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Chinas Schreckgespenst

Von Karl Leban

Wirtschaft

Der Immobilienriese Evergrande wankt unter der Last seiner Schulden, ein erster Belastungstest steht am Donnerstag an.


Eine exzessive Finanzierung auf Pump hat dem Immobilienentwickler Evergrande zu rasantem Wachstum verholfen. Doch diese Expansion dürfte viel zu schnell erfolgt sein, darin sind sich Beobachter einig. Der chinesische Konzernriese sitzt inzwischen nämlich auf einem Schuldenberg von 305 Milliarden US-Dollar, umgerechnet gut 260 Milliarden Euro, und hat ernste Probleme, seine Gläubiger zu bedienen, wie er selber bereits eingeräumt hat. Der drohende Finanzkollaps spiegelt sich auch in seinem Aktienkurs wider, der in den vergangenen sechs Monaten um 85 Prozent in die Tiefe sauste. Am Donnerstag steht für Evergrande nun ein erster Belastungstest an: Bei einer fünfjährigen Anleihe im Volumen von zwei Milliarden Dollar wird eine Zinszahlung von 83 Millionen Dollar fällig.

Analysten gehen großteils davon aus, dass der Krisenkonzern, der Wohnungen entwickelt und hauptsächlich an Bewohner mit höherem und mittlerem Einkommen verkauft, nicht imstande sein wird, die Zahlung zu leisten. Dies hätte durchaus "beträchtliches Potenzial", die internationalen Kapitalmärkte in Angst und Schrecken zu versetzen, zitiert der US-Nachrichtensender CNBC etwa Vishnu Varathan von der japanischen Mizuho Bank.

Nachdem die Börsen auch heuer eine starke Performance vorzuweisen haben, könnte Evergrande mitunter "der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt", heißt es an anderer Stelle. Weltweit sitzen viele Anleger auf hohen Gewinnen und könnten eine Zahlungsunfähigkeit des chinesischen Giganten - neben einem vorzeitigen Schwenk der US-Geldpolitik infolge der hohen Inflation - zum Anlass nehmen, Kasse zu machen. Tun das viele zur gleichen Zeit, könnte es an den Aktienbörsen zumindest eine kräftige Korrektur gehen, so die Befürchtung von Marktteilnehmern.

Peking hält sich zurück

Die Regierung in Peking hat bisher keine Anstalten gemacht, den Immobilienkoloss, dessen Bonität bereits auf Ramsch-Status heruntergestuft wurde, aufzufangen. Die Sorge ist nun, dass weitere Konzerne aus dem chinesischen Immobilien-Sektor in die Tiefe gerissen werden und sich daraus möglicherweise eine neue Immobilienkrise entwickelt. Dazu kommt, dass Evergrande im Fall der Pleite Schockwellen durch Chinas Bankenmarkt jagen würde. Dies "wäre der bisher größte Stresstest, mit dem das chinesische Finanzsystem konfrontiert wäre", so Mark Williams, Asien-Chefvolkswirt bei Capital Economics, laut einem CNBC-Bericht.

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Evergrande ist freilich so groß, dass die Folgen eines möglichen Scheiterns nicht nur Chinas Wirtschaft schaden, sondern sich auch auf den internationalen Märkten zeigen könnten. Dominoeffekte auf die Immobilien- und Finanzmärkte sind nicht auszuschließen. Österreichische Geldhäuser dürften im Fall einer Pleite jedoch nicht davon betroffen sein.

Oberster Boss beruhigt

Für gewisse Beruhigung, zumindest was die Entwicklung des Börsenkurses von Evergrande betrifft (siehe Chart), sorgte am Dienstag der Verwaltungsratschef des Konzerns, Hui Ka Yuan. Es sei sicher, dass Evergrande "seine dunkelste Stunde" hinter sich lassen werde, schrieb er in einem Brief an die Belegschaft, über den lokale Medien berichteten. Gleichzeitig versicherte der Manager, dass die Firma ihre Immobilienprojekte - wie versprochen - beenden und Verantwortlichkeiten gegenüber Käufern, Investoren und Banken erfüllen werde. Wie das gehen soll, ließ er in dem Schreiben offen.

Am vergangenen Wochenende hatte Evergrande jedoch angekündigt, Investoren seiner Vermögensverwaltungsprodukte mit Immobilien "auszahlen" zu wollen. So sollen sich Anleger, die an der Rückgabe von Vermögensverwaltungsprodukten gegen Sachwerte interessiert seien, an ihre Anlageberater wenden oder eine lokale Niederlassung aufsuchen. Kolportiert wurde unter anderem auch, dass andere Immobilienentwickler Projekte übernehmen und fertigstellen würden. Zuletzt gab es wiederholt wütende Proteste chinesischer Bürger, die für eine Wohnung Anzahlungen geleistet haben und ihr Geld wieder zurückhaben wollten.

Angst vor sozialen Unruhen

"China wird alles daran setzen, diesen in Trudeln geratenen Flieger sicher und ohne Kollateralschaden zur Landung zu bringen", meint denn auch Monika Rosen-Philipp, Chefanalystin der Unicredit Bank Austria. In der Tat sind Chinas kommunistische Machthaber an sozialen Unruhen alles andere als interessiert, die es bei einer Pleite durchaus geben könnte und vor denen sie seit jeher Angst haben. Dies könnte allerdings zu einer Bevorzugung von Inländern gegenüber ausländischen Investoren führen, sagen Analysten. Als stark engagiert bei Evergrande gelten international tätige Fondshäuser wie Fidelity, UBS, Blackrock, Pimco, HSBC und Allianz.