Zum Hauptinhalt springen

Ein Lobbying-Skandal erschüttert England

Von Karl Leban

Wirtschaft

Die Pleite des Finanzdienstleisters Greensill zieht weite Kreise. Mittlerweile steht sie für eine hochbrisante Affäre, die offenbart, wie eng Politik und Wirtschaft im Vereinigten Königreich miteinander verflochten sind.


In Österreich ist es die Commerzialbank, in Deutschland Wirecard - und in Großbritannien seit kurzem Greensill. Wie die burgenländische Regionalbank und der Münchner Zahlungsabwickler stammt auch Greensill aus der Finanzbranche und wie seine Pendants hat das Unternehmen eine Milliarden-Pleite hingelegt und durch seine Verbindungen zur Politik für einen Skandal gesorgt. In London schlägt die Causa hohe Wellen. Mit Blick auf den brisanten Fall sprechen Beobachter von einem "politischen Pulverfass".

Im Fokus der Affäre steht Ex-Premier David Cameron, der Initiator des Brexit-Referendums. Cameron - wie Amtsinhaber Boris Johnson Mitglied der Konservativen Partei - war für Greensill Capital als Lobbyist tätig. Als solcher warb er im Frühjahr 2020 bei Finanzminister Rishi Sunak um Unterstützung für die Gruppe, die darauf spezialisiert ist, Lieferketten zu finanzieren. Cameron hat inzwischen Fehler eingeräumt. So wäre es besser gewesen, nur über die "formalsten Kanäle" Kontakt mit der Regierung aufzunehmen - statt Textnachrichten an Sunak zu schicken. Regeln will der Regierungschef der Jahre 2010 bis 2016 aber keine gebrochen haben.

Neben Cameron und seinen umstrittenen Lobbying-Aktivitäten hat aber auch die Doppelrolle eines Spitzenbeamten die amtierende britische Regierung in die Schusslinie gebracht. Dieser Beamte war bei Greensill in Teilzeit beschäftigt - zusätzlich zu seiner Tätigkeit als Chef des Beschaffungsapparates und noch dazu mit Erlaubnis der Regierungsbehörde Cabinet Office. Die "Times" zitierte zuletzt aus dessen Korrespondenz, wonach auch andere Mitarbeiter der Regierung einen Zweitjob bei Greensill gehabt hätten.

Opposition blitzt mit Antrag auf Untersuchungsausschuss ab

Politisch steht für die Konservativen in der Causa viel auf dem Spiel. Johnson hat daher eine Prüfung angeordnet, ein unabhängiger Anwalt soll Camerons Rolle unter die Lupe nehmen. Daneben sind noch weitere Untersuchungen eingeleitet worden, die den Fall aufklären sollen. Indes wurde ein von der Opposition beantragter Untersuchungsausschuss im Parlament mit den Stimmen der Regierungsmehrheit abgelehnt.

Doch wer ist nun Greensill? Und welche wirtschaftlichen Folgen hat deren finanzieller Crash? Das Unternehmen gegründet hat der australische Banker Lex Greensill vor zehn Jahren. Die Holding der Gruppe hat ihren Sitz in Australien, das operative Geschäft ist bei der britischen Tochter Greensill Capital konzentriert. Die Gesellschaft betreibt Finanzierungsgeschäfte. Sie zahlt Forderungen eines Lieferanten sofort aus und kassiert dafür einen Abschlag. So kann etwa ein Stahlkonzern seine Rohstoffe bei Lieferanten bestellen, ohne die Rechnung prompt begleichen zu müssen. Die Zahlungsansprüche gegenüber Unternehmen bündelt Greensill zu Wertpapieren, die an Profi-Investoren veräußert werden. 2019 hat die Gruppe laut eigenen Angaben Forderungen von 10 Millionen Kunden im Gesamtvolumen von 143 Milliarden Dollar, umgerechnet fast 119 Milliarden Euro, gebündelt und weiterverkauft.

In die Bredouille geriet Greensill, als mehrere Partnerunternehmen das Vertrauen verloren und die Geschäftsbeziehungen kappten. Die Schweizer Großbank Credit Suisse sowie das Fondshaus GAM lösten Lieferketten-Finanzierungs-Fonds auf, die sie gemeinsam mit Greensill betrieben hatten. Außerdem zogen sich Versicherer, die bei Greensill die Geschäfte abgesichert hatten, zurück. Was den Vertrauensverlust bewirkt hat, ist offiziell bisher nicht bekannt.

Pleite trifft auch österreichische Großbanken, aber nur gering

Auf den österreichischen Bankensektor hat die Greensill-Insolvenz nur geringe Auswirkungen. Nach Informationen der "Wiener Zeitung" geht es alles in allem um einen "mittleren einstelligen Millionenbetrag" - wobei ausschließlich Großbanken als Gläubiger betroffen sind.

Anders in Deutschland: Dort sorgt das Finanzdebakel um Greensill für großen Wirbel. Die Bundesfinanzaufsicht verfügte zunächst Anfang März die Schließung der Bremer Greensill-Bank (vormals Nordfinanz Bank), eines 2014 erworbenen Ablegers der Gruppe, wegen drohender Überschuldung und fehlender Nachweise über die Existenz bilanzierter Forderungen. Mitte März schickten die Finanzsheriffs das zuletzt außergewöhnlich stark gewachsene Institut dann in die Insolvenz. Da der Verdacht auf Bilanzfälschung besteht, ließ die Bremer Staatsanwaltschaft kürzlich die Wohnungen von fünf Beschuldigten durchsuchen.

Von der Pleite der Greensill-Bank sind etliche deutsche Kommunen betroffen. Sie erhalten im Gegensatz zu privaten Sparern kein Geld von der Einlagensicherung zurück. In Summe soll rund eine halbe Milliarde Euro nicht über die gesetzliche Einlagensicherung abgesichert sein.