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Widerstand gegen den "XXL-Vermieter"

Von WZ-Korrespondentin Christine Zeiner

Wirtschaft

Die Megafusion von Vonovia und Deutsche Wohnen lässt in Berlin die Rufe nach Enteignung lauter werden.


In Berlin zieht niemand mehr um. Zumindest niemand, der nicht viel Geld hat oder viel Geduld bei der Wohnungssuche. Wohnungen in der Hauptstadt der "Mieternation Deutschland" sind teuer geworden. Für tausende Berlinerinnen und Berliner steht vor allem ein Name für die rasante Entwicklung: Deutsche Wohnen. Das im DAX gelistete Unternehmen wurde für sie zum Synonym für das Böse auf dem Immobilienmarkt. Aber welche Rolle spielt die Deutsche Wohnen tatsächlich in Berlin?

Bei der Deutsche Wohnen handelte es sich schon bisher um keinen kleinen Fisch. Gemessen an der Marktkapitalisierung ist das Berliner Unternehmen die zweitgrößte Immobiliengesellschaft in Europa. 73,4 Prozent ihrer Immobilien sind in Berlin, darunter vier Siedlungen, die zum Unesco-Welterbe gehören: die Hufeisensiedlung in Neukölln, die Weiße Stadt in Reinickendorf, die Wohnstadt Carl Legien in Pankow und die Ringsiedlung Siemensstadt in Spandau. "Architektonisch betrachtet schlägt unser Portfolio einen weiten Bogen: von Siedlungen der klassischen Moderne über Altbauten bis hin zu Großwohnsiedlungen und Neubauten", schreibt der Konzern auf seiner Website.

Insgesamt umfasst der Bestand der Deutsche Wohnen 158.000 Wohn- und Gewerbeeinheiten. Der Wert: 26 Milliarden Euro. Die Geschäfte laufen gut: Auch im ersten Halbjahr 2021 hat der Konzern wieder mehr verdient. Das Ergebnis aus dem operativen Geschäft (FFO I) stieg im Vergleich zum Vorjahr um 2 Prozent auf 291,4 Millionen Euro.

500.000 Wohnungen im Wert von 80 Milliarden Euro

Und nun wird der Konzern noch größer: Der Bochumer Konkurrent Vonovia, Deutschlands größter privater Wohnungskonzern, der auch eine Kaufoption für rund 13 Prozent am kleineren Konkurrenten Adler Group von deren Großaktionär Aggregate Holdings um knapp 220 Millionen Euro hat, sicherte sich Ende der Woche eine Mehrheit der Aktien der Deutsche Wohnen.

Die beiden DAX-Konzerne werden durch die Fusion zum "XXL-Vermieter" - so bezeichnete jedenfalls das "Handelsblatt" den "Megadeal", sprich: die Übernahme. Mehr als 500.000 Wohnungen - hauptsächlich in Deutschland - im Wert von 80 Milliarden Euro gehören Vonovia und Deutsche Wohnen zusammen.

"Wir werden unseren Namen aber nun nicht ändern", sagt Christoph Koth zur "Wiener Zeitung". Das habe man bereits vor Monaten beschlossen. Koth ist einer der Sprecher der Bürgerinitiative "Deutsche Wohnen und Co enteignen", die vor zwei Wochen einen spektakulären Erfolg verbuchen konnte: Mehr als eine Million Berlinerinnen und Berliner stimmten in einem Volksentscheid dafür, dass die Bestände privater Wohnungsgesellschaften mit mehr als 3.000 Wohnungen Gemeineigentum werden. Entschädigungen soll es "deutlich unter Marktwert" geben, da man laut der Initiative "natürlich keinen Spekulationswert finanzieren will". Ob zusammen oder einzeln: Vonovia und Deutsche Wohnen sind von einer möglichen Enteignung betroffen. Laut deutscher Verfassung können Bund oder Länder wie Berlin entsprechende Gesetze verabschieden.

"Ich habe für ‚Ja‘ gestimmt, aber überzeugt bin ich nicht", sagt der Berliner Roland, der seinen echten Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. "Berlin hat doch kein Geld und würde sich durch die Enteignung verschulden. Mir wäre es lieber, das Mietrecht würde zugunsten der Mieterinnen und Mieter geändert." Klar gegen das Anliegen der Bürgerbewegung hat sich auch die SPD-Spitze in Berlin ausgesprochen, darunter Bürgermeisterkandidatin Franziska Giffey: "Ich möchte nicht in einer Stadt leben, die das Signal sendet, hier wird enteignet", sagte sie noch einen Tag vor der Abstimmung über die Enteignungen und der Wahl zum neuen Stadtparlament am 26. September. Einen Tag später verkündete sie, das Votum respektieren zu wollen. "Es muss jetzt auch die Erarbeitung eines solchen Gesetzentwurfes erfolgen", sagte Giffey. "Aber dieser Entwurf muss dann eben auch verfassungsrechtlich geprüft werden." Eindeutige Unterstützung für das Enteignungsvorhaben gab es einzig von der Linkspartei.

Weitere Demos und "kreative Dinge"

"Wenn wir keinen Druck machen, wird das im Sand verlaufen", ist Initiative-Sprecher Koth überzeugt und kündigt weitere Demonstrationen und "kreative Dinge" an. Mit der Übernahme der Deutsche Wohnen durch Vonovia entstehe - so die Sorge vieler, wie er sagt - ein noch größerer Vermieter mit noch mehr Macht. Wegen ihrer Größe könnten Deutsche Wohnen & Co den Mietmarkt besonders beeinflussen, heißt es von den Aktivistinnen und Aktivisten. In Verruf kamen die Unternehmen auch, weil sie sich um Heizungsausfälle oder Wasserschäden nur allzu oft äußerst schleppend kümmerten. Widerstand gibt es auch, da sich viele Mieterinnen und Mieter mit alten Verträgen aus ihren Wohnungen vertrieben sehen.

"Immobilienkonzerne machen in Berlin fette Profite mit unseren steigenden Mieten", lautet ein weiterer Vorwurf. 12 Prozent der Berliner Mietwohnungen sollen der Spekulation entzogen und dauerhaft bezahlbare Mieten ermöglicht werden. "Keine Verdrängung mehr von Leuten, die sich ihre Wohnung nicht mehr leisten können", so die Forderung. "Nur wenn wir Wohnraum wieder gemeinnützig verwalten, können wir die Wohnungskrise beenden."

Auch Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sagt: "Wohnen ist eine der zentralen sozialen Fragen in Berlin." Jeder vierte Berliner Haushalt gebe mindestens ein Drittel des monatlichen Einkommens fürs Wohnen aus, einige sogar fast die Hälfte. "Berlin ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen, das Wohnungsangebot konnte nicht mithalten. Die Mieten sind folglich exorbitant gestiegen, auch weil der Neubau viel zu schwach war." Fratzscher spricht sich für eine Mietpreisbremse aus und gegen Enteignungen, da diese den Neubau nicht ankurbeln würden. Für die Deutsche Wohnen jedenfalls soll Neubau eine wichtige Rolle spielen: In Zukunft werde man "verstärkt zur Schaffung neuen Wohnraums beitragen, vor allem in Wachstums- und attraktiven Metropolregionen", ist in den Veröffentlichungen des Konzerns zu lesen. Hingegen spricht die Bürgerinitiative "Deutsche Wohnen und Co enteignen" vom "Mythos bauen, bauen, bauen - wer mit offenen Augen durch die Stadt geht und die Projektbeschreibungen an den Baustellenzäunen liest, wird dort keine Angebote für Durchschnittsverdiener:innen entdecken", heißt es.

Überschaubares Neubauprogramm

Fest steht: Was Bund und Länder planen, reicht nicht. Das Neubauprogramm des Bundes nennt die "Berliner Zeitung" überschaubar - von bundesweit geplanten 3.000 Wohnungen bis Ende 2024 sollen nach aktuellem Planungsstand "bis zu rund 850 Wohnungen in Berlin" errichtet werden. Dazu plant Berlin selbst tausende neue Wohnungen - "nur bis wann?" titelte jüngst der "Tagesspiegel". Der Bau verzögere sich auch, weil Verkehrswege fehlten.

Auch hat die Stadt laut Mieterverein nicht annähernd genug Sozialwohnungen. 1,6 Millionen Mietwohnungen gibt es derzeit in Berlin, darunter fallen 95.000 Sozialwohnungen. Im Jahr 2010 waren es noch 150.000 Sozialwohnungen. Das Problem: Zu unterschiedlichen Konditionen erhalten Vermieter öffentliche Zuschüsse und verpflichten sich im Gegenzug für eine gewisse zeit zu einer Mietpreisbindung. Doch die Bindungen aus den 1970er und 1980er Jahren fallen nach und nach weg - ohne nennenswerte Entlastung. 46.600 Sozialwohnungen soll es zusätzlich im Zeitraum von 2014 bis 2029 geben - "viel zu wenig", wie es vom Mieterverein heißt.

Berlins Schulden stiegen viel stärker als die des Bundes

Es ist gar nicht lange her, da war Berlin ein Paradies für (junge) Menschen mit wenig Geld. "2003 habe ich innerhalb einer Woche fünf Wohnungen gefunden", sagt der Berliner Roland. "In Marzahn wurden noch Plattenbauwohnungen rückgebaut, also zerstört, weil es zu viel leerstehende Wohnungen gab." Das Land Berlin war pleite wie ein anderer Extremfall: Dresden. Knapp 800 Millionen Euro Schulden hatte die Hauptstadt Sachsens in der Mitte der Nullerjahre. 2006 privatisierte Dresden daher seine mehr als 47.000 kommunalen Wohnungen.

In Berlin stiegen die Schulden zwischen 1990 und 2000 von 9,5 Milliarden Euro auf 42,4 Milliarden - ein Anstieg um das Viereinhalbfache. Zum Vergleich: Die Schulden des Bundes vergrößerten sich im selben Zeitraum um das Zweieinhalbfache. Verantwortlich für den starken Schuldenanstieg war nicht nur die Wiedervereinigung von Ost und West. Anstelle der überall sonst üblichen Kapitalsubventionierung fand in Berlin (West) seit 1969 das Prinzip der Aufwandssubventionierung Anwendung, das nicht die Baukosten, sondern die laufenden Aufwendungen subventioniert, heißt es von der Senatsverwaltung für Finanzen. Als dritten großen Faktor nennt der Senat "die Erblasten aus der Krise der Berliner Bankgesellschaft". Damals regierte in Berlin die CDU. Einer ihrer mächtigen Männer - Klaus-Rüdiger Landowsky - war Fraktionschef und zugleich Vorstand der landeseigenen Berliner Hyp und vergab riskante Kredite an das von zwei Christdemokraten geführte Immobilienunternehmen Aubis. Landowsky erhielt für die CDU eine Barspende von Aubis.

"Heute würde man es nicht mehr machen"

Auf Vorlage von Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) stimmte 2004 der Berliner Senat dem Verkauf der Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft (GSW-Gruppe) zu. Der Kaufpreis betrug 405 Millionen Euro. Erwerber der GSW war ein Konsortium mit den internationalen Fondsgesellschaften Whitehall (Goldman Sachs) und Cerberus als Investoren. "Das Konsortium verpflichtet sich, die sozial- und wohnungspolitischen Ziele der GSW fortzuführen", hieß es vom Land Berlin.

2013 übernahm die Deutsche Wohnen die GSW. Das Immobilienunternehmen wurde 1998 von der Deutschen Bank gegründet. Im November 1999 ging die Deutsche Wohnen an die Börse. Im Juni 2020 wurde die Aktie in den DAX aufgenommen. "Wir freuen uns sehr über den Aufstieg in den Leitindex des deutschen Aktienmarktes", sagte damals Michael Zahn, Vorstandsvorsitzender der Deutsche Wohnen. "Die Entwicklung von bezahlbarem und lebenswertem Wohnraum bleibt unsere oberste Priorität."

Die knapp 66.000 Wohnungen wurden damals verscherbelt, schimpfen Berlinerinnen und Berliner. Doch der damalige Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit - der Sozialdemokrat wurde mit dem Spruch, Berlin sei "arm, aber sexy", berühmt - verteidigte vor zwei Jahren in der Boulevardzeitung "BZ" den Verkauf unter seiner Führung: Berlin habe mit 150.000 Wohnungen einen "riesen Leerstand" gehabt und die Bevölkerungsprognosen seien nicht von einem Zuwachs ausgegangen. Zusatz: "Heute würde man es nicht mehr machen."