Zum Hauptinhalt springen

"Entweder wir liefern Innovation oder wir müssen sie kaufen"

Von Bernd Vasari

Wirtschaft

EU-Finanzkommissarin Mairead McGuinness über die bevorstehende große Transformation in Europa.


Europa soll sich digital und nachhaltig aus der Corona-Krise finanzieren. Das "Und" zwischen den beiden Themenbereichen ist dabei wörtlich gemeint, kein digital ohne Nachhaltigkeit, keine Nachhaltigkeit ohne digitalen Fortschritt. So sieht es jedenfalls EU-Finanzkommissarin Mairead McGuinness, die bei den Alpbacher Wirtschaftsgesprächen in Tirol zu Gast ist.

"Der Green Deal ist die Basis für alles", sagt sie. "Wir müssen in allen Bereichen nachhaltiger werden." Egal, ob Gesundheitssystem, Landwirtschaft, Finanzwirtschaft oder Mobilität. Einen anderen Weg sieht sie nicht: "Entweder wir liefern Innovation oder wir müssen sie am Ende des Tages von außen kaufen, wenn wir sie nicht selbst liefern können." Zweifel hegt sie keine, im Gegenteil: "Wir wollen weltweit die Leadership-Rolle."

Mit dem Green Deal hat sich die EU zum Ziel gesetzt, die Treibhausgasemissionen bis 2030 gegenüber 1990 um 55 Prozent zu reduzieren und bis spätestens 2050 klimaneutral zu werden. Das kostet Geld. "Alleine, um die Transformation im Energiesektor zu schaffen, sind bis 2030 jährlich 350 Milliarden Euro an Investitionen nötig", rechnet McGuinness vor.

Forderung nach Kapitalmarktunion

Um die Transformation zu finanzieren, fordert die EU-Kommissarin einmal mehr die Schaffung einer Kapitalunion. Der europäische Finanzrahmen muss daher völlig neu durchdacht werden: "Ohne Investitionen aus dem privaten Sektor werden wir es nicht schaffen." Die Kriterien, was bei den Investitionen als nachhaltig eingestuft wird, sollen bis zum Jahresende formuliert sein.

Derzeit sind sich die Mitgliedstaaten noch uneinig, was nun nachhaltig ist und was nicht. So gibt es etwa im Energiesektor gegenteilige Ansichten, was Atomstrom betrifft. Befürworter sagen, dass dieser emissionsarm und daher bestens für die Energiewende geeignet sei. Andere verweisen auf die Frage des Atommülls und möglicher schwerer Störfälle. In der EU setzt sich etwa Frankreich dafür ein, Österreich ist traditionellerweise dagegen.

Ein Tauziehen gibt es auch darum, wie Gas eingestuft werden soll. Manche Mitgliedstaaten sehen Gas als notwendig an, für den Übergang von der Kohle zu erneuerbaren Energieträgern.

McGuinness hob die Wichtigkeit des Ausbaus von nicht fossilen Energien - Wasserkraft, Sonnen- und Windenergie - hervor. Doch die meisten Metalle und Rohstoffe, die etwa für die Magneten der Windkraftwerke, die Solarpaneele der Photovoltaik verwendet werden, können nur in China abgebaut werden. Macht sich die EU dadurch nicht abhängig von China?

Abhängig von China?

Außerdem ist der Abbau der Metalle - auch, wenn er in China und nicht in Europa stattfindet - sehr umweltschädlich. Die Elemente müssen dann mit aggressiven Chemikalien rausgelöst werden. Das ist ein aufwendiges mehrstufiges Verfahren, bei dem mindestens 95 Prozent teilweise kontaminierter Abfall übrig bleibt. Diese giftigen Chemikalien sind eine potenzielle Gefahrenquelle, wie Frank Melcher, oberster Geologe an der Montanuniversität Leoben, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" betont.

McGuinness weiß um diese Probleme. "Es gibt keine magische Formel dafür", räumt sie ein. "Wir müssen uns fragen, wie wir Ressourcen besser nutzen können." Auch Recycling könnte eine Lösung sein. Sie glaubt an Europas Innovationsfähigkeit, mit der dieses Problem gelöst werden könnte. Denn: "Nichts ist unmöglich. Wir hätten auch nie gedacht, dass wir durch ein globales Virus in unseren Freiheiten gestoppt werden."