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Katerstimmung nach dem Höhenrausch

Von Karl Leban

Wirtschaft

Die Gamestop-Börsenschlacht hat Profi-Spekulanten zwar Milliarden-Verluste beschert. Blutige Nasen haben sich aber auch viele Kleinanleger, die Initiatoren der Aktion, geholt. Sie haben dem Ruf des Aktienmarkts geschadet, sagen Experten.


Es war etwas völlig Neues für die Börsenwelt, was sich im Jänner rund um den zuvor kaum beachteten US-Aktientitel Gamestop abspielte. Hobby-Investoren der Social-Media-Plattform Reddit, die dort im Forum "WallStreetBets" eine Allianz geschlossen hatten, trieben bei dem Videospielhändler mit konzertierten Käufen - vor allem über die Broker-App Robinhood - die Kurse massiv nach oben. Damit zwangen sie mehrere Hedgefonds, ebenfalls Aktien zu kaufen. Denn die hatten bei der angeschlagenen Firma über Leerverkäufe, ein Termingeschäft, auf einen Kursverfall gewettet. Da es mit den Preisen nun aber in die Gegenrichtung ging, mussten sie sich rasch mit Gamestop-Aktien eindecken. Sonst wäre ihr Verlust, der sich letztlich auf 12,5 Milliarden Dollar summieren sollte, noch viel höher gewesen. Das Spektakuläre bei diesem Schauspiel: Kurzfristig schoss der Kurs bei Gamestop wie eine Rakete - um bis zu 1.800 Prozent - in die Höhe.

Ähnliche, von den Reddit-Kleinanlegern ausgelöste Kurskapriolen waren zuletzt auch beim Silberpreis zu beobachten, der Anfang Februar auf ein Achtjahreshoch sprang, sowie bei mehreren US-Unternehmen, darunter der Kinobetreiber AMC, der Kopfhörerhersteller Koss und die Modekette Express. Hier duellierten sich "Börsen-Rebellen" in konzertierten Aktionen ebenfalls mit professionellen Investoren, die mit Leerverkäufen auf fallende Kurse gesetzt hatten. Mit der Folge, dass kurzfristig Kursgewinne in zwei- oder gar dreistelliger Prozenthöhe zu verzeichnen waren.

Hoher Anstieg - und tiefer Fall

Nachhaltig waren diese katapultartigen Bewegungen nach oben freilich nicht - am wenigsten bei Gamestop. Dort ist von den überaus üppigen, von jeglichen Fundamentaldaten losgelösten Kursgewinnen nach einer steilen Talfahrt und extremen Preisschwankungen inzwischen nur noch wenig übrig. Ähnlich wie bei einem Pyramidenspiel sitzen somit viele Reddit-Anleger bei Gamestop & Co. nun auf hohen Verlusten, sofern sie erst eingestiegen sind, als die Kurse bereits in lichten Höhen notierten, oder sie den rechtzeitigen Ausstieg verpasst haben.

Monika Rosen-Philipp, Chefanalystin der Unicredit Bank Austria, meint deshalb, dass man vor diesem Hintergrund wohl die - auch moralische - Frage stellen müsse, "ob man Kleinanleger quasi vor sich selbst schützen soll". Als die von der Reddit-Investoren bevorzugte Trading-App Robinhood an einem bestimmten Punkt der Kursrally den Kauf von Gamestop-Aktien einschränkte, habe dies zu "lautstarken Protesten" geführt, erinnert Rosen-Philipp. Es hieß, dass durch die Beschränkung lediglich die Hedgefonds geschützt werden sollten. "Da in der Folge der Kurs von Gamestop massiv gefallen ist, kann man aber auch sagen, die Kleinanleger wurden davon abgehalten, weiter Geld zu verbrennen", betont Rosen-Philipp.

Gefahr der "spielerischen Note"

Kritisch sieht die Wiener Börsenexpertin indes die "Gamification" von Internet-Handelsplattformen, die Anwendung spieltypischer Elemente in einem spielfremden Kontext. "Apps wie Robinhood verleihen dem Börsenhandel eine spielerische Note, die eventuell davon ablenkt, dass es hier um echtes Geld und echte potenzielle Verluste geht", gibt Rosen-Philipp zu bedenken.

Sie selbst bezweifelt jedenfalls, "ob alle Kleinanleger, die im Jänner Gamestop gekauft haben, wirklich an einem langfristigen Investment interessiert waren". Schließlich schreibe das Unternehmen derzeit rote Zahlen und und werde das auch zumindest noch im nächsten Jahr tun. Detail am Rande: Gamestop steckt eigentlich tief in der Krise und galt zwischenzeitlich schon als abgeschrieben. Das Filialgeschäft mit Videospielen hat in Zeiten des Online-Booms keine große Perspektive mehr und leidet in der Corona-Krise noch zusätzlich.

"Falsche Bühne" für Revolten

Auch für den Chefanalysten der Raiffeisen Bank International (RBI), Peter Brezinschek, steht fest: "Die Motivation der Kleinanleger war, den Hedgefonds (als viel kritisierten Inbegriff für kapitalistische Gier, Anm. d. Red.) einen massiven Verlust zu bescheren, nicht das Unternehmen Gamestop zu retten." Wäre es darum gegangen, einer maroden Firma unter die Arme zu greifen, dann wäre das "verständlich und anerkennenswert", so Brezinschek. "Aber nur zu schauen, wo die meisten Leerverkäufe sind, und dort aus Abneigung gegen Hedgefonds einen Kampf zu veranstalten, halte ich für die Funktion des Kapitalmarkts für total abträglich und entbehrlich." Brezinscheks Fazit: "Der Aktienmarkt als Schlachtfeld von Börsen-Rebellen gegen Hedgefonds oder andere institutionelle Anleger ist die falsche Bühne. An der Börse sollte der Rechner und nicht der Fehdehandschuh regieren."

In den Aktionen der "WallStreetBets"-Gemeinde sieht der Raiffeisen-Experte eine Rufschädigung für den Aktienmarkt. "Gerade die Aktie wird immer wieder - auch in Österreich - für ideologische Fehlinterpretationen missbraucht." Aus Brezinscheks Sicht sorgt der kurzfristig angelegte Run auf Gamestop-Aktien dafür, dass hier alle Beteiligten verlieren, nicht nur die zum Feindbild erklärten Hedgefonds. Beide Seiten "vereint kurzfristiges Gewinnstreben, die langfristige Komponente von Aktien bleibt auf der Strecke", kritisiert er. Dabei sei gerade die Aktienfinanzierung ein "Motor für neue Entwicklungen, Strukturwandel und Innovationen" - mit positiven Einflüssen auf Wirtschaftswachstum und Beschäftigung.

"Ihren ,Erfolg‘ hat die ,WallStreetBets‘-Gemeinde jedenfalls teuer erkauft", sagt Brezinschek weiter. Denn die Profi-Anleger seien weitergezogen, und jetzt seien die Börsen-Rebellen bei Gamestop unter sich. "Bei einer Wette auf ein schwer defizitäres Unternehmen, das frühestens 2023 Gewinne schreiben könnte, werden auch die Börsen-Rebellen noch viel Lehrgeld zahlen", meint Brezinschek. Denn der geschätzte Firmenwert von Gamestop liege bei 13,5 Dollar je Aktie, der Börsenkurs aber bei rund 42 Dollar. Nachsatz: "Dass langfristig Unternehmensbewertungen das Börsengeschehen bestimmen, werden auch die ,WallStreetBets‘ zur Kenntnis nehmen müssen."

Helmut Siegler, Vorstandsmitglied der auf Vermögensverwaltung spezialisierten Schoellerbank, lässt an der jüngsten Börsenschlacht ebenfalls kein gutes Haar: "Die Vorgänge rund um Gamestop hatten das Potenzial, das Vertrauen in die Märkte zu schwächen", wie er sagt. Für entsprechende Regulierungen bricht Siegler daher eine Lanze: "Wir unterstützen sämtliche Bestrebungen, die für einen transparenten und integren Handel im Sinne aller Investoren sorgen."

War es Marktmanipulation?

In den USA hat die Kursrally bei Gamestop (und anderen Marktwerten wie dem Silber-Future und AMC) jedenfalls die Aufsichtsbehörden, aber auch die Politik bereits auf den Plan gerufen. Im Raum steht der Verdacht auf Marktmissbrauch und Marktmanipulation. Am Donnerstag wurde die Causa Gamestop medienwirksam sogar im amerikanischen Kongress behandelt. Neben Hedgefonds-Managern und Firmenchefs mussten auch der wegen plötzlicher Kaufbeschränkungen in die Kritik geratene Online-Broker Robinhood und der YouTuber "Roaring Kitty", der mit seiner aggressiven Werbung für Gamestop als treibende Kraft der "WallStreetBets"-Community gilt, vor einem Ausschuss des US-Repräsentantenhauses zu den Kursturbulenzen aussagen.

Ein Ergebnis der Untersuchungen steht noch aus, für Brezinschek ist die Sachlage aber schon jetzt eindeutig: "Die Herbeiführung eines ,künstlichen Preises‘, der keine ökonomische Fundierung im Unternehmen hat, macht die Gamestop-Aktion der ,WallStreetBets‘ zu einer klaren Marktmanipulation." Auch nach der EU-Marktmissbrauchsverordnung seien "Aktionen, die den Kurs von Aktien so massiv beeinflussen, dass sie ein künstliches Kursniveau erreichen, ein strafbares Verhalten", sagt Brezinschek. Er streicht dabei die Verabredung in Social-Media-Foren hervor, die für die Aufsichtsbehörden unschwer zu identifizieren sei. Zudem sei mit Robinhood vornehmlich ein Broker verwendet worden.

Letztlich "kleine Fische"

Mit Blick auf mögliche Veränderungen an den Finanzmärkten durch Fälle wie Gamestop & Co. meint Brezinschek, dass künftig mit mehr Aktivität organisierter Kleinanleger zu rechnen sei. Dies werde sich jedoch nur kurzfristig in Marktschwankungen bemerkbar machen, zumal die weltweite Börsenkapitalisierung bei 95.000 Milliarden Dollar liege und Gruppen wie "WallStreetBets" letztlich "kleine Fische" seien. Der RBI-Experte glaubt auch, dass sich an New Yorks Börse wohl bald etwas tun werde. Denn die habe - "fälschlicherweise" - mehr als 100 Prozent Leerverkäufe der bestehenden Aktien zugelassen, was mitunter "Leerverkaufsorgien" zur Folge gehabt habe. Positiv sei auch, dass Hedgefonds aus ihrer Lektion gelernt hätten, dass sie bei kleinen Aktiengesellschaften keine zu hohen Anteile an Leerverkäufen tätigen dürfen.

"Man wird auch Gratisbrokern wie Robinhood, die aus dem Verkauf von Transaktionsdaten Geld verdienen, genauer auf die Finger schauen, ob sie damit nicht auch Marktmissbrauch Vorschub leisten, weil sie einseitige Informationsweitergabe gegen Gebühr vertreiben", sagt Brezinschek.

Bitcoin-Kurs steigt und steigt

Was die Broker-App Robinhood betrifft, die im Ruf steht, durch das Angebot eines kostenlosen Aktienhandels eine Generation von Zockern herangezogen zu haben, so bietet diese seit Anfang 2018 auch den Handel mit hochriskanten Kryptowährungen an. Bei Bitcoin etwa setzte sich die Rekordjagd diese Woche fort. Erstmals wurde die magische Marke von 50.000 Dollar geknackt.