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Europe first!

Von Marina Delcheva

Wirtschaft
EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis fordert eine Reform der WTO und weniger Abhängigkeit bei kritischen Gütern von Drittstaaten.
© reuters / Francisco Seco

Neues EU-Handelspapier: Mehr Protektionismus, stärkeres Auftreten gegenüber China und USA.


Klimaschutz priorisieren, die eigenen Märkte vor aggressiven und unfairen Handelspraktiken schützen, mehr Unabhängigkeit und resiliente Lieferketten schaffen - das neue Handelspapier der EU-Kommission liest sich wie eine Kampfansage light an die Globalisierung und den damit einhergehenden internationalen Handel.

Zwar bemüht sich die EU-Kommission explizit darum, das hart angeschlagene Verhältnis zu den USA zu kitten, und legt einen Fokus auf den Austausch mit der neuen US-Regierung. Sie hebt auch die Vorzüge des freien Waren- und Personenverkehrs hervor. Die Botschaft ist aber glasklar: Die EU will im Handelstreiben zwischen den USA und China nicht zerrieben werden und zeigt erstmals Zähne. "Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, machen eine neue Strategie für die EU-Handelspolitik erforderlich", sagte dazu EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis am Donnerstag.

Neue Herausforderungen

Digitalisierung, der aufkommende, Rechtspopulismus, ein erstarktes China - diese Herausforderungen wurden durch die Corona-Krise noch verstärkt und stellen die EU-Länder vor massive Probleme. "Die Handelspolitik sollte uns auch entsprechende Instrumente zur Abwehr unlauterer Handelspraktiken an die Hand geben. Wir verfolgen einen Kurs, der im Zeichen von Offenheit, Nachhaltigkeit und Durchsetzungsfähigkeit steht und deutlich macht, dass die EU in der Lage ist, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und die Welt um sie herum durch Führungsstärke und Engagement gemäß ihren strategischen Interessen und Werten zu gestalten", so Dombrovskis.

Wirtschaftlich und technologisch ist Europa schon länger unter Druck. Die großen technologischen Würfe der vergangenen 20 Jahre kommen nicht aus Europa. Was den Import und Export anbelangt, steht die EU mit einem Handelsvolumen von 6 Billionen Euro noch immer an der Weltspitze. Im Vergleich zu den USA und China ist die Wirtschaftsleistung der EU-Länder aber deutlich gesunken. Machte sie im Jahr 2000 noch 23 Prozent des globalen BIP aus, werden es im Jahr 2030 laut EU-Kommission nur noch 13 Prozent sein.

Um Europas Position zu festigen, setzt die EU-Kommission auf Handelsabkommen und eine Stärkung der Handelsbeziehungen mit Drittstaaten. Diese Handelsabkommen sollen jedoch an bestimmte Bedingungen geknüpft werden; an Klimaziele oder an die Einhaltung von Menschenrechten etwa, wie im Strategiepapier festgehalten wird.

Letzteres könnte vor allem in Bezug auf China, mit dem die EU erst kürzlich ein Investitionsabkommen unterzeichnet hat, heikel werden. Internationalen Menschenrechtsorganisationen zufolge sollen dort politische Gegner und Angehörige der uigurischen Minderheit in Arbeitslagern zu Zwangsarbeit verpflichtet werden. "Ich bin etwas skeptisch, ob man das so durchsetzen kann, wenn es dann hart auf hart kommt", meint dazu Klaus Weyerstrass, Handelsexperte am Institut für Höhere Studien (IHS). Er verweist auf die Abhängigkeit von chinesischen Rohstoffen und Gütern. Mehr Verhandlungsmacht bescheinigt Weyerstrass der EU beim Klima, denn dieses betreffe alle Länder gleichermaßen.

WTO reformieren

Dombrovskis plädiert im Rahmen des Papiers auch für eine Reform der Welthandelsorganisation (WTO) die in den vergangenen Jahren durch den Boykott der US-Regierung unter Ex-Präsident Donald Trump de facto handlungsunfähig war. Unter anderem soll das bei der WTO beheimatete internationale Schiedsgericht für Investitionsschutz Umweltabwägungen stärker berücksichtigen. "Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass Staaten aus Angst vor Klagen nicht ihre eigene Politik durchsetzen können", meint Weyerstrass. Zudem legt die EU-Kommission nun einen noch deutlicheren Fokus auf regionale Produktion und auf eine Stärkung der innereuropäischen Lieferketten; vor allem im Bereich kritischer, systemrelevanter Güter wie medizinischer Ausrüstungen. Corona-bedingt kam es hier zu einer Knappheit wegen unterbrochener Lieferketten.

Die Wifo-Ökonomin Elisabeth Christen stellt fest: "Die Ziele sind gut, die Frage ist jetzt: Wie können die Forderungen umgesetzt werden?" Sie sieht die EU-Pläne auch als positives Signal an die USA, den gemeinsamen Handel wieder zu stärken und die WTO zu reformieren. Die EU habe aber in den vergangenen Jahren gezeigt, dass sie auch ohne die USA Handelsallianzen eingehen könne. "Wenn sich die Strategie aber nun als zahnlos erweist, dann macht sich die EU unglaubwürdig", schließt Weyerstrass.