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Ein Strand voller Bitcoins

Von Bernd Vasari aus El Salvador

Wirtschaft
El Zonte: Einst ein Dorf ohne Perspektive, heute Sehnsuchtsort für Tech-Fantasten.
© getty / M. Recinos

Das Pazifik-Dorf El Zonte war geprägt von Arbeitslosigkeit, Armut und Gewalt. Dann kam ein US-Surfer, der Bitcoin als Zahlungsmittel einführte und das Leben der Dorfbewohner auf den Kopf stellte.


Der Ozean ist mit tosenden Wellen vollgepackt, der schwarze Strand dampft unter der glühenden Sonne, die Palmen wiegen sanft im Wind. So sieht das Paradies für Surfer aus: El Zonte, ein Küstendorf am Pazifik in El Salvador. Als der US-Surfer Mike Peterson vor ein paar Jahren hierher kam, gefiel es ihm auf Anhieb so gut, dass er mit seiner Familie blieb. Es war eine Entscheidung, die El Zonte für immer verändern sollte.

Das einstige Fischerdorf ist heute Bitcoin-Beach, Sehnsuchtsort für Fantasten aus dem Silicon Valley und digitale Vorlage für den neuen Präsidenten des Landes. Über ein Leben zwischen Wunschtraum und Wirklichkeit.

Über der Idylle von El Zonte lag jahrzehntelang ein Schatten. Die Bewohner waren arm, hatten keine Perspektive auf Arbeit, erlebten Gewalt. Es bildeten sich Gangs, die um das Wenige, das da war, blutige Kämpfe führten. Die Hoffnung auf ein besseres Leben war so unerreichbar wie der ferne Horizont im Meer, an dem jeden Abend die Sonne in schillernden Farben untergeht.

Nur wenige Besucher kamen an den Strand der perfekten Welle. Sie waren die einzige Einnahmequelle für die Bewohner, die ihnen Gemüse und selbst gefangenen Fisch verkauften. Währenddessen surfte Peterson auf seinem Surfbrett im Wasser. Die Ungleichheit könnte nicht größer sein. Zudem war die Gewalt auf den staubigen Straßen auch eine Gefahr für den kalifornischen Sonnyboy.

Peterson begann sich zu engagieren, ging auf die Bewohner zu, suchte Kontakt zur dörflichen Kirche, die hier stark verankert ist, und schloss sich lokalen gemeinnützigen Initiativen an. Doch die unterschiedlichen Projekte waren zu klein und unkoordiniert, um die Situation entscheidend zu verbessern. Peterson forcierte daher die Idee einer Dachorganisation. Die Idee fand Anklang bei den Menschen in El Zonte, doch es fehlten die finanziellen Mittel. Peterson suchte Geldgeber, vor allem in seiner Heimat Kalifornien, wo er im Sommer ein Restaurant betrieb. Das sprach sich herum.

Ein anonymer Spender aus Kalifornien

Eines Tages meldete sich ein anonymer Spender, der ebenso aus Kalifornien stammte. Er wollte einen Teil seines Bitcoin-Vermögens sinnstiftend einsetzen und El Zonte sei ideal dafür. Es gab eine Bedingung: Das digitale Geld soll dafür verwendet werden, eine lokale Wirtschaft zu schaffen, die auf der virtuellen Kryptowährung basiert.

Die Anonymität von Spendern ist nichts Ungewöhnliches im Bitcoin-Universum, sie gehört zum guten Ton. Auch der Erfinder der Kryptowährung fungiert unter einem Pseudonym mit dem Namen Satoshi Nakamoto. 2008 präsentierte Nakamoto das Konzept: Bitcoin ist dezentral organisiert, Überweisungen finden von Person zu Person statt, Ländergrenzen spielen keine Rolle. Im Unterschied zu konventionellen Währungen gibt es also weder eine Zentralbank noch sonstige Banken oder Finanzdienstleister.

Der Strand mit der perfekten Welle.
© Bernd Vasari

Zudem kann jeder Mensch Bitcoin nutzen. Gespeichert wird das digitale Geld auf dem Handy in digitalen Geldbörsen - genannt Wallets. Der Preis von Bitcoin ergibt sich aus Angebot und Nachfrage.

Peterson traf den Manager des anonymen Spenders und sagte zu. Die Dachorganisation in El Zonte nannte er Bitcoin Beach, ein Name, der zum Programm für den ganzen Ort wurde.

Am Strand der perfekten Welle versuchte die neue Organisation nun, Jobs zu schaffen, vor allem für Jugendliche. Wer sich als Rettungsschwimmer zur Verfügung stellte oder den Mist entlang der Küste einsammelte, wurde in Bitcoin bezahlt. Gute Noten in der Schule belohnte die Organisation ebenso.

Sprachkurse und die Unterstützung der Kirche

Bitcoin Beach bekam auch ein Zuhause. 200 Meter vom Strand entfernt kaufte die Organisation ein Grundstück und baute darauf das House of Hope (Haus der Hoffnung). Es ist Anlaufstelle und Zentrum der neuen digitalen Wirklichkeit. Hier finden Feste statt, genauso wie Sprach- und Computerkurse, die gratis angeboten werden. Peterson sicherte sich auch die Unterstützung der Kirche, ihr hören die Menschen im Dorf zu.

Der endgültige Durchbruch für Bitcoin kam jedoch mit der Corona-Pandemie. Der überschaubare Tourismus brach zusammen, die Einnahmequelle der Bewohner versiegte. Peterson spendierte ihnen daraufhin Bitcoin im Wert von 35 US-Dollar pro Monat. Eine beachtliche Summe in einem Land, in dem der Mindestlohn monatlich 300 US-Dollar beträgt. Gleichzeitig entwickelte er die Bitcoin Beach Wallet, auf dem die Bitcoin-Beträge gespeichert werden konnten.

Bitcoin-Tonne.
© Bernd Vasari

Ein Dominoeffekt entstand. Je mehr Bewohner nun mit Bitcoin zahlen konnten, desto mehr Geschäfte fingen an, ihre Waren in Bitcoin anzubieten. Ein Laden nach dem anderen hängte QR-Codes auf, bis die digitale Währung schließlich zur Norm wurde.

Heute kann überall im Ort mit Bitcoin bezahlt werden. Die bunten Bitcoin-Logos und viereckigen QR-Codes befinden sich auf den Holzverschlägen der Lebensmittelverkäufer, auf den Tafeln der Saftläden und in den Hotels mit Klimaanlage. Selbst die Mistkübel sind mit den Logos bemalt.

Ein Leben ohne Bankkonto

Im Gespräch mit den Bewohnern werden vor allem die Vorteile hervorgehoben. Laut offiziellen Zahlen emigrierten 1,4 Millionen Salvadorianer in die USA, ein Sechstel der Einwohnerzahl des Landes. Sie sind eine wichtige Finanzquelle für die Daheimgebliebenen. "Mein Bruder arbeitet als Automechaniker in Tuscon, Arizona", erzählt ein Obsthändler in der Nähe der Kirche. "Er versucht, meiner Familie zu helfen. Doch er konnte kein Geld überweisen, weil ich kein Bankkonto habe. Dafür verdiene ich einfach zu wenig Geld." Mit Bitcoin seien Überweisungen aber kein Problem mehr.

Kaum jemand in El Zonte besitzt ein Bankkonto. Viele Bewohner bezogen das Geld ihrer im Ausland arbeitenden Verwandten daher von Finanzdienstleitern wie Western Union. "Für uns zählte jeder Dollar", sagt ein Taxifahrer. "Doch Western Union verlangt Gebühren, wir bekamen daher nicht die gesamte Geldsumme." Außerdem sei es gefährlich gewesen, mit Bargeld aus dem Shop zu gehen. Schafft Bitcoin Perspektiven, die mit dem konventionellen Finanzsystem nicht möglich sind?

Ja, sagt Staatspräsident Nayib Bukele, 40 Jahre alt, Sonnenbrille, nach hinten gedrehtes Kapperl. Vor drei Jahren trat Bukele als Außenseiter bei den landesweiten Wahlen an. Dabei pulverisierte er die beiden Altparteien mit einer absoluten Mehrheit. Bukele war nun Präsident eines hoch verschuldeten Landes mit grassierender Armut und einem Bandenproblem mit enormen Mordraten. Doch Bukele nutzte seine plötzliche Macht und krempelte das Land um.

Wie schon zuvor als Bürgermeister von San Salvador strebte er nach Sicherheit. Ließ er im Zentrum der Hauptstadt noch helle Straßenlaternen aufbauen, den Stadtpark für mehrere Millionen Dollar umgestalten und Künstler ihre Gemälde an zahlreiche Wände malen, setzte er nun als Staatschef auf Härte. Tausende Menschen wurden seit seinem Amtsantritt verhaftet. Ob es daran liegt oder an möglichen Deals mit den Bandenchefs, die Kriminalität in dem Land ist seither spürbar gesunken.

Der Rockstar-Präsident aus dem "Time"-Magazin

Doch es war nicht die Beseitigung der Bandenkriege, warum ihn das renommierte "Time"-Magazin im Jahr 2021 auf die Liste der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten setzte und er weit über die Grenzen des mittelamerikanischen Pazifik-Landes bekannt wurde.

Nebelfontänen schießen in die Höhe, es regnet Konfetti, während ein Feuerwerk losballert, so laut, wie die perfekten Wellen in El Zonte. Mit Powerchords getriebene E-Gitarren jagen aus den Lautsprechern und auf der überdimensionalen Leinwand erscheint Bukele als Avatar. Das Publikum vor der Bühne jubelt, es sind Momente, wie bei einem Rockkonzert.

Der selbsternannte "CEO von El Salvador", Präsident Bukele.
© getty images / Marvin Recinos

Dann tritt er in echt auf die Bühne. Weiß gekleidet und mit Kapperl genießt der selbsternannte "CEO von El Salvador" den Applaus. Bukele beginnt seine Rede. Er spricht aber nicht in der Landessprache Spanisch, sondern auf Englisch. Der Adressat ist schließlich nicht das Publikum vor der Bühne, sondern die Investoren aus dem Bitcoin-Universum. Sie sollen ins Land gelockt werden.

Nachdem sich die digitale Währung im Küstendorf El Zonte verbreitete, übernahm Bukele die Idee und setzte das um, wovon die Tech-Fantasten aus dem Silicon Valley bisher nur träumen konnten. Im vergangenen September machte er die Online-Währung zur Staatswährung.

Das erste Land mit Bitcoin als Staatswährung

El Salvador war damit das weltweit erste Land, in dem Bitcoin als Zahlungsmittel akzeptiert werden musste. Auch Steuern können damit bezahlt werden. Wer sich die elektronische Geldbörse runterlädt, erhält Bitcoin im Wert von 30 US-Dollar als Startguthaben. Ein Betrag, für den ein El Salvadorianer mit Mindestlohn zehn Tage lang arbeiten muss.

Im November kündigte Bukele auch den Bau einer "Bitcoin-City" im Osten des Landes an, eine futuristische Stadt, die mit Einnahmen aus Bitcoin-Anleihen errichtet werden soll. Der Vulkan Conchagua soll dafür umweltfreundliche, geothermische Energie liefern. "Wer hier investiert, kann so viel Geld verdienen, wie er will", sagte Bukele.

Großinvestor China.
© Bernd Vasari

Der Präsident fährt eine zweigleisige Strategie. Mit Bitcoin versucht er, finanzkräftige Investoren aus dem Silicon Valley anzulocken. Gleichzeitig setzt er auf China. Mitten im Zentrum von San Salvador klafft eine riesige Baustelle. Die alte Beton-Bibliothek wird gerade weggerissen, stattdessen baut China eine neue futuristische Bibliothek mit viel Glas. So zeigt es jedenfalls das Rendering, das an der Baustelle für jeden gut sichtbar angebracht ist. Weiters wurde ein neues Krankenhaus mit finanzieller Hilfe aus der Volksrepublik gebaut.

El Salvador verhandelt aber auch mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) um ein Kreditpaket in Höhe von 1,3 Milliarden US-Dollar. Vergangenen Dienstag sanken jedoch die Chancen auf ein erfolgreiches Verhandlungsergebnis. Denn der IWF-Vorstand forderte die Regierung auf, der Digitalwährung den Status als gesetzliches Zahlungsmittel zu entziehen. Bitcoin sei zu riskant für die "Finanzstabilität, die finanzielle Integrität und den Verbraucherschutz."

Rendering der Bibliothek.
© Bernd Vasari

Zurück in El Zonte. Ein Leben ohne Bitcoin ist hier nicht mehr vorstellbar. Ein Besucher aus der Hauptstadt, der hier seit 20 Jahren Silvester verbringt, erzählt von den Veränderungen. "Früher bin ich am Abend im Hotel geblieben, weil es zu gefährlich war", erzählt er. "Heute laufen am Strand die kleinen Kinder in Bitcoin-T-Shirts herum und sprechen dabei Englisch."

Mauern mit Stacheldraht und teure Hotels

Und auch Touristen aus den USA und Europa wurden durch Bitcoin auf El Zonte aufmerksam, unter ihnen viele Fans der digitalen Währung. Vor Bitcoin gab es zwei kleine Hotels, heute hat sich die Zahl vervielfacht. Davon profitieren die Einwohner, es gibt Jobs, es gibt Einnahmen, es gibt eine Perspektive.

Doch mit den Touristen sind nicht alle glücklich. Eine Frau mit einem fahrbaren Essensstand ist genervt, weil sie ständig fotografiert wird. "Am besten gegen die Sonne, damit mein Stand, ich und das Bitcoin-Pickerl gut sichtbar sind", sagt sie, während sie den Teig zu einer Pupusa knetet. Ihr traditionelles Fladenbrot aus Mais mit unterschiedlichen Füllungen würden die Tech-Fotografen dann aber nicht kaufen.

Bitcoin als Zahlungsmittel.
© Bernd Vasari

Es gibt auch immer mehr Grundstücke, die von hohen Mauern mit Stacheldraht umgeben sind. Ausländer bauten sich darauf ihre Luxusanwesen, auch teure Hotelzimmer für umgerechnet 400 Euro pro Nacht werden mittlerweile angeboten. Daneben leben die Menschen in ihren einfachen Hütten, ohne Kühlschrank, ohne fließendes Wasser, ohne Strom.

Das Versprechen von Bitcoin ist ein Versprechen auf finanziellen Gewinn. Und tatsächlich, wer früh in die Kryptowährung investierte, hat viel Geld verdient. Die langfristigen Steigerungsraten sind jedoch nur die halbe Wahrheit, denn Bitcoin unterliegt auch heftigen Kursschwankungen. Sieht man sich die monatlichen Werte an, kann der Preis schon mal um 20 Prozent runter schnellen. Im Vergleich zu November mit einem Höchststand von rund 68.000 Dollar lag der Wert von Bitcoin am Freitag bei nur noch rund 37.000 Dollar.

Für Menschen, die täglich von der Hand in den Mund leben, ist es ein gefährliches Spiel. Das wenige Geld, das sie erarbeiten, geben sie jeden Tag für Essen aus und um ihre Rechnungen zu begleichen. Es bleibt nichts übrig, um in Bitcoin zu investieren und auf das große Geld zu spekulieren.

Und auch Bukele nutzt seine Macht für fragwürdige Maßnahmen. So hat er die Amtszeit auf sechs Jahre ausgedehnt, nimmt Einfluss auf die Medien und hat eine Marketing-Maschine hinter sich, die nur seine Wahrheit kennt.

Nationalgericht Pupusa.
© Bernd Vasari

Ist die Euphorie rund um Bitcoin nur eine immer größer werdende Seifenblase, bis sie platzt, die digitale Währung nur ein Spekulationsobjekt von Tech-Yuppies aus Kalifornien?

Der Obsthändler in der Nähe der Kirche erzählt stolz von seinen Bitcoin-Ersparnissen. Sein Bitcoin-Wallet sei wie ein Sparbuch. Doch, was, wenn der Preis in den Keller rasselt und das ganze Geld auf einmal weg wäre? Der Obsthändler lacht und schlägt eine Ananas entzwei: "Die vergangenen Jahre waren in diesem Land voll von Betrug. Vielleicht haben wir jetzt einmal Glück."