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Klimaforscher: "CO2-Preis allein reicht nicht"

Von Michael Ortner

Wirtschaft
© oliver wolf foto gmbh

Keywan Riahi gilt als einflussreichster Klimaforscher. Im Gespräch erklärt er, wie negative Emissionen funktionieren, warum man die Finanzmärkte für die Rettung des Klimas braucht und jedes Produkt ein CO2-Label haben sollte.


Unser Klima steht auf der Kippe. Um die 1,5-Grad-Ziele zu erreichen, muss der Ausstoß von CO2 drastisch reduziert werden. Keywan Riahi schlägt einen Systemwechsel vor: Statt Dinge und Dienstleistungen zu besitzen, werden sie vermehrt geteilt. "Die Dienstleistung der Zukunft ist kohlenstofffrei", sagt er. Riahi ist nicht irgendwer, er gilt laut "Reuters"-Ranking als einflussreichster Klimaforscher der Welt. Seine Publikationen werden jährlich über 10.000 Mal zitiert. UN-Generalsekretär Antonio Guterres holte ihn heuer in ein zehnköpfiges Team, das die Vereinten Nationen bei der Umsetzung der Sustainable Development Goals in Wissenschaft, Technologie und Innovation berät.

"Wiener Zeitung": Herr Riahi, die Regierung hat einen CO2-Preis von 30 Euro pro Tonne festgelegt. Reicht dieser Preis, um die Emissionen wirklich zu senken?

Keywan Riahi: Das ist wirklich ein Gamechanger, dass CO2 jetzt einen Preis hat. Man kann natürlich über den Preis diskutieren, aber dass CO2 ökonomisch eingepreist ist in jede wirtschaftliche Aktivität, wird helfen, dass sie auch in Bezug auf das Klima evaluiert wird. Gleichzeitig muss man sehen, dass 30 Euro kein besonders hoher Preis ist. Im Transportsektor wird der Preis geringer sein als die jetzige Volatilität von Treibstoffpreisen. Es ist daher sehr unwahrscheinlich, dass vor allem bei der Privatmobilität der Preis eine große Auswirkung auf die Emissionen haben wird. Aber dort ist es auch nicht unbedingt eine Preisfrage. Dort muss es flankierende Maßnahmen geben, wie etwa das Klimaticket. Und auch die Alternativen zum Benzinauto müssen attraktiver gemacht werden. 2025 wird man dann sehen, ob der Preisanstieg ausreichend sein wird. Das hängt auch ein bisschen von den Preissignalen im Europäischen Emissionshandelssystem (ETS) ab, ob der CO2-Preis hoch genug ist.

Dort liegt der CO2-Preis derzeit bei 60 Euro pro Tonne?

Genau. Es gibt Sektoren, die sind diesem Emissionshandel unterworfen und Sektoren, die ihm nicht unterworfen sind. Man möchte die Preise aneinander angleichen, weil man sonst Emissionen vom einen Sektor in den anderen bekommt. Wahrscheinlich wird es notwendig sein, jährlich zu überprüfen, ob die Preissignale nachgeschärft werden müssen.

Löst denn ein CO2-Preis allein das Problem?

Nein, natürlich nicht. Der CO2-Preis ist für die Effektivität der Klimamaßnahmen sehr wichtig. Aber es gibt Sektoren, wo man flankierende Maßnahmen benötigt. Es reicht nicht, Preissignale zu setzen, ohne der Bevölkerung Alternativen zu geben. Wenn sie am Land wohnen und der CO2-Preis das Autofahren sehr verteuert und sie aber gleichzeitig keine andere Option als das Auto haben, macht der Preis keinen Sinn. Das wird nur zu Wohlstandsverlusten führen. Deswegen ist der gestaffelte Klimabonus sinnvoll, weil die Wahlmöglichkeiten in der Stadt ganz andere sind als am Land. Aber damit ist es nicht getan. Der nächste Schritt muss sein, den öffentlichen Verkehr am Land auszubauen.

Sie sprechen in Interviews von einer Änderung des derzeitigen Systems hin zu einem Dienstleistungssystem. Was meinen Sie damit in Bezug auf den Klimaschutz?

Das ganze System basiert darauf, dass jeder Haushalt versucht, die Dienstleistung zu besitzen. Teilweise sind sie auch Statussymbole. Es geht nicht darum, wie ich am schnellsten von A nach B komme, sondern ein Teil der Dienstleistung ist das Prestige und vielleicht die Marke des Autos, das vor der Tür steht. Hier muss ein Umdenken stattfinden und ich glaube, bei der jungen Generation hat es schon stattgefunden. Wenn man die Dienstleistung mehr in den Vordergrund stellt, wird man ganz andere Lösungssysteme finden als das Auto und bemerken, dass man nicht nur schneller und günstiger, sondern auch bequemer von A nach B kommt. Dutzende Studien zeigen, dass man mit drei bis vier Prozent der Infrastruktur in Städten tatsächlich dieselbe Dienstleistung zur Verfügung stellen kann. Das bedeutet, es wird viel weniger Autos geben, viel weniger Platz für Parkplätze und man kann den sozialen Raum den Menschen zurückgeben, begrünen und die Städte werden auch von der Lebensqualität bewohnbarer. Die Menschen verbringen weniger Zeit im Auto und im Stau. Die Luftverschmutzung und zugleich die Treibhausgase werden dadurch gesenkt. Auch der Energieverbrauch geht zurück.

Wäre der Fahrtenvermittler Uber so ein Beispiel für eine Dienstleistung?

Am Beispiel Uber sieht man, dass es funktionieren könnte. Wenn es leichten Zugang zu Dienstleistungen gibt, kann es durchaus rasch zu einer Veränderung des Verhaltens führen. Gleichzeitig ist Uber nicht unbedingt jenes System, dass am effektivsten ist, um die Emissionen zu senken. Sicherlich hat es einen Effekt: Wenn alle Menschen auf Uber umsteigen würden, würden viel weniger Autos benötigt werden und in den einzelnen Autos wären viel mehr Menschen unterwegs. Uber hat aber den großen Nachteil, dass es noch immer auf dem Auto basiert und Uber bietet auch noch immer nicht die komplette Vernetzung aller Verkehrsteilnehmer. Man muss sich vorstellen: Wenn Uber vernetzt wäre mit dem öffentlichen Verkehr und dieser getaktet wäre nach dem Bedarf der Menschen, die gleichzeitig auch ihren Bedarf anmelden können, dann haben sie gleich ein anderes System. Mit den jetzigen technischen Möglichkeiten ist das auch keine Illusion mehr.

Der Besitz eines Autos steht laut Riahi künftig nicht mehr im Vordergrund, sondern die reine Dienstleistung.
© stock.adobe.com / digitalstock

Und durch diese Vernetzung gehen CO2-Emissionen runter?

Durch die Vernetzung der Daten, also zu wissen, wer wann wohin reisen möchte, können sie die Auslastung der Fahrzeuge erhöhen und dadurch benötigen sie auch viel weniger Fahrzeuge. Das heißt, sie müssen auch weniger Energie aufwenden, um Fahrzeuge zu produzieren. Sie sparen Emissionen. Dasselbe können sie mit vielen anderen Dienstleistungen auch machen. In einem Interview mit der "Zeit" habe ich das Rasenmäher-Beispiel erwähnt. Es macht keinen Sinn, viele Güter zu besitzen, die man nur ein bis zwei Prozent der Zeit nützt und die restliche Zeit nur herumstehen.

Strom wird künftig Primärenergiequelle sein, der Strombedarf stark steigen. Reicht der Strom aus Erneuerbaren, den Bedarf zu decken?

Wir haben im Rahmen des 1,5-Grad-Reports des IPCC (2018) Berechnungen gemacht - im sogenannten Low-energy-demand-Szenario - dass wir die Bedarfssektoren elektrifizieren müssen, um die Emissionsziele zu erreichen. In diesem Szenario konnten wir den globalen Strombedarf 2050 auf heutigem Niveau stabilisieren. Mit einher geht eine enorme Steigerung der Einkommen und wir haben angenommen, dass 2050 jeder Mensch auf der Welt Zugriff auf Minimum-Dienstleistungen hat. Es ist also möglich, aber es sind einschneidende Maßnahmen nötig, um dies zu erreichen.

Welche Maßnahmen wären dies?

Eine nachhaltige und signifikante Steigerung der Investitionen im Mobilitätssektor, um Infrastruktur bereitzustellen. Im Haushaltssektor braucht es möglichst viel vernetzte Applikationen, die man miteinander teilt, um den Material- und Energieaufwand der Industrieproduktion zu senken. Das bedeutet nicht notwendigerweise, dass die Industrie weniger Einnahmen hat. Die Qualität und die Auslastung der Produkte wäre eine ganz andere. Statt zehn billige Rasenmäher zu produzieren, wird ein Rasenmäher produziert, der die ganze Zeit verwendet wird und der ganz andere Qualitätsstandards erfüllt.

Grüner Wasserstoff gilt als Heilsbringer für Energiewende. Teilen Sie diese Euphorie und wo sehen Sie mögliche Einsatzgebiete?

Ich habe bereits in den 1990er Jahren an Studien zu Wasserstoff gearbeitet. Wasserstoff hat den großen Vorteil, dass er mehr oder weniger von jedem Energieträger erzeugt, fast zu jeder Dienstleistung verwendet und auch gut gespeichert werden kann. Das heißt, Wasserstoff wird eine Rolle spielen. Es wird vor allem davon abhängen, inwieweit wir Wasserstoff benötigen werden, um die variable Erzeugung der erneuerbaren Energien zu kompensieren. Es wird außerdem davon abhängen, welche anderen Speichermöglichkeiten wir haben. Für die kurzfristige Speicherung wird die Batterie die Nase vorne haben. Die Kosten der Batterien fallen rapide, die Leistung steigt immer weiter. Es gibt aber auch die saisonale Speicherungsnotwendigkeit, bei der die Batterie keine optimale Lösung ist. Ich kann mir vorstellen, Wasserstoff dafür zu verwenden.

Deutschland steigt 2022 vollständig aus der Atomkraft aus. Kann Kernenergie noch einen Beitrag zum Klimaschutz leisten?

Es gibt keinen Zweifel daran, dass Atomkraft einen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann. Atomkraft hat aber ganz andere Probleme. Kernenergie ist mit hohen Risiken verbunden. Es ist mehr eine politische und gesellschaftliche Frage, ob man diese Risiken eingehen möchte. Ich glaube, einer der Hauptgründe, auf Atomkraft zu verzichten, ist der hohe Preis. Atomkraft ist einfach zu teuer geworden. Es ist keine kompetitive Energieerzeugung mit der Kernenergie möglich und man begibt sich in Abhängigkeit von wenigen Erzeugern. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass wir die Kernenergie nicht brauchen, um die Pariser Klimaziele zu erreichen.

Sie arbeiten beim IIASA auch mit dem "Network for Greening the Financial System" (NGFS) zusammen. Welche Rolle können denn Finanzmärkte beim Klimaschutz spielen?

Der Finanzsektor ist sehr wichtig: Er kann zum großen Hemmschuh werden oder er kann es ermöglichen, dass wir die Transformation beschleunigen. Denn die Regeln auf den Finanzmärkten bestimmen es, in welchem Portfolio große institutionelle Investoren investieren. Im Moment ist es so, dass das Klimarisiko bei der Evaluierung der einzelnen Assets von Firmen keine Rolle spielt. Das heißt, große Versicherungen wie etwa Pensionsversicherungen investieren eher in fossile Firmen, die langfristig gezeigt haben, dass sie rentabel sind. Das Finanzsystem ist blind dafür, dass diese Firmen Verlierer der Transformation sein könnten. Das Risiko ist nicht eingepreist. Wir arbeiten mit dem NGSF und mehr als 60 Nationalbanken zusammen, um ihnen die notwendigen Informationen bereitzustellen, damit sie eine Risiko-Evaluierung machen können. Wenn sie ein Hersteller von Kunstdünger sind, dass mehr oder weniger reines Treibhausgas ist, werden sie ein anderes Risiko haben, als wenn sie Elektrofahrzeuge herstellen. Die Wissenschaft muss die notwendigen Informationen bereitstellen. Dann wird es möglich sein im Finanzsektor das Risiko abzuwägen, und somit die großen Kapitalflüsse unserer Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit zu lenken.

In Europa wollen wir künftig CO2-neutralen Stahl herstellen, China produziert billigen Stahl aber weiter mit fossilen Energieträgern. Wie kann man da im internationalen Umfeld konkurrenzfähig bleiben?

Langfristig müssen wir die CO2-Flüsse in der Produktion abbilden. Sie haben eine Kennzeichnungspflicht bei Lebensmitteln. Wir brauchen so etwas Ähnliches auch für CO2 auf jedem Produkt. Das ist sehr aufwendig, weil entlang der Wertschöpfungskette überall CO2 entsteht und unsere Produkte immer komplexer geworden sind. Nichtsdestotrotz muss man die CO2-Flüsse abbilden. Der wirtschaftliche Nachteil wird nur kurzfristig vorhanden sein, weil die Wende ja nicht nur Europa passieren muss, damit wir den Klimawandel bekämpfen können. Auch China und die USA werden ihre Emissionen senken müssen. Wir müssen die Produkte bis zu einem gewissen Grad in einer Übergangsphase schützen, falls es Länder gibt, die nicht bereit sind, ihre Emissionen zu senken. Europa hat darin eine Führungsrolle übernommen. Zu China: Wir arbeiten viel mit verschiedenen chinesischen Institutionen zusammen, ich sehe dort eine Aufbruchstimmung und bin überzeugt, dass China aus eigenem Interesse auch die Dekarbonisierung vorantreiben wird.

Stichwort negative Emissionen: Wie wichtig wird das in Zukunft sein?

Damit wir das Klima stabilisieren können, müssen wir die CO2-Emissionen auf netto null reduzieren. Das bedeutet nicht, dass jede Aktivität komplett auf null reduziert werden muss. Wir werden in Zukunft Emissionen in Sektoren haben, die nur sehr schwer total von Kohlenstoff zu befreien sind und gleichzeitig auch eine Senke schaffen müssen - also negative Emissionen in anderen Sektoren. Es gibt viele Möglichkeiten. Der einfachste Weg ist Aufforstung. Bäume speichern CO2, wenn sie wachsen. Wir sprechen hier durchaus von sehr großen CO2-Flüssen. Der technologische Weg wäre, CO2 direkt aus der Atmosphäre zu nehmen und ihn dann in Lagerstätten zu pumpen. Wir brauchen unbedingt mehr Forschung in diesem Bereich. Nicht, um sich aus dem Problem heraus zu forschen und bis in alle Ewigkeit fossile Energieträger zu verwenden. Sondern um sicherzustellen, dass wir auf globaler Ebene negative Emissionen erzeugen können, falls die Klimaauswirkungen noch größer sein sollten als wir bisher annehmen. Die Klima-Modelle haben über Jahre hinweg den Temperaturwandel sehr gut beschrieben. Was sich sehr wohl verändert hat, sind die Extremereignisse, die wir gewissen Temperaturveränderungen zuordnen. Die Auswirkungen, die wir von einem gewissen Temperaturwandel zu erwarten haben, könnten durchaus größer sein, als wir früher gedacht haben.