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Mein Auto, dein Auto

Von Bernd Vasari

Wirtschaft
Seit 2010 ist die Zahl der autofreien Haushalte in Österreich um knapp 100.000 gestiegen.
© Share Now

Carsharing gilt als umweltfreundliche Alternative. Doch nach spätestens zwei Jahren werden die Fahrzeuge ausgetauscht.


Nur den Antrieb wechseln, ist zu wenig. Fahrzeuge mit Wasserstoff- oder Strom-Antrieb blasen zwar keine klimaschädlichen Abgase mehr in den Schanigarten, in dem wir unseren Kaffee genießen. Doch die Herstellung von Brennstoffzelle und Batterie hinterlässt ebenso einen fragwürdigen ökologischen Fußabdruck. Schwer lösliche Mineralien müssen dafür abgebaut werden, mithilfe von Chemikalien werden sie aus dem Gestein herausgelöst. Es ist daher nicht der Antrieb, der das Umweltproblem mindert, sondern die Anzahl der Autos.

Während Autohersteller ihre vermeintlich umweltschonenden Fahrzeuge aber noch immer als persönliches Eigentum vermarkten und in Masse verkaufen wollen, ändern sich still und heimlich die Kundenbedürfnisse: weg vom Besitz, hin zum Nutzungsverhalten.

Seit 2010 ist die Zahl der autofreien Haushalte in Österreich um knapp 100.000 gestiegen, errechnete der Verkehrsclub Österreich. Insgesamt sind heute bereits 918.000 Haushalte und somit jeder vierte autofrei. Beinahe die Hälfte befindet sich in Wien.

73 Prozent der Wiener Bevölkerung haben im Vorjahr Alltagswege gehend, mit dem Rad oder in den Öffis zurückgelegt. Auf das Auto verzichten, müssen Wienerinnen und Wiener aber trotzdem nicht. In Wien bietet Share Now, europäischer Marktführer im Carsharing, derzeit 1.000 Fahrzeuge im Geschäftsgebiet von 98 Quadratkilometern an, die genutzt werden können. Mit Erfolg.

Doppelt so lange Mietdauer

Monatlich wurde vergangenes Jahr eine Gesamtstrecke von rund 1,8 Millionen Kilometern zurückgelegt. Im Vergleich zum Jahr zuvor eine Steigerung um 31 Prozent. Die durchschnittliche Mietdauer verdoppelte sich sogar im Vergleich zu 2019. Die durchschnittliche Fahrzeit pro Miete betrug 69 Minuten und damit um 103 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.

"Carsharing entlastet die Städte nachweislich von Parkdruck, Flächenbedarf, Fahrleistung und Emissionen", sagt Hannes Schumann, Sprecher von Share Now. "Deutlich weniger ungenutzte Autos blockieren die knappen Flächen, wenn sich mehrere Personen ein Auto teilen." Das würden auch Studien zeigen. "Schon heute ersetzt ein Carsharing-Auto je nach Studie zwischen acht und 20 private Pkw." Ein Share-Now-Fahrzeug werde zudem im Schnitt bis zu sechs Mal häufiger bewegt. Insgesamt würden Carsharing-Nutzerinnen und Nutzer weniger Auto-Kilometer in der Stadt fahren, was Staus, Lärm und Luftverschmutzung deutlich reduziere.

In den meisten Städten werden die Autos von Share Now aber noch mit Benzin oder Diesel angetrieben. "Wir sind davon überzeugt, dass die Zukunft des Carsharings elektrisch ist", sagt Schumann. Share Now ist in 16 europäischen Metropolen mit rund 11.000 Fahrzeugen vertreten, 2.900 davon sind elektrisch. In Amsterdam, Madrid, Paris und Stuttgart sind die Autos vollelektrisiert, in Budapest, Kopenhagen, Hamburg und München sind die Flotten teilelektrisiert. In Wien sei aber aufgrund der unzureichenden Ladeinfrastruktur kein Aufbau einer vollelektrischen Flotte möglich.

Konkurrenten werden Partner

Share Now ist ein Joint-Venture der BMW Group und der Daimler AG, sie führten 2019 ihre Carsharing-Anbieter car2go und DriveNow zusammen und wurden von Konkurrenten zu Partnern. Mit dieser ungewöhnlichen Konstellation sollen die Kräfte gebündelt werden, um die Kundennachfrage nach Benutzen statt Besitzen zu stillen.

Doch auch Carsharing hat ein Nachhaltigkeitsproblem. Spätestens nach zwei Jahren werden die Fahrzeuge laut Share Now bereits wieder ausgetauscht. Pro Jahr gehen daher jeweils einige tausend Fahrzeuge zurück an den Leasinggeber. Die gebrauchten Fahrzeuge kommen als Gebrauchtwagen auf den Markt und werden so wieder zum Eigentum.

Das Dilemma der Autoindustrie beschrieb VW-Chef Herbert Diess bei seiner Eröffnungsrede der IAA-Automesse in München: "Wir müssen die Emissionen senken, während wir versuchen, unsere wirtschaftliche Situation beizubehalten."

Sven Kesselring, Professor für nachhaltige Mobilität, bringt es auf den Punkt: "Die Lösung liegt auf der systematischen Ebene", sagt er. "Das Auto sollte ein Element im Gesamtsystem sein, nicht mehr alleinstehend." Diese Diskussion müsse nun geführt werden. "Und nicht nur, ob der Antrieb aus Strom ist oder nicht."