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"Derzeit fließen die Warenströme um Österreich herum"

Von Bernd Vasari

Wirtschaft

Der Güterschienenverkehr zwischen Europa und China ist um die Hälfte gestiegen. Was nun getan werden müsste, damit Österreich von dem Handelsnetz profitiert, erklärt Standortanwalt Alexander Biach.


Seit 2013 baut China die Schiene für den Güterverkehr in Richtung Europa aus. Das macht sich jetzt bezahlt. Während die Container-Schifffahrt ihre Kapazitäten zurückschraubt, steigt das Bahn-Aufkommen auf der sogenannten neuen Seidenstraße.

Österreich sollte per Breitspurbahn an das Handelsnetz angeschlossen werden. Warum die Pläne in die Schublade wanderten, welche Rolle die ÖBB spielen müsste und welchen entscheidenden Vorteil der Großraum Wien hat, erklärt der Standortanwalt der Wirtschaftskammer, Alexander Biach.

"Wiener Zeitung": Herr Biach, der Güterschienenverkehr zwischen China und Europa ist in einem Jahr um die Hälfte gestiegen. Wie lässt sich dieser rasante Anstieg erklären?

Alexander Biach: Es besteht hier ein Zusammenhang mit den teuer gewordenen Schiffscontainern. Die Reedereien reduzierten in der Corona-Krise ihre Kapazitäten. Durch die Drosselung der Transportmöglichkeiten verteuerten sich die Container. Am Anfang der Krise kostete ein großer 40-Fuß-Container von Asien nach Europa noch 1.400 Dollar, mittlerweile sind es 8.000 Dollar. Spontanbuchungen kosten noch mehr. Viele Speditionen sind daher auf die Schiene ausgewichen.

Wie nachhaltig ist dieser Trend? Werden die Speditionen ihre Güter wieder mit dem Schiff transportieren, sobald die Krise vorbei ist und die Container billiger angeboten werden?

Über Jahre baute China die sogenannte Seidenstraße zwischen Asien und Europa auf der Schiene auf. Das ist nicht entwickelt worden, um dann wieder dem Schiff zu weichen. In zwei wesentlichen Bereichen ist die Schiene dem Schiff zudem überlegen: Der Gütertransport auf der Schiene ist viel umweltfreundlicher und der Transport um einiges schneller. Mit der Bahn dauert es 12 bis 14 Tage, mit dem Schiff 30 bis 35 Tage.

Der Ausbau der Seidenstraße macht sich auch in Europa bemerkbar. Terminals wie in Duisburg und Minsk werden ausgebaut, Bahnlinien wie jene von Budapest nach Belgrad errichtet. In Wien landeten die Pläne für eine Anbindung an das Handelsnetz allerdings in der Schublade. Hat sich die Bundesregierung verkalkuliert?

Ein Güterzug bei der Beladung an der kasachisch-chinesischen Grenze in Khorgos.
© Bernd Vasari

Wir haben als Wirtschaftskammer jahrelang die direkte Anbindung an die Breitspurbahn in Kosice verfolgt. Das Verkehrsministerium prüfte bis zum vergangenen Jahr auch noch verschiedene Streckenführungen. Die Regierung hat das zwar nur zur Kenntnis genommen, aber auch nicht abgelehnt. Doch wir haben nun eine neue Situation, die das Vorhaben erschwert.

Um welche Situation handelt es sich?

Die Anbindung sollte bis zu den beiden slowakischen Terminals Dobra und Cierna nad Tisou nahe der ukrainischen Grenze verlaufen. Doch die werden derzeit kaum bedient. Der Hintergrund: Nachdem die Slowakei 2019 ein Zollbetrugsverfahren für chinesische Importe begann, änderte China seine Route. Die Waren werden nun über Polen und Ungarn umgeladen.

Um welche Mengen geht es?

2018 wurden in den beiden Terminals noch 34 Millionen Tonnen, im Jahr 2020 nur noch 21,3 Millionen Tonnen abgefertigt. Das widerspiegelt sich auch im gesamten Handelsvolumen der Slowakei mit China. Es lag zuletzt bei 6,7 Milliarden Euro, also auf demselben Niveau wie 2015. Ungarn konnte hingegen sein Handelsvolumen mit China um 62 Prozent steigern. 2015 waren es noch 5,9 Milliarden Euro, 2020 waren es bereits 9,6 Milliarden Euro. Für die Breitspurverlängerung sind das schlechte Nachrichten. Es gibt seither wenig Signale vonseiten der Slowakei über einen Weiterbau bis nach Wien.

Der Plan mit der Breitspurverlängerung bis nach Wien liegt also auf Eis. Gibt es einen Plan B?

Man muss trotzdem den Weg auf der Schiene nach Österreich finden. Dazu ist weiterhin ein multimodaler Terminal notwendig, um die Wertschöpfung und Jobs sicherzustellen.

Wenn nicht auf der Verbindung von Kosice, woher sollen die Güter dann kommen?

Egal, ob Breitspurbahn nach Kosice oder nicht: Die Waren werden kommen. Die Frage ist nur mit welchen Transportmitteln. Im Gegensatz zu anderen Städten in der Region laufen durch Wien drei transeuropäische Bahnstrecken. Von Paris nach Budapest, vom Baltikum bis Italien und bis nach Serbien. Wien als Knotenpunkt könnte die Waren daher klimaschonend auf der Schiene weiterverteilen. Andere Standorte werden eher auf den Lkw setzen, die dann auch durch Österreich durchfahren. Damit erhöht sich das Lkw-Aufkommen in Österreich und damit auch die Abgaswerte.

Die ÖBB sind die zweitgrößte Güterverkehrsbahn in Europa. Zugleich steht Österreich bei der Seidenstraße auf der Bremse. Wie passt das zusammen?

Die ÖBB gehörten zu den Ersten, die Wege auf der Schiene nach Asien, bis nach Shanghai, gefunden haben. Sie haben viele Beteiligungen an ausländischen Bahnen und Häfen an der Adria, besitzen etwa die Güterbahn in Ungarn. Die starke Marktmacht der ÖBB müsste aber auch im eigenen Land genutzt werden. Die ÖBB müssten in Österreich noch deutlicher auftreten, was den Anschluss an die Seidenstraße betrifft. Das sollte auch im Sinne der Regierung sein, die sich ja Umweltschutz löblicherweise auf die Fahnen schreibt. Wenn wir den Güterverkehr nicht umweltfreundlich machen, dann werden wir auch keine Klimaziele erreichen.

Die Wirtschaftsmacht China würde Europa mit Billigwaren überfluten, sagen Kritiker. Inwiefern könnte Österreich jedoch profitieren?

Wir haben das von der Wirtschaftskammer immer als große Chance gesehen mit bis zu 2.000 neuen Jobs, wenn es ein Terminal im Großraum Wien gibt. Derzeit fließen die Warenströme um Österreich herum. Das heißt, die Wertschöpfung bleibt aus. Das können wir uns nicht leisten. Wir könnten auf grüne Logistik umlenken und hätten eine Vorbildwirkung. Weiters löste China im vergangenen Jahr die USA als größten Handelspartner Europas ab. Die Nachfrage nach Gütern ist also da. Für Österreich geht es nun darum, ob wir dabei sind oder nicht.

Die Warenströme sind in der Vergangenheit sehr einseitig von Asien nach Europa geflossen. Zurück sind leere Waggons gefahren . . .

Das wird sich in Zukunft ändern. Seit kurzem fördert China nur noch paarige Verkehre. Die leeren Container fahren ja auch durch China durch, das verursacht Kosten. Nun soll es optimiert werden. Das ist zu unserem Vorteil. Es gibt viele europäische Waren, an denen China interessiert ist. Die Seidenstraße lebt. Wir sollten sie als Möglichkeit nutzen, um nach der Corona-Pandemie unsere Wirtschaft wieder aufzubauen.