Zum Hauptinhalt springen

Das Volk ist für Enteignungen - aber erzwingen kann es sie nicht

Wirtschaft
Mehr als eine Million Berlinerinnen und Berliner stimmten für die Enteignungen.
© Christine Zeiner

Ob das Vorhaben der Bürgerinitiative "Deutsche Wohnen und Co enteignen" Realität wird, ist zurzeit noch unklar.


Mehr als 3.000 Wohnungen - so viele sollen enteignet und verstaatlicht werden, geht es nach dem Willen der Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner. Kann man ja einmal fordern. Aber wie sieht das rechtlich aus?

Die Bürgerinitiative "Deutsche Wohnen und Co enteignen" beruft sich auf das deutsche Grundgesetz vom 23. Mai 1949. Hier sind zunächst die Grundrechte festgeschrieben, die 19 Artikel umfassen. Artikel 15 besagt: "Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Für die Entschädigung gilt Artikel 14, Absatz 3." Geht man zurück zu Artikel 14, so liest man: "Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen."

Wie Wolfgang Janisch, justizpolitischer Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung" in Karlsruhe - dem Sitz des Bundesverfassungsgerichts -, schreibt, seien es seinerzeit noch die sozialistischen Sozialdemokraten gewesen, die von der Notwendigkeit gesprochen hätten, "die deutschen Schlüsselindustrien in Gemeineigentum zu überführen" und "den arbeitenden Menschen von den Ungerechtigkeiten dieser Gesellschaftsordnung" zu befreien. Aber auch die CDU habe, bevor sie auf Marktwirtschaft eingeschwenkt sei, noch in ihrem Ahlener Programm von 1947 ein Bekenntnis zum "christlichen Sozialismus" abgelegt.

Fest steht auch: Die Alliierten wollten rasch ein stabiles Deutschland, so brachte man unterschiedliche Ansichten zum Thema Verstaatlichung - bevor es zu einem endlosen Detailstreit kam - in Artikel 15 zusammen. Geht es nach der FDP, soll der Artikel verschwinden, Stichwort: "Sozialisierung aus der Verfassung streichen."

29 bis 39 Milliarden Euro Entschädigungskosten

Ob das Vorhaben der Bürgerinitiative "Deutsche Wohnen und Co enteignen" Realität wird, ist zurzeit ohnehin noch unklar. Denn auch wenn das Ergebnis des Volksentscheides eindeutig war: Die Berliner Stadtregierung - der Senat - ist nicht zum Handeln verpflichtet, da es um kein konkretes Gesetz oder eine Verfassungsänderung ging. Der Senat ist allein "aufgefordert, alle Maßnahmen einzuleiten, die zur Überführung von Immobilien in Gemeineigentum erforderlich sind". Vorsorglich hat sich der bisherige Senat allerdings bereits mit den möglichen Entschädigungskosten beschäftigt: Man geht von 29 bis 39 Milliarden Euro aus. Bei einer Kreditfinanzierung müsse Berlin aus dem Landeshaushalt 6 bis 9 Milliarden Euro bezuschussen, heißt es. Dazu kämen voraussichtlich die Grunderwerbsteuer und andere einmalige Kosten.

In jedem Fall muss die Enteignungsinitiative mit einigem Gegenwind rechnen. "Es bestehen gewichtige, rechtliche Zweifel an der Umsetzbarkeit eines positiven Volksentscheids", sagt der Staatsrechtler Ulrich Battis. Sein Gutachten hat der "Verein Neue Wege für Berlin" in Auftrag gegeben, dessen Vorstand Vertreter von Wirtschaft und Immobilienunternehmen angehören. Dagegen verweisen die Aktivistinnen und Aktivisten von "Deutsche Wohnen und Co enteignen" auf Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags und des Berliner Abgeordnetenhauses. Demnach sei die geforderte Vergesellschaftung rechtlich zulässig. (chz)