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Vergrößert Omikron das Lieferketten-Chaos?

Von Karl Leban

Wirtschaft

Die neue Virusvariante wird die Weltwirtschaft wohl spürbar belasten, vor allem massive Arbeitsausfälle könnten die Engpässe verschärfen.


Probleme in den Lieferketten begleiten die Weltwirtschaft seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie, inzwischen also schon seit fast zwei Jahren. Sie sind ein Phänomen, das es in der jüngeren Historie in dieser Form und Tragweite noch nie gegeben hat. Dabei spielen gleich mehrere Gründe eine Rolle. Anzuführen sind vor allem Produktionsstillstände und Behinderungen im internationalen Transportwesen durch Hafen- und Grenzschließungen - aber auch ein starker, global gleichzeitiger und stets nach dem Auslaufen von Infektionswellen zu beobachtender Anstieg der Nachfrage nach einzelnen Rohstoffen wie etwa Holz bis hin zu Elektronikartikeln und Halbleitern. Was noch dazukommt: Wegen der Engpässe sind viele Unternehmen bestrebt, aus Vorsichtsgründen ihre Lagerbestände zu erhöhen.

All das hat vor dem Hintergrund einer kräftigen Erholung der Weltkonjunktur dazu geführt, dass eine ungewöhnlich starke Nachfrage nach Gütern nicht durch eine entsprechende Ausweitung des Angebots befriedigt werden kann. Allgemein wird zwar erwartet, dass sich die Lieferprobleme mit einer Normalisierung der Nachfrage und dem Aufbau neuer Kapazitäten allmählich lösen sollten. Unklar ist aber, wie viel Zeit dieser Prozess noch in Anspruch nimmt. Hier wirft nicht zuletzt Omikron Fragen auf. Die neue, hochansteckende Corona-Variante könnte die Probleme nicht nur verlängern, sondern auch noch einmal verschärfen. Inwieweit diese Gefahren bestehen, darüber hat die "Wiener Zeitung" mit Fachleuten gesprochen.

Für Birgit Meyer, Ökonomin beim Wiener Konjunkturforschungsinstitut Wifo, ist die Omikron-Welle jedenfalls "ein weiterer Stresstest für die ohnehin schon angespannten Lieferketten". Vor allem Einschränkungen in EU-Risikogebieten sowie bei außereuropäischen Handelspartnern könnten die Lieferketten und somit den internationalen Warenaustausch weiter belasten, gibt sie zu bedenken.

Erhöhte Arbeitsausfälle drohen

In der Vergangenheit habe die Null-Covid-Strategie Chinas immer wieder zu massiven Lockdowns ganzer Städte und strikten Kontrollen an Häfen und anderen wichtigen Umschlagplätzen geführt, sagt Meyer weiter. Solche Abriegelungsmaßnahmen in China hätten auch "erhebliche Auswirkungen" auf die europäischen Lieferketten und die Wirtschaft in Österreich. "Da einige der verkehrsreichsten Häfen der Welt in China liegen, könnten Einschränkungsmaßnahmen zur Eindämmung der Omikron-Variante in China Engpässe bei wichtigen Fertigungskomponenten wie Elektronikbauteilen weiter verschärfen", so Meyer.

Zudem könnte die Omikron-Welle zu einem "massiven Arbeitsausfall" führen - sowohl bei Zulieferern aus dem asiatischen Raum als auch hierzulande. "Pandemiebedingte Produktionsausfälle könnten somit zu einer weiteren Verknappung des ohnehin schon limitierten Angebots einiger wichtiger Ressourcen und zu weiteren Preissteigerungen führen", sagt Meyer. Maßnahmen, um die kritische Infrastruktur und damit auch die Logistik aufrechtzuerhalten, wie sie in Österreich und anderen Nachbarländern beschlossen wurden, könnten indes dazu beitragen, Lieferketten intakt zu halten.

Auch für Peter Brezinschek, den Chefanalysten der Raiffeisen Bank International (RBI), ist Omikron "zweifellos eine neuerliche Belastung für den Wirtschaftskreislauf". Da diese Variante auch in Asien und vor allem in China zu regionalen Ausfällen geführt habe, seien die globalen Lieferketten ebenfalls davon betroffen. In Deutschland und auch in der Eurozone sei die Industrieproduktion jedoch schon vor Omikron in einen Abwärtstrend gelaufen, sagt Brezinschek weiter. Omikron sei deshalb als "Dämpfer" zu sehen - und nicht als Auslöser der zuletzt nach wie vor bescheidenen Produktionszahlen in der Industrie.

Alles in allem sollte sich der Effekt der neuen Corona-Mutante aufgrund ihrer asynchronen Verbreitung aber in Grenzen halten, meint der Raiffeisen-Experte. Das hätten auch die Auftragseingänge zum Jahreswechsel gezeigt. "Die Nachfrage ist weiterhin robust", betont Brezinschek.

"Mehr Bremseffekte als in der Industrie" sieht der Analyst mit Blick auf Omikron im Dienstleistungssektor. "Auch wenn es keine generellen und formalen Lockdowns gibt, führen die Restriktionen der europäischen Regierungen mit Grenzbarrieren und Quarantäne-Regelungen zu De-facto-Nachfrageausfällen - insbesondere in allen Bereichen, die mit Reisetätigkeit verbunden sind." Länder wie Österreich würden dies aufgrund ihres hohen Tourismus-Anteils überproportional spüren.

Lieferzeiten zuletzt schon kürzer

Was Brezinschek daneben wie Meyer ähnlich bedrohlich sieht: "Die europaweit deutlich gestiegene Zahl der positiv Getesteten und Erkrankten führt zu erhöhten Arbeitsausfällen." Damit entstehe auch auf der Angebotsseite eine Knappheit, die sowohl mengen- als auch preismäßig Folgen haben werde. "Aufgrund des schon bestehenden Arbeitskräftemangels stellt das eine weitere - wenn auch nur temporäre - Belastung in der Leistungserstellung dar", so Brezinschek.

Gerhard Fenz, Chef der Prognoseabteilung der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB), sagt zur neuen Infektionswelle: "Die Folgen von Omikron können aus heutiger Sicht seriöserweise noch nicht abgeschätzt werden, stellen aber das zentrale Risiko für unsere Konjunktur- und Inflationsprognose dar."

Zuletzt hätten die Probleme mit Lieferengpässen zwar "erstmals etwas nachgelassen", wie Fenz festhält. So dürften die Preise diverser Rohstoffe ihren Höhepunkt überschritten haben, während Einkaufsmanager bereits von kürzeren Lieferzeiten berichten würden. Außerdem habe die Wirtschaft - vor allem der Produktionssektor - "sehr gut gelernt, mit der Pandemie umzugehen". So sei in der exportorientierten Industrie und im Bausektor während der letzten Lockdowns die Produktion nahezu unvermindert fortgesetzt worden.

Sorgen bezüglich einer erneuten Verschärfung der Lieferengpässe infolge von Omikron bereiten aus Sicht von Fenz aber vor allem zwei Faktoren. Zum einen könnte die neue Corona-Variante zu einem global simultanen Anstieg der Infektionen führen, was Ausweichmöglichkeiten wie im Fall lokaler Lieferengpässe erschweren oder sogar verunmöglichen würde. Und zum anderen könnten die sehr hoch zu erwartenden Infektionszahlen den Arbeitskräftemangel "temporär deutlich verschärfen", sagt auch Fenz (wie schon zuvor Meyer und Brezinschek). "Der Mangel an Lkw-Fahrern im Vereinigten Königreich ist hier ein warnendes Beispiel."

Für die Inflation wiederum könnte sich durch Omikron nach Einschätzung von Fenz ein ähnliches Muster wie zu Beginn der Corona-Pandemie ergeben. "Ein kurzfristig nachlassender nachfrageseitiger Inflationsdruck könnte rasch von inflationstreibenden Effekten im Zusammenhang mit erneut auftretenden Lieferengpässen überlagert werden."