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Auch bei E-Mobilität ist China ein Riese

Von Bernhard Seyringer

Wirtschaft

Das Reich der Mitte gilt als Weltmarktführer in diesem Industriesektor, relativ rasch ist es zur Nummer eins geworden.


China ist der weltweit größte Markt für Elektromobilität. Mit fast 1,5 Millionen verkauften Fahrzeugen im Jahr 2020 liefern sich traditionelle Autobauer wie Beijing Automotive und Geely, aber auch neue wie NIO oder XPeng einen erbitterten Wettbewerb am Markt.

Mit einem Mix aus Fördermaßnahmen, öffentlicher Nachfrage und Marktzutrittsbarrieren hat China in nur einer Dekade ein beeindruckendes Innovationssystem in diesem Industriesektor geschaffen. Im Dezember 2019 hat das chinesische Ministerium für Industrie und Informationstechnologie (MIIT) einen Marktanteil für Elektroautos von 25 Prozent am Heimmarkt bis 2025 vorgegeben. Ein ambitioniertes Ziel.

Weltmarktführer in nur einer Dekade

Die Entwicklung begann im Wesentlichen im Jahr 2009, am Zenit der Weltfinanzkrise. Vier chinesische Behörden, angeführt vom Ministerium für Wissenschaft und Technologie, hatten ein Pilotprogramm zur Förderung der Beschaffung elektrischer Busse und Fahrzeuge für den öffentlichen Dienst in einigen Städten aufgelegt. Ein Jahr darauf wurde das Förderprogramm auf die Beschaffung privater Fahrzeuge in Peking, Schanghai, Changchun, Shenzhen, Hangzhou und Hefei ausgeweitet.

Erst ab diesem Zeitpunkt stieg die Nachfrage signifikant an. Der Markt für Elektromobilität unterscheidet sich damit von anderen "Grünen Technologien" wie etwa der Solarindustrie, der primär für den Export entwickelt wurde. Bei Ersterem wollte China zuerst einen starken Heimmarkt mit stabiler Nachfrage schaffen. Das heißt, mittels großteils erzwungener Technologietransfers von ausländischen Unternehmen die Forschung entwickeln, eine Zulieferindustrie und Fertigung aufbauen, aber auch eine stabile Nachfrage generieren. Das MIIT hatte für die Transfers bereits 2009 die notwendige Regulierung geschaffen: Das Urheberrecht für eine der drei zentralen Komponenten in E-Fahrzeugen - Batteriesystem, Antriebstechnik oder elektronisches Steuerungssystem - muss in den Besitz des chinesischen Herstellers übergehen. Die Smart Manufacturing-Strategie "Made in China 2025" (MIC2025) von 2015 macht deutlich, dass Peking auch in diesem Sektor nur kurzfristig Innovationssysteme mit internationalen Partnern entwickeln will und bereits mittelfristig die Absorption der gesamten Wertschöpfungskette anstrebt. In der 2017 überarbeiteten "Roadmap" zu MIC2025 wurde der angestrebte Marktanteil chinesischer Unternehmen am Heimmarkt von 80 auf 90 Prozent erhöht, bei bestimmten Komponenten sogar auf 100 Prozent. Kurz: Verdrängung internationaler Mitbewerber.

In puncto Entwicklung der Fertigung hatten chinesische Hersteller in den Jahren 2019 bis 2016 wenig Anreize, exportorientiert zu denken, da die Nachfrage am Heimmarkt stabil angewachsen war. Gründe dafür waren die Verordnung von 2012, dass in Shenzhen und Hangzhou nur elektrisch-betriebene Taxis zugelassen wurden, oder die Ankaufsprämien von bis zu einem Drittel des Kaufpreises für Privatfahrzeuge. Die Anzahl der Unternehmen stieg dadurch rasant auf fast 500, wobei bereits 2018 nur noch 300 am Markt waren und 2019 noch einmal die Hälfte geschlossen hatte. 2020 hatten sich neben den großen Anbietern ungefähr 100 Hersteller bei Verkaufszahlen von 15.000 eingependelt. Seit China im vergangenen Jahr verschiedene Konsumanreize hat auslaufen lassen, stellt sich die Situation anders dar: Von den fast 60 Milliarden US-Dollar, die das Land zwischen 2009 und 2017 in die Branche investiert hatte, waren mehr als die Hälfte Anschaffungsprämien und somit nicht auf Dauer tragbar.

Außerdem musste man hinnehmen, dass man trotz dieser Investitionen im globalen Ranking von Innovationssystemen für E-Mobilität von Rang drei auf sechs zurückgefallen war. Chinas Hersteller müssen fit für den Export gemacht werden. Peking will nicht erneut den Fehler machen, Produkte herzustellen, die außerhalb des Landes niemand kaufen will. Blickt man auf die Zahlen, sind diese Ängste nicht unbegründet, denn der Anteil chinesischer Unternehmen bei verkauften Elektroautos außerhalb der Landesgrenzen liegt unter drei Prozent, wobei mehr als die Hälfte nach Bangladesch exportiert wurde.

Technische Herausforderungen

Bei den Entwicklern für Batterien für Elektroautos haben es neben dem größten Hersteller, der Contemporary Amperex Technology Co. (CATL) noch zwei weitere chinesische Anbieter in die Top-10 der Welt geschafft. Auch die Ladeinfrastruktur muss in China erst geschaffen werden: Nach offiziellen Zahlen existieren mehr als 500.000 öffentliche Ladestationen (Stand: Juni 2020) im Land. Diese werden aber nach Angaben der Interessenvertretung China EV100, nicht einmal zu zehn Prozent genutzt. Aber Batterie- und Ladetechnik sind nicht die einzigen technischen Herausforderungen bei E-Mobilität: Die Fahrzeuge benötigen hochentwickelte Software und Sensorik, die neben den aktuellen Anforderungen auch bereits die Integrationsmöglichkeit für künftiges autonomes Fahren beinhalten sollte. Außerdem müssen chinesische Hersteller ihre Fahrzeuge sowohl für das im Juni 2020 finalisierte Satellitennavigationssystem beiDou als auch, für den Export, für GPS kompatibel gestalten. Alibaba hat dafür mit dem Rüstungskonzern Norinco das Start-up Qianxun Spatial Intelligence gegründet.

Norwegen - der Brückenkopf nach Europa

China verwendet für seine Exportoffensive nach Europa Norwegen als Brückenkopf. Das Land hat die importfreudigsten Gesetze und bietet die höchsten finanziellen Anreize für seine Bürger, außerdem sind dort 80 Prozent der angeschafften Neuwagen bereits Elektroautos. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres wurden fast 14.000 Fahrzeuge nach Westeuropa verkauft, das bedeutet eine Verdoppelung im Vergleich zum Vorjahr. Um einem erneuten PR-Desaster durch eklatante Sicherheitsmängel vorzubeugen, wurde das Chongqing Liangjing-Testareal gegründet, speziell zum Finetuning für Exporte in Richtung Europa.

Das heurige Jahr bot bisher entscheidende Fortschritte für chinesische Hersteller am europäischen Markt: Der vom US-Investor Warren Buffett unterstützte Hersteller BYD hatte im Juni die ersten einhundert SUVs nach Norwegen geliefert. Seit Juli bietet Aiways sein U5 SUV-Modell neben Deutschland, den Niederlanden, Belgien und Dänemark auch auf dem französischen Markt an. Und seit Oktober liefert der erst 2014 gegründete Hersteller NIO sein Premium-Modell ES8 nach Norwegen. Chinas Elektromobilität wird vorerst in Europa erdacht und entwickelt: in vier Innovationszentren in Großbritannien sowie sieben in Deutschland. Dazu kommt, dass Great Wall Motors seine E-Antriebe in Kottingbrunn südlich von Wien entwickeln lässt.