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"Klimadiktatur seit dem Beginn der Erde"

Von Thomas Seifert

Klimawandel
Boku-Professor Bernhard Freyer plädiert für nachhaltige, klimafitte Landwirtschaft.
© Thomas Seifert

Eine gesündere Ernährung nützt nicht nur dem Klima - sondern auch dem Konsumenten, sagt Boku-Professor Freyer.


Bis vor kurzem hat Bernhard Freyer, Professor an der Wiener Universität für Bodenkultur (Boku), in Äthiopien an Projekten zur nachhaltigen Landwirtschaft gearbeitet. Im Interview fordert der Leiter des Instituts für Ökologischen Landbau von der Landwirtschaft einen Beitrag zur Bewältigung der Klimakrise ein.

"Wiener Zeitung":Wie kann die Lebensmittelproduktion nachhaltig und klimafit werden?

Bernhard Freyer: Wenn wir den Begriff Nachhaltigkeit ernst nehmen, dann bedeutet das in der Landwirtschaft erstens, dass Lebensmittel so weit möglich dort produziert werden, wo sie auch verbraucht werden. Wir müssen zudem den Verzehr von tierischen Lebensmitteln drastisch reduzieren. Drittens stehen wir in Europa vor der Situation, dass ein Großteil der Eiweißquellen für die Produktion von Futtermitteln benötigt und importiert werden muss. Dieses Eiweiß müssen wir in Zukunft selbst produzieren.

Sie bleiben aber dabei: Ohne Verzicht geht es nicht?

Ob das jetzt ein Verzicht ist oder nicht . . . da bin ich mir gar nicht so sicher: Ernährungswissenschafterinnen und -wissenschafter sind sich darüber einig, dass der Fleischkonsum und der Konsum von tierischen Produkten in der Europäischen Union doppelt so hoch ist, wie er sein sollte. Mit diesem Übermaß an Fleischkonsum belasten wir unsere Gesundheit. Es geht also nicht um Verzicht, sondern mit einer ausgewogeneren Ernährung können wir unsere Gesundheit verbessern. In Österreich kommen im Jahr pro Person rund 65 Kilo Fleisch auf den Teller - die Ernährungswissenschaft rät aber dazu, den Fleischkonsum auf rund 30 Kilo pro Jahr zu beschränken. Für ein Kilo Rindfleisch werden rund 25 Kilo Futter verbraucht, für die Produktion eines 200-Gramm-Steaks gehen 5,3 Kilo Kohlendioxid in die Atmosphäre. Wenn wir uns da ein wenig zügeln, nützt das unserer Gesundheit und dem Klima. Das ist doch eine tolle Win-win-Situation!

Also weg mit den Rindviechern?

Natürlich nicht. Die Rinderzucht wird in Österreich weiter bestehen. Aber: Es wird die Kopfzahl sinken und an die Tragfähigkeit der vorhandenen landwirtschaftlichen angepasst. Auch in der Schweinezucht bedarf es Anpassungen. Es geht um eine behutsame Anpassung, aber doch um eine klare Ansage. Bis 2030 muss alles erledigt sein.

Ist Fleisch zu billig?

Die bis heute gültige Maxime lautet, dass Lebensmittel für alle leistbar sein müssen. Die soll auch weiterhin gelten. In Zukunft werden aber weniger Betriebe Fleisch produzieren. In der Corona-Zeit ist der Fleischkonsum zurückgegangen - nicht zuletzt, weil die Menschen mehr zuhause gekocht haben. Auch die Restaurants werden sich an die Ernährungstrends anpassen - schließlich wird dort angeboten, was nachgefragt wird. Die Schmackhaftigkeit fleischarmer Gerichte lässt noch zu wünschen übrig. Aber: Fleisch darf zu keinem Luxusgut werden, das sich nur Betuchte leisten können. Ein Imagewandel für alle landwirtschaftlichen Produkte schadet nicht: Fleisch wird immer noch als ein Stück Lebenskraft vermarktet - ich habe noch nie gehört, dass man mit Fenchel oder mit einer Kartoffel ein Stück Lebenskraft isst - macht man aber! Wein wird zelebriert und verkostet, warum nicht auch Brot, Milch oder dergleichen? Selbst wenn mit dem Etikett "Bio" geworben wird, sieht man oft ein saftiges Steak und ein gesundes, glückliches Rind auf einer saftig grünen Weide. Da läuft etwas falsch. Was mir wichtig ist: Es geht nicht um Verzicht, sondern um eine neue Lebensqualität in der Ernährung, nicht nur für die Elite - sondern für alle. Gleiches gilt für die Produktion.

Was schlagen Sie konkret vor?

Die bestehende Eiweißlücke kann in Europa und der EU geschlossen werden. Bei einer drastischen Reduktion des Tierbestandes wird sie auch weniger groß sein. Man kann auch in Österreich Soja anbauen, und das geschieht ja bereits. Schmetterlingsblütler - Leguminosen - wie Hülsenfrüchte, Klee oder Luzerne haben den Vorteil, dass sie über Bakterien Stickstoff aus der Atmosphäre im Boden fixieren und man sich mineralische Stickstoffdünger weitgehend sparen kann. Zudem speichern Hülsenfrüchte in ihren Wurzeln erhebliche Mengen an Kohlenstoff. Das erhöht den Humusgehalt der Erde, verbessert die Bodenstruktur, den Wasserhaushalt des Bodens und damit, dass der Boden als Wasserspeicher besser funktioniert. Expertinnen und Experten gehen ja leider davon aus, dass Starkregenereignisse durch die Klimakrise zunehmen werden, da spielen gute Böden eine große Rolle, damit auch große Wassermengen in den Boden einsickern können und Überschwemmungen weitgehend vermieden werden. Gleichzeitig bedeuten gute Böden, dass in trockenen Phasen, die heute etwa im Marchfeld durchaus sechs bis acht Wochen dauern können, die Pflanzen immer noch die Chance haben, zu überdauern, weil ein mit reicher Humusschicht ausgestatteter Boden einen ausreichenden Wasservorrat hat.

Werden in Österreich - angepasst an die Klima- und Bodenverhältnisse - die richtigen Pflanzenarten angebaut? Anders gesprochen: Warum sieht man so viel Mais auf den Feldern?

Mais ist an sich keine Problempflanze, sondern Mais wird dann zum Problem, wenn sein Anteil in der Fruchtfolge zu hoch ist. Mais wird vor allem in der Schweinemast eingesetzt - hier schließt sich der Kreis von Fehlproduktion und Fehlernährung. In den ersten sechs Wochen ist beim Maisacker der Boden offen - wenn dann der Humusgehalt im Boden gering ist, dann kommt es zu Bodenerosion. Mais wird im Abstand von rund 60 Zentimetern gepflanzt, beim Weizen sind es 12 bis 15 Zentimeter. Das Feld ist beim Weizen also viel dichter geschlossen, das beugt der Bodenerosion vor. Beim Mais kann man das aber verhindern, wenn man Klee als Untersaat beimengt.

Wie kann man die Landwirtschaft klimafit machen?

Erstens: Die Bauern müssen den Boden in einen Zustand versetzen, dass er mit Wetterextremen besser umgehen kann - das Wichtigste dabei ist eine entsprechende Humusschicht - und die wird maßgeblich über Klee-/Luzernegemenge erreicht. Zweitens: Die trockenen, heißen Winde in den immer extremeren Sommermonaten werden zu einer großen Herausforderung. Eine bessere Möblierung der Landschaft - wenn ich das so formulieren darf - hilft da sehr. Damit meine ich Bäume und Hecken. Die ausgeräumte Landschaft kann man mit Feldrandgehölzen wieder besser strukturieren. Das ist kniffelig, denn das kostet Fläche und somit Ertrag. Es zeigt sich aber, dass sich die Ertragssicherheit verbessert, wenn man die Flächen besser strukturiert. Denn die Bauern müssen längst darüber nachdenken, wie sie ihren Ertrag absichern können. Der Windschutz, den diese Landschaftsmöblierung bietet, fördert zugleich die Biodiversität - freilich nur, solange man keine Monokulturen pflanzt, also nicht nur eine Holzart, sondern aus einer Kombination von verschiedenen Gehölzen auswählt. Man wird einerseits Bäume wählen, die rasches Wachstum versprechen, andererseits Gehölze, die eine entsprechende Lebensdauer aufweisen und einen guten Windschutz garantieren.

Bernhard Freyer im Feld: Der Boku-Professor erforscht unter anderem in Äthiopien, wie die Landwirtschaft besser strukturiert werden kann.
© privat

Es geht Ihnen also um eine echte Transformation der Landwirtschaft und Ernährung?

Ja, keine Frage, das jetzige System hat sich als falsch erwiesen, Umweltschäden und die gesundheitlichen Folgen falscher Ernährung sprechen eine deutliche Sprache. Es gibt auch alternative Pfade, die diskutiert werden, wie zum Beispiel der Marchfeld-Kanal, der entsprechende Wassermengen aus der Donau abführen und für ein Bewässerungssystem zur Verfügung stellen soll. Solche Lösungen sind aber kurz gedacht. Allein wenn man jetzt nach Ostdeutschland blickt und die Dürreperioden dort anschaut und sieht, wie dort ganze Flüsse abtrocknen, dann sollte einem das zu denken geben. Dazu kommt: Wenn die Donau-Anrainerstaaten nun anfangen, die Donau massiv zu beanspruchen, dann wird sie bei Trocken-Phasen ein derartiges Niedrigwasser führen, dass das völlig kontraproduktiv wäre. Außerdem wird das Problem damit ja nicht behoben.

In Europa oder den USA gibt es die finanziellen Mittel, sich an den Klimawandel anzupassen. Aber wie wird Afrika die Situation bewältigen?

In den zurückliegenden Jahrzehnten sind in Afrika Milliarden investiert worden, und zwar in der Forschung und in die Optimierung der Produktionssysteme. Aber letztlich steht man dort noch ganz am Anfang. Leider wird zum Teil noch weniger Augenmerk auf humusfördernde Fruchtfolgen und Agroforstsysteme gelegt.

In der Vergangenheit wurde immer wieder von Expertinnen und Experten davor gewarnt, dass eines Tages der Phosphordünger knapp werden könnte, weil die Phosphorlagerstätten irgendwann erschöpft sein werden. Ist da etwas dran?

Neben den Phosphorvorkommen in Marokko und anderen Ländern gibt es vor allem in China größere Lagerstätten. Global gibt es - so hieß es zuletzt - deutlich mehr Phosphor als bisher angenommen. Nicht alle Zahlen liegen auf dem Tisch, da geht es auch um wirtschaftliches Interesse und die Regulierung von Angebot und Nachfrage. Das heißt jedoch nicht, dass wir mit dem Phosphor verschwenderisch umgehen sollten. Im Gegenteil! Es gibt bei manchen Landwirten ein großes Missverständnis: Auf - mangels Humus - wenig ertragreichen Böden ist Mineraldüngereinsatz ineffizient und eine Verschwendung. Ohne Humuswirtschaft, basierend auf einer vielfältigen Fruchtfolge, die bereits im 19. Jahrhundert in ihren Grundzügen in Europa praktiziert wurde, wird man weder den Klimawandel mindern noch diesem in gewisser Weise entgegenwirken können.

Was im globalen Süden ebenfalls fehlt: Das Solar- und Windenergiepotenzial wird in keiner Weise ausgeschöpft. Glauben Sie, dass sich die Lage verbessern wird?

Indien zeigt vor, dass auch auf Dorfebene Solarenergie erzeugt werden kann - warum sollte das in den Ländern Afrikas nicht ebenfalls funktionieren? Aber es gibt so viele Herausforderungen: Im globalen Süden werden am Land eines Tages die Arbeitskräfte fehlen. Die Jugend, die heute im Dorf über ein Smartphone verfügt, hat keine Lust mehr, jeden Tag stundenlang Wasser kilometerweit durch die Landschaft zu schleppen oder Holz oder Holzkohle zu beschaffen. Wenn es nicht gelingt, in den Ländern des globalen Südens eine Neuausrichtung der Landwirtschaft zuwege zu bringen, die auch für junge Leute attraktiv und sozial anerkannt ist, dann werden die Menschen weiter in die Städte flüchten. In vielen Regionen gibt es heute noch keine Alternativen - aber die Menschen stellen sich schon die Frage: Warum leben die Menschen auf der anderen Seite der Welthalbkugel so viel besser? Warum können wir nicht auch so leben?

Ist die Umweltzerstörung im globalen Süden heute nicht viel größer als im Norden?

In gewisser Weise ist das so. Ein Beispiel: Kenia hat heute ein Waldbestand von etwa 2 bis 3 Prozent der Landesfläche. In den 1940er und 1950er Jahren waren es noch weit mehr als 50 Prozent. Ähnlich ist die Lage in Äthiopien. Bei den Wiederaufforstungsprogrammen wurden auch viele Fehler gemacht, da wurden einfach Eukalyptus-Monokulturen in die Landschaft gestellt.

Sind Länder wie Kenia oder Äthiopien auch von der Holzkrise betroffen?

Interessanterweise ja, weil ein wichtiger Anteil an Bau- und Konstruktionsholz kurioserweise aus Europa stammt. Die Holzpreise sind inzwischen völlig außer Rand und Band. Die enormen Preissteigerungen führen dazu, dass der Druck auf die heimischen Baumbestände enorm gestiegen ist. Die Zielrichtung sollte sein, dass man in diesen Ländern die Eigenproduktion massiv nach oben fährt. Durch Wiederaufforstung nehme man Fläche für die Lebensmittelproduktion weg, lautet manchmal die Kritik, die aber wenig Sinn ergibt. Denn wenn diese Wälder nicht gepflanzt werden, dann wird es weiter zu Hangrutschungen und irreversible Landverlusten kommen. Und wenn das passiert, dann wächst dort weder ein Baum noch irgendein Getreide. Also muss es darum gehen, aufzuforsten, um den Boden zu halten und geschickt in einer Kombination aus Forst- und Landwirtschaft wieder zu regenerieren und den Humusanteil wieder zu erhöhen.

Nach der Corona-Pandemie wartet die Klimakatastrophe. Unternimmt die Politik genug, um das Schlimmste zu verhindern?

Um es vorsichtig auszudrücken: Es gibt schon eine gewisse Ungeduld bei den Wissenschafterinnen und Experten.

Und etwas deutlicher?

Wir erleben schlicht ein Systemversagen, wie Niklas Luhmann das nennen würde. Denn das politische System folgt seiner eigenen Logik. Die Wirtschaft wiederum folgt ihrer Logik und die Wissenschaft einer Dritten. Was fehlt, ist ein Dialog zwischen diesen drei Systemen. In der Politik haben wir das Problem der Legislaturperioden und damit der fehlenden Kontinuität. Ein weiteres Systemproblem der Politik: Wie kann man der Gesellschaft Unangenehmes vermitteln und trotzdem wiedergewählt werden? Und in der Wirtschaft unterliegen manche der Illusion, dass die unsichtbare Hand des Marktes stets alle Probleme lösen würde. Eine der Aufgaben der Wissenschaft ist, auf Dinge hinzuweisen, die sonst nicht sichtbar sind. Die Wissenschaft muss diagnostizieren, darf darin aber nicht steckenbleiben, sondern soll Handlungsanleitungen liefern. Dabei braucht die Wissenschaft dringend die Medien.

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Die Politik hat in der Pandemie bewiesen, dass sie enorme Handlungsspielräume hat. Besteht aber nicht die Gefahr, dass man - wenn der Kampf gegen die Klimakatastrophe Einschränkungen erfordert - in eine Klimadiktatur rutscht?

Diese Klimadiktatur gibt es seit dem Beginn unseres Planeten. Das Klima diktiert, was auf diesem Planeten wo wachsen und gedeihen kann, wo man angenehm leben kann und wo es hart wird, wo es Wasser gibt und wo Trockenheit herrscht. Wenn wir nun mit dem Klima herumspielen, dann wird das Klima auch mit uns spielen. Dieses Spiel hat längst begonnen und kann sehr unangenehm für uns enden. Ich stelle mir die Frage: Wird man nach der Überwindung der Pandemie so schnell wie möglich zum Status quo ante zurückkehren wollen? Oder nimmt man Corona zum Anlass, die Gesellschaft neu aufzustellen? Ich habe zuerst darüber gesprochen, dass weniger Fleisch zu essen kein Verzicht, sondern ein Mehr an Lebensqualität sein kann. Bei einer Einschränkung des Individualverkehrs ist es genauso: Wollen Städter wirklich Autoabgase einatmen? Wollen Sie all den Lärm wirklich einfach so hinnehmen und der Gefahr eines Autounfalls ausgesetzt sein? Stattdessen: Was ist, wenn man sich vorstellt, dass immer weniger Autos unterwegs sind? Dass diese Autos dann elektrisch angetrieben werden? Und dass statt all der Blechkisten Bäume am Straßenrand stehen? Ich hoffe, dass die junge Generation sagt: Wir wollen Lebensqualität. Wir gehören zu den reichsten Ländern der Welt, aber wir sind inmitten von Abgasen und inmitten von Lärm und Hektik. Das passt ja nicht zusammen. Wozu all der Reichtum, wenn man dann nicht ein schönes, gutes und erfülltes Leben führen kann?

Zur Person: Bernhard Freyer ist Leiter des Instituts für Ökologischen Landbau an der Universität für Bodenkultur Wien. Einem transdisziplinären Ansatz folgend, zielt seine Arbeit auf die Verbindung von Natur- und Sozialwissenschaften. In den 80er Jahren arbeitete er als Senner in der Schweiz, zurzeit arbeitet er an Projekten in Äthiopien.