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Weckruf aus Asien

Von Bernd Vasari

Wirtschaft

Während China das weltweit größte Freihandelsabkommen auf den Weg bringt, ist Europa mit sich selbst beschäftigt.


Stets reserviert, ängstlich und misstrauisch agierte Europa gegenüber China, wenn es um den Ausbau der Handelswege ging. Allen voran sollte das von China initiierte Megaprojekt der Neuen Seidenstraße ("Belt and Road Initiative") die beiden Kontinente Asien und Europa schneller verbinden. Jahre vergingen, nichts passierte. Doch während sich Europa in Distanz übte, drehte sich in Asien die Welt weiter. Das Ergebnis ist das größte Freihandelsabkommen der Welt - der Name: Regional Umfassende Wirtschaftspartnerschaft (Regional Comprehensive Economic Partnership), kurz RCEP. Europäische Staaten finden sich nicht darunter.

Stattdessen gehören zu den Unterzeichnern 15 asiatisch-pazifische Länder. Fast ein Drittel der Weltbevölkerung (2,2 Milliarden Menschen) und etwa 30 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts werden von dem Pakt abgedeckt. Die Ziele: Bis zu 90 Prozent weniger Zölle, mehr länderübergreifende Investitionen, mehr freier Warenverkehr.

Das erste Handelsabkommen zwischen China und Japan

Neben China und den 10 Staaten der Asean (Association of South East Asian Nations) - Brunei, Vietnam, Laos, Kambodscha, Thailand, Myanmar, Malaysia, Singapur, Indonesien und Philippinen - gehören auch die zur westlichen Hemisphäre zählenden Staaten Japan, Südkorea, Australien, Neuseeland der Wirtschaftspartnerschaft an.

Indien hatte sich dagegen aus den Verhandlungen zurückgezogen. Billige chinesische Produkte könnten den indischen Markt überfluten, so die Erklärung. Sollte es sich Indien anders überlegen, kann das Land als einer der ursprünglichen Verhandlungspartner jederzeit beitreten.

Bemerkenswert ist hingegen, dass sich die beiden Erzfeinde Japan und China unter dem selben Dach wiederfinden. Es ist das erste Mal, dass China, Japan, aber auch Südkorea unter einem Handelsabkommen zusammengeführt werden. "Eine monumentale Errungenschaft für die regionale Integration und einen Sieg für Multilateralismus und freien Handel" nannte der chinesische Regierungschefs Li Keqiang die Unterzeichnung des Abkommens.

Doch das ist erst der Anfang. Wohin die Reise gehen könnte, schreibt die "Asia Times". Der RCEP-Handelspakt würde den Beginn des asiatischen Jahrhunderts einläuten, heißt es dort.

Größer als die Europäische Union

Das Potenzial dafür ist jedenfalls vorhanden. Das kombinierte Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Unterzeichnerstaaten beträgt umgerechnet 22,1 Billionen Euro, größer als das 14 Billionen Euro schwere BIP der EU.

Für Wirtschaftstreibende und -experten in Europa ist das asiatische Abkommen keine gute Nachricht. "Mit dem künftig verbesserten Marktzugang chinesischer Unternehmen in den anderen 14 Staaten des nun größten Handelspakts der Welt werden sich gleichzeitig die Absatzmöglichkeiten deutscher Unternehmen relativ verschlechtern", prophezeit der Präsident des Außenhandelsverbandes BGA, Anton Börner der Nachrichtenagentur Reuters.

Auch Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer zeigt sich pessimistisch. "Für die deutsche Autoindustrie ist das eine große politische Schlappe", sagt er. "Der einseitige US-Kurs der EU verschlechtert die Wettbewerbsposition der deutschen Autoindustrie", erklärt er. Schließlich haben die japanischen und südkoreanischen Hauptkonkurrenten Toyota, Hyundai-Kia, Honda, Nissan nun einen einfacheren Zugang zu den wichtigen Automärkten in China und in Australien.

Derzeit wird jedes dritte Auto aus Deutschland in China verkauft. Ein Anteil, der nun geringer werden könnte. "Ein Ausweg kann nur sein, noch stärker aus Deutschland mit seinen Produktionen zu gehen und stärker in Asien Produktionen aufzubauen", erklärt Dudenhöffer.

China verdrängt die USA als größter Handelspartner

Zuletzt wuchs Chinas Bedeutung in Europa. In den ersten acht Monaten des Jahres verdrängte die Volksrepublik die USA als größten Handelspartner. Von Jänner bis August 2020 stiegen die Importe im Vergleich zum Vorjahreszeitraum von 236,9 auf 247,3 Milliarden Euro (plus 4,4 Prozent) in Verbindung mit einem leichten Rückgang der Exporte von 128,8 auf 127,4 Milliarden Euro (minus 1,1 Prozent). Damit lag das Handelsvolumen der EU mit China in den ersten acht Monaten bei 374,7 Milliarden Euro, mit den USA bei 363,8 Milliarden Euro.

Mit dem asiatischen Handelsabkommen RCEP erwarten Experten eine weitere Stärkung Chinas, genauso wie für die Wirtschaftsmacht Japan. Der asiatisch-pazifische Freihandelspakt und starke Wirtschaftsdaten haben am Montag den japanischen Börsenindex Nikkei 225 auf den höchsten Stand seit 1991 getrieben. Doch auch die kleineren Länder werden profitieren.

Und während auf dem asiatischen Kontinent Handelsschranken abgebaut werden, geht es in Europa derzeit in die andere Richtung. Der letzte EU-Beitritt - durch Kroatien - ist mittlerweile sieben Jahre her.

Statt zu wachsen, ist die EU mit den Folgen des Austritts von Großbritannien beschäftigt. Die Übergangsphase bis Ende des Jahres wollten beide Seiten nutzen, um ein Handelsabkommen auszuhandeln. Die Gespräche kommen aber seit Monaten kaum voran.