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Wirtschaftskrimi Wirecard geht weiter

Von Anja Stegmaier

Wirtschaft
© Getty/Thomas Kronsteiner

Ex-Agenten, Militärs, Geldwäscher - das Umfeld des Ex-Finanzchefs des insolventen Zahlungsdienstleisters liest sich wie aus einem Filmskript. Der Untersuchungsausschuss befragt weiter Fürsprecher aus Politik und Wirtschaft.


Porno, Glücksspiel und Diätpillen. Das deutsche Skandalunternehmen Wirecard wickelte offiziell jahrelang für Einzelhändler, Flug- und Bahnkonzerne sowie Telekommunikationsfirmen auf der ganzen Welt Zahlungen gegen Gebühr ab. Laut einem jüngsten Bericht des Magazins "Spiegel" soll das insolvente Unternehmen aber seine Einnahmen fast ausschließlich aus Geschäften mit Porno- und Glückspielanbietern erwirtschaftet haben. Im Herbst 2018 hatte Ex-Wirecard-Chef Markus Braun dagegen noch behauptet, der Erotikbereich und das Gaming würden keine Rolle mehr spielen.

Seinem ehemaligen Vorstandskollegen Jan Marsalek - seit vergangenen Juni untergetaucht - wird zudem vorgeworfen, mehr als eine halbe Milliarde Euro veruntreut zu haben. Mindestens fünf Jahre lang soll der Vorstand in einem Fall von "gewerbsmäßigem Bandenbetrug" Banken und Investoren systematisch belogen haben - bis zum Insolvenzantrag des Zahlungsdienstleisters im vergangenen Juni.

Dass der Skandal filmwürdigen Stoff liefert, entdeckte die Filmgesellschaft Ufa im Juli 2020 - eine Fiction-Doku ist bereits in Planung. Der Wirtschaftskrimi geht aber auch 2021 weiter.

Am Dienstag tagte der Untersuchungsausschuss in Berlin (das Ergebnis war bis Redaktionsschluss nicht bekannt). Der Ausschuss soll das Verhalten der Bundesregierung und der ihr unterstehenden Behörden im Zusammenhang mit den Vorkommnissen um den inzwischen insolventen Finanzdienstleister untersuchen. Geladen sind als Zeugen Bundeskanzlerin Angela Merkels Wirtschaftsberater Lars-Hendrik Röller und Ole von Beust.

Der ehemalige CDU-Politiker Beust (ehemals erster Bürgermeister von Hamburg) und Lobbyist reiht sich in eine Liste prominenter Ex-Politiker der CDU, die sich in der Vergangenheit für die Anliegen von Wirecard im Kanzleramt einsetzten. So auch Karl-Theodor zu Guttenberg, der nach Plagiatsvorwürfen zurückgetreten war. Die Kanzlerin setzte sich 2019 so etwa bei einer China-Reise persönlich für Wirecard ein, als es längst kritische Medienberichte gab. Eine entscheidende Rolle hierbei spielte zu Guttenberg.

Die ominöse Münchner Villaund die Österreich-Kontakte

Das kuriose Netz um Wirecard spannte seine Fäden aber auch in Österreich. Laut einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" empfing Marsalek in seiner Münchner Villa Ex-Agenten, Militärs, Geldwäscher und Geschäftemacher.

Marsalek steht im Verdacht, Wirecard ausgenommen zu haben, womöglich schaffte er einen dreistelligen Millionenbetrag beiseite. Marsalek war es, der das mutmaßlich kriminelle Geschäft in Asien mit aufbaute, kontrollierte, und der sich persönlich um jenen Treuhänder kümmerte, der angeblich 1,9 Milliarden Euro auf den Philippinen verwaltete. Geld, das es nie gegeben hat. Heute wird Marsalek deswegen weltweit gesucht.

Wirecard-Aktie sinkt in Bedeutungslosigkeit

Koordiniert wurde dieser mutmaßliche Beutezug nicht nur aus der Konzernzentrale in Aschheim, sondern auch aus der Villa. Sie fungierte als eine Art Klubhaus, in dem sich ein wild zusammengewürfelter internationaler Männerbund traf. Darunter auch ein ehemaliger Abteilungsleiter des österreichischen Nachrichtendienstes, Martin W. Er hatte ein Zimmer als Büro in der Villa genutzt. Er war auch einer der Letzten, die Marsalek getroffen hat, bevor er im Juni untertauchte. Am Tag nach einem gemeinsamen Essen fuhr Marsalek nach Österreich und ließ sich von einem Flugplatz südlich von Wien nach Minsk fliegen. Dort verliert sich seine Spur. W. hat gegenüber Dritten bestritten, an der Flucht beteiligt gewesen zu sein.

Die Wirecard-Aktie ist seit dem verhängnisvollen Juni in die Bedeutungslosigkeit gekracht. Wurde das Papier etwa im August 2018 mit fast 200 Euro gehandelt, notiert es nach der Insolvenz im Centbereich.

Bis auf vergangene Woche - da sorgte die Aktie mit Zugewinnen von etwa 400 Prozent in kurzer Zeit für Aufsehen. Innerhalb weniger Tage ging es dann aber wieder abwärts. Die meisten Börse-Beobachter können sich diese Bewegungen nicht erklären. Allerdings könnte der nochmalige Kurs nach unten gegen Ende des Jahres für einen Verkauf aus steuerlichen Gründen sprechen. Manche Anleger sehen in den Pennystocks eine Chance und spekulieren auf eine Gegenreaktion, ein sogenannter Rebound. Schafft das Papier noch einmal die 1 oder 2 Euro-Marke, hätten sie damit bereits ein gutes Geschäft gemacht. Experten prognostizieren hier aber keinen spannenden Krimi: Sie gehen davon aus, dass die Aktie schlicht Kurs auf den Nullpunkt nimmt.