelt kein gefühlsloser Mistkübel ist, dass die Natur sich zu wehren weiß. Das von Covid-19 erzwungene Runterfahren unseres Wirtschaftssystems ließ die Natur aufatmen und mit ihr viele Menschen. Kein Smog, dafür Vogelgezwitscher in den Städten, Lebensqualität. Covid-19 zwang uns zu einem Moment der Pause, zur Reflexion darüber, was wirklich von Wert ist. Werden wir nun unser Verhalten ändern?

Nach dem Lockdown sah es zuerst so aus, als ginge alles so weiter wie bisher. Das Wirtschaftssystem von Massentierhaltung, Umweltzerstörung und Ausbeutung nahm wieder an Fahrt auf. Doch mit den Staatshilfen kam die Gier der Manager, die noch eines drauflegten.

650.000 Menschen erneut im Lockdown

Der Corona-Ausbruch in der Fleischfabrik Tönnies fand im Juni statt, gerade als die Zahl der Corona-Kranken wieder zurückging und der Lockdown beendet wurde. In einer Zeit, in der man für gewöhnlich Abstand hielt, die Maske immer bereit hatte, um das Virus einzudämmen.

Der Fleischbaron Clemens Tönnies machte in seinen Schlachthöfen hingegen so weiter, als wäre nichts gewesen, als würde es Covid-19 gar nicht geben. Es gab Berichte von fragwürdigen hygienischen Zuständen, Arbeiter ohne Mundschutz, die unter dem Mindestlohn bezahlt und in beengten Wohnungen untergebracht wurden.

Es war so wie immer, alles wurde dem Profit untergeordnet, kein Cent zu viel investiert. So wurde Clemens Tönnies zum milliardenschweren Fleischbaron, Alleinherrscher über seine Schlachthöfe und langjähriger Aufsichtsratschef des Fußball-Traditionsklubs Schalke 04.

© WZ-Collage: Irma Tulek; Fotos: stock.adobe.com/Shawn Hempel, Clay Banks

1550 Mitarbeiter seines Schlachthofs wurden positiv auf Covid-19 getestet. Das hatte weitreichende Folgen: Die rund 650.000 Bewohner der beiden Landkreise Gütersloh und Warendorf mussten erneut in den Lockdown.

Doch statt Demut zu zeigen, klopfte der Fleischmilliardär beim Staat an. Er forderte eine finanzielle Entschädigung für die entstandenen Kosten.

"Ich würde mir anstelle von Herrn Tönnies sehr genau überlegen, was man den Bürgerinnen und Bürgern eigentlich noch alles zumuten will", mahnte Karl-Josef Laumann CDU-Arbeitsminister von Nordrhein-Westfalen. "Dafür wurde schon eine ganze Region in Geiselhaft genommen. Ich finde es unanständig, sich auch noch auf Kosten der Steuerzahler schadlos halten zu wollen", sagte FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg.

Beim Fußballverein Schalke 04 hatte man ebenfalls genug. Mehr als 1000 Schalke-Fans bildeten eine Menschenkette um das Vereinsgelände. Sie zwangen den langjährigen Aufsichtsratschef des Vereins Ende Juni zum Rücktritt.

Das Gemüse ist regional, die Erntehelfer sind es nicht

Arbeiten bis zum Umfallen. Kein Krankenstand. Kein Urlaub. Was nach Ausbeutung aus dem 19. Jahrhundert klingt, ist auch bittere Realität für Millionen von Erntehelfern auf den Feldern Europas. Damit die Feldarbeit erledigt wird, damit der Spargel auf die Teller kommt, damit die Agrarindustrie satte Gewinnen einfährt. Alles regional, versteht sich - außer die Erntehelfer. Die Arbeiter kommen aus Billiglohnländern wie Rumänien, Bulgarien oder der Ukraine. Aus peripheren Gegenden, in denen es kaum Jobs gibt, in denen die Alten zurückbleiben.

Mit dem Lockdown war der Aufschrei in der heimischen Landwirtschaft groß. Wer soll nun die billige Feldarbeit machen, wenn die Arbeitsmigranten nicht mehr einreisen dürfen? Wer soll das ganze Gemüse ernten?

Zahlreiche Österreicher meldeten sich zur Feldarbeit. Dem Großteil verging jedoch bald die Lust. Die harte Arbeit tief gebückt auf den Feldern, die niedrige Bezahlung von zumeist 6 Euro pro Stunde, die langen Arbeitszeiten auch am Wochenende waren nicht vereinbar mit den Vorstellungen der Österreicher.

Doch anstatt die Bedingungen zu verbessern, wurden mitten im Lockdown mit Staatshilfe Flugzeuge gechartert und Züge in Richtung Osteuropa losgeschickt, um Erntehelfer ins reiche Westeuropa zu holen. Von wo sie nicht mehr zurückkonnten. Die moderne Sklaverei musste weitergehen, auch dann, wenn eine Pandemie den Kontinent überzieht. Sicherheitsvorkehrungen wie für die einheimische Bevölkerung galten für die Arbeiter aus dem Ausland nicht. Kein Abstand, keine Masken, enge Unterkünfte. Trotz Staatshilfen in Milliardenhöhe, trotz Milliarden Euro an Förderung durch die Europäische Union.

Doch was in normalen Zeiten niemanden kümmert, bringt Covid-19 ans Tageslicht. Bereits im Juli gab es die ersten Massenausbrüche unter den Erntehelfern.

Epidemien an Bord

Sie blasen Unmengen an Abgasen in die Luft und verschmutzen Ozeane, ihre Passagiere treten an Land in Massen auf, wer ein Beispiel für Überfluss und Maßlosigkeit sucht findet es hier, an Bord der Kreuzfahrtschiffe. Mehrere Tausend Menschen passen auf so ein Schiff, das idyllische Buchten und malerische Hafenstädte in seinen Schatten stellt.

Es ist Abhacktourismus in Reinform: Nur wenige Stunden Aufenthalt sind für die Reiseziele vorgesehen. In der kurzen Zeit drängt sich die Masse durch südeuropäische Stadtmauern, belagert karibische Strände, umringt Straßenkünstler. Bewaffnet mit Selfiestick, wird alles durch die Linse des Smartphones dokumentiert, bis die Passagiere zum Abendessen wieder zurück an Bord sind, wo sie von seichter Hintergrundmusik und immer witzigen Entertainern animiert werden.

Klingt abschreckend, ist es aber scheinbar nicht, wenn man die Zahlen betrachtet: 2019 stieg die Passagierzahl auf Hochseeschiffen um knapp 16 Prozent auf 2,6 Millionen. Ein Zuwachs um das Doppelte innerhalb von zehn Jahren. Für die Kreuzfahrtanbieter ist das enorme Interesse ein lohnendes Geschäft. So erwirtschafteten die 18 Kreuzfahrtschiffe von TUI Cruises im vorigen Jahr einen Gewinn von 366 Millionen Euro. Royal Caribbean verbuchte einen Gewinn von 2,1 Milliarden Euro, Carnival sogar 3,2 Milliarden Euro.

Dann kam Covid-19. Am heftigsten traf es das Kreuzfahrtschiff "Diamond Princess" bereits im Februar. Ein 80-Jähriger wurde nach Verlassen des Schiffes positiv getestet. Daraufhin wurde das Schiff, auf dem sich noch rund 3700 Menschen befanden, im Hafen von Yokohama unter Quarantäne gestellt. Mehr als 700 infizierten sich, sieben Passagiere starben an dem Virus.

In den nächsten Wochen schlitterte ein Kreuzfahrtschiff nach dem anderen in die Katastrophe. Es brachen Epidemien an Bord aus, die Schiffe irrten auf dem Meer herum, weil sie nicht mehr in die Häfen gelassen wurden. Darunter die "Westerdam" mit 1450 Passagieren, die in Japan, Taiwan, Guam, auf den Philippinen und in Thailand nicht andocken durfte. Nach einer Irrfahrt durch asiatische Gewässer durften die Passagiere im kambodschanischen Hafen Sihanoukville von Bord gehen. Auslöser für die Blockaden war ein 83-jähriger Passagier, der fälschlicherweise positiv getestet wurde.

Auch auf der "MSC Meraviglia" mit 6000 Menschen an Bord, auf der "Costa Fortuna" mit 2000 Menschen und an Bord der "Silver Spirit" waren die Passagiere gefangen.

So, als wäre nichts gewesen, meldeten sich in den vergangenen Tagen die ersten Reedereien, die genauso weiter machen wollen wie bisher. So kündigte etwa die Kreuzfahrtreederei Aida Cruises an, dass sie am 1. November mit einer siebentägigen Reise der "Aidamar" rund um die Kanarischen Inseln starten wolle. Sechs Tage später soll die "Aidaperla" ebenfalls auf den Kanaren folgen. Für Mitte Dezember sei dann der Neustart im westlichen Mittelmeer mit der "Aidastella" geplant. Gleichzeitig solle die "Aidaprima" ihre Reise in den Vereinigten Arabischen Emiraten starten. Aida-Cruises-Präsident Felix Eichhorn zeigte sich zuversichtlich, ab Anfang 2021 wieder erste Reisen nach Nordeuropa anbieten zu können.

Gernot Blümels Fremdschämen

Weggesehen haben wir auch bei den Billigtickets der Fluglinien. 500 Euro nach Bangkok, 200 Euro nach Scharm El-Scheich, 50 Euro nach Barcelona. Mit Bauchweh haben wir die Tickets gekauft und sind in die mit Kerosin beladenen Flieger gestiegen. Bis Covid-19 auch die Luftfahrt lahmlegte.

Wochenlang war kein Kondensstreifen zu sehen, der Himmel strahlte blau. Die ersten Insolvenzen drohten. Schnell trieben die Staaten milliardenschwere Rettungsgelder auf, um die Branche zu retten. Ein-Personen-Unternehmen, Künstler und Freischaffende, die wochenlang auf Unterstützung warteten, wurden vor den Kopf gestoßen.

Gerettet wurde eine Branche, die tonnenweise CO2 in die Atmosphäre bläst. Wäre es nicht besser gewesen, diese Branche mithilfe der Steuermilliarden neu aufzustellen? Das Geld könnte etwa in die Entwicklung von grünen Antrieben fließen.

Was passiert stattdessen: Ryan Air geht tiefer und verscherbelt seine Tickets nun um 5 Euro, Lufthansa-Großaktionär Heinz Hermann Thiele lehnte lange den Einstieg des deutschen Staates ab, nachdem dieser neun Milliarden Euro Hilfe zusichert. Und das AUA-Management will sich nach Empfang von milliardenschweren Staatshilfen 2,9 Millionen an Boni auszahlen. Da rümpfte sogar der unternehmerfreundliche Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) seine Nase: "Diese Vorgangsweise ist für mich unverständlich", sagte er.

Massentierhaltung, Umweltzerstörung, Ausbeutung. Covid-19 führt uns vor Augen, dass es in unserem Wirtschaftssystem vorne und hinten knirscht, dass wir dabei sind unseren Planeten geradeaus gegen die Wand zu fahren. Doch sind wir bereit, uns zu ändern?

Nach dem Lockdown sah es so aus, als würde alles so weiter gehen, wie bisher. Die Erkenntnisse der vom Virus verordneten Pause drohten in Vergessenheit zu geraten.

Wäre da nicht die Gier einer Gruppe an der Spitze unseres Wirtschaftssystems, die versucht mit Staatshilfen Profit für sich herauszuschlagen. Eine Gruppe von Managern, die sich noch immer als harte Cowboys fühlen, als Gottes Geschenk an die Welt, die einfach so weiter machen - und noch eines oben draufsetzen. Die mit ihrer Maßlosigkeit dafür sorgen, dass es nun doch so weit kommen könnte, dass große Teile der Gesellschaft vom bisherigen System genug haben und es auch kommunizieren werden. Sei es bei Wahlen, sei es auf der Straße. Die dafür sorgen könnten, dass die Schmerzgrenze erreicht ist.

Covid-19 brachte das Wirtschaftssystem ins Wanken, am Ende ist es aber noch nicht. Es geht nun darum, wohin die unfassbaren Summen an Staatshilfen fließen werden. Weiter in ein profitgieriges Wirtschaftssystem oder in einen grundlegenden Neustart, hin zu einer nachhaltigen, gerechteren, grünen Zukunft?

Wohin das Pendel schlagen wird, steht noch nicht fest. Mit jeder weiteren Schweinerei wird die Ungeduld der Menschen mit dem jetzigen System aber wachsen, bis sie nicht mehr wegsehen werden.