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China und die Kunst des Regulierens

Von Monika Jonasch

Wirtschaft

Im Reich der Mitte wird die lange Zeit zügellos wachsende Wirtschaft plötzlich wieder an die Kandare genommen.


Nach Jahrzehnten fast ungehemmten Wachstums mit teils extremen Auswüchsen nimmt die chinesische Führung ihre Megakonzerne ins Gebet. Die Zeit der wirtschaftlichen Experimente, die Reformära, einst durch Deng Xiaoping eingeleitet, scheint zu Ende. Im August hatte der chinesische Präsident Xi Jinping das Streben nach "gemeinsamem Wohlstand" ausgerufen. Einkommensstarke Gruppen und Unternehmen sollten dazu angehalten werden, mehr zur Gesellschaft beizutragen.

Ein Exempel statuieren

Was darunter zu verstehen ist, konnte man bereits am Beispiel Alibaba sehen. Der Amazon-Rivale geriet im vergangenen November ins Visier der Behörden, als diese den mit mehr als 30 Milliarden Euro größten Börsengang der Welt, jenen der Alibaba-Finanztochter Ant Group, unter Hinweis auf neue Regeln, kurzfristig stoppten. Alibaba-Gründer Jack Ma tauchte monatelang unter. Anfang September wurde bekanntgegeben, dass Alibaba gut 13 Milliarden Euro in die vom chinesischen Präsidenten ausgerufene Initiative "Gemeinsamer Wohlstand" investieren will.

Aber Alibaba sollte nicht der einzige Konzern bleiben, den Chinas Führung an die Kandare nahm. Ein weiteres prominentes Beispiel ist der Fahrdienst-Anbieter Didi, der im Juni einen Börsengang an die Nasdaq vornahm. Nur wenige Tage später untersagte die chinesische Internetaufsicht CAC dem Uber-Rivalen, neue Kunden in China zu akquirieren, was dessen Kurs um rund ein Fünftel einbrechen ließ. Zugleich sperrten die Aufseher die Didi-App für den Download.

Als Begründung wurden schwerwiegende Verstöße bei der Sammlung und Nutzung persönlicher Daten genannt. China kündigte kurz darauf an, im Ausland an der Börse gehandelte chinesische Unternehmen stärker kontrollieren zu wollen.

Schock fürs System

Im Juli nahmen die Behörden dann den Immobiliensektor ins Visier. Er macht rund ein Viertel der chinesischen Wirtschaft aus. Ein üppiger Kreditfluss befeuerte jahrelang den Boom der Branche. Nun beschränkte man die Kreditaufnahme, Obergrenzen für Immobilienentwickler und Banken wurden festgelegt. So sollte eine Immobilienblase verhindert und Wohnungen sollten wieder erschwinglich werden, hieß es.

Als Symbol des Höhenflugs ebenso wie des abrupten Absturzes der ganzen Branche gilt der Immobilienkonzern Evergrande, der einen Schuldenberg von mehr als 250 Milliarden Euro angehäuft hatte. Nachdem der Konzern vor Liquiditäts- und Ausfallrisiken gewarnt hatte, stürmten wütende Investoren den Sitz des Unternehmens und verlangten ihr Geld zurück. Im Fall eines Zusammenbruchs von Evergrande werden zudem auch Schockwellen für das gesamte chinesische Bankensystem befürchtet.

Die Aktien des Unternehmens brachen am Dienstag an der Hongkonger Börse um fast zwölf Prozent ein. Der Handel mit Anleihen wurde nach massiven Preisschwankungen angehalten.

Macht und Moral

Ein Dorn im Auge der Staatsmacht sind auch Computerspiele. Ein chinesisches Staatsmedium bezeichnete diese als "spirituelles Opium". Daraufhin brach etwa der Marktwert des Branchenriesen Tencent massiv ein. Ende August schränkten die Behörden dann die Spielzeit für Minderjährige noch weiter ein als bisher und verlangten von den Anbietern diesbezügliche Kontrollen. Chinas Führung greift also massiv ins Spiel der Märkte ein, ändert kurzfristig die Regeln, riskiert Milliardenverluste an den Börsen der Welt und verschreckt Anleger. All das sei nur im Sinne einer Wohlstandsumverteilung, wird argumentiert.

Tatsächlich hat das Reich der Mitte ein Problem mit Ungleichheit. Kein anderes Land der Welt hat so viele Milliardäre. Und dennoch droht die Kluft zwischen Arm und Reich, Stadt und Land die Gesellschaft zu spalten. Die Kommunistische Partei zieht allerdings eine wesentliche Legitimation ihrer Macht daraus, dass sie für den Wohlstand des Volkes zuständig sei. Daher greift Peking ein: Vom Verbot gewinnorientierter Nachhilfe über Mietpreisdeckel bis zum Aufruf, dass Reiche spenden sollen, schwört man sich auf die große Umverteilung von Wohlstand ein. Das ist ein Motiv für Chinas Regulierungsoffensive. Ein weiteres dürfte die Erkenntnis sein, dass Konzerne wie Alibaba mit seinen Töchtern, Didi oder Tencent auf wahren Datenschätzen sitzen. Wer diese kontrolliert, kontrolliert auch die Bevölkerung. Und sind die Unternehmen nicht willig, ihre Datenspeicher offenzulegen, werden sie eben an die Kandare genommen.

Andererseits profitiert auch die Volksrepublik vom Spiel der Börsen und Märkte, das jahrzehntelang viel Geld in die Staatskassen spülte. Langfristig will man weder ausländische Investoren noch heimische Unternehmen verschrecken. Ob sich hier eine Balance finden lässt, wird sich zeigen. Nächstes Ziel für Regulierung könnte jedenfalls die Gesundheitsbranche von Online-Apotheken bis E-Health sein, auch über Erbschafts- und Vermögenssteuern wird bereits spekuliert.