Zum Hauptinhalt springen

Europas Lieferkettengesetz vorerst noch in Warteschleife

Wirtschaft

EU-Kommission wollte Vorschlag im Juni vorlegen, Unternehmenslobbyisten vereitelten Zeitplan.


Unternehmen sollen in Zukunft Menschenrechte, Umweltstandards und gute Führung entlang ihrer gesamten Lieferkette in den Blick nehmen. Das ist dem Grundsatz nach der politische Wille in der EU. Daher soll ein entsprechendes Gesetz neben Großkonzernen auch Klein- und Mittelbetriebe in die Pflicht nehmen, sofern sie börsennotiert sind oder ein besonderes Risiko aufweisen. Ebenso soll das geplante Gesetz für Unternehmen gelten, die ihren Sitz nicht in der EU haben, aber im Binnenmarkt tätig sind. Außerdem soll es ein Einfuhrverbot für Produkte, die etwa mit Zwangsarbeit oder Kinderarbeit in Verbindung stehen, aussprechen.

Die EU-Kommission wollte ein solches Gesetz, das Firmen bei ihren Lieferketten stärker für Menschenrechts- und Umweltverletzungen verantwortlich machen soll, eigentlich schon im Juni für die gesamte Europäische Union vorschlagen. Doch daraus wird nun nichts, wie zu hören ist. Denn Unternehmenslobbyisten haben in Brüssel erreicht, dass die Kommission ihren Legislativvorschlag überdenkt. Das europäische Lieferkettengesetz wird sich somit verzögern.

Bei der Kommission heißt es jetzt, dass mit der Annahme des Vorschlags "nach dem Sommer" zu rechnen sei. Es sei wichtig, dieses Paket umfassend vorzubereiten, um verschiedene Aspekte zu berücksichtigen und die unterschiedlichen Ansichten der Beteiligten unter einen Hut zu bringen, wie in Brüssel betont wird.

Beobachter sprechen denn auch davon, dass der Erfolg eines europäischen Lieferkettengesetzes stark von der konkreten Ausgestaltung abhängen werde. Wie es dazu heißt, müssten die zu erfüllenden Sorgfaltspflichten verhältnismäßig und für die Unternehmen in der täglichen Praxis umsetzbar sein.

Rückenwind für die Bestrebungen auf EU-Ebene, einen gesetzlichen Rahmen für unternehmerische Sorgfaltspflichten zum Schutz von Menschenrechten und der Umwelt zu schaffen, ist zuletzt unter anderem vom Schweizer Konzernriesen Nestlé gekommen. Das weltgrößte Nahrungsmittelunternehmen ließ via Twitter wissen, dass es einen Rahmen unterstütze, der für gleiche Wettbewerbsbedingungen sorge und wirksame Maßnahmen bei den Lieferketten fördere. Nestlé verwies dabei auch auf einen mit 27. Mai datierten Brief an die EU-Kommission, in dem der Großkonzern zusammen mit anderen Kakao- und Schokoladenherstellern die unverzügliche Annahme eines entsprechenden EU-Gesetzgebungsvorschlags fordert.

Alleingang Deutschlands

Das vorerst zurückgezogene Paket der Kommission umfasst jedoch nicht nur Missbräuche in Lieferketten, sondern auch Corporate-Governance-Regeln für die Tätigkeit von Verwaltungsratsmitgliedern. Und die sollen auf großen Widerstand gestoßen sein - vermutlich auch deshalb die Rücknahme des Entwurfs. Jedenfalls sollen führende Unternehmen und nordische Länder Einmischungen in Management-Angelegenheiten abgelehnt haben, während kleine und mittlere Firmen angeblich befürchten, dass ihnen der Verwaltungsaufwand für die Überwachung der Lieferketten zu groß wäre.

Indes geht Deutschland eigene Wege. Anfang März beschloss die Regierung ein Lieferkettengesetz, aber nur für große Unternehmen. Die sollen ab 2023 verpflichtet werden, gegen Menschenrechtsverletzungen und Umweltverstöße bei ihren weltweiten Zulieferern vorzugehen. Bei Verfehlungen drohen ihnen Bußgelder von bis zu zwei Prozent ihres Jahresumsatzes. Wirtschaftsvertreter kritisierten den Entwurf. Sie fürchten Nachteile im internationalen Wettbewerb sowie Gerichtsverfahren wegen unklarer Formulierungen. Der Bundestag in Berlin hat das Gesetz noch nicht verabschiedet.

Auch in Österreich ist der Druck zur Einführung eines Lieferkettengesetzes zuletzt gestiegen. Hier macht sich vor allem die SPÖ stark. (kle)