Die EU-Kommission will Investitionen in Gas-und Atomkraftwerke unter bestimmten Bedingungen als klimafreundlich einstufen. Das teilte die Brüsseler Behörde am Mittwoch bei der Präsentation ihres finalen Texts mit. Um die sogenannte Taxonomie zu stoppen, sind die Hürden für die EU-Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament hoch. Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) hatte bereits im Vorfeld angekündigt, gegen den Beschluss der EU-Behörde rechtlich vorzugehen.
Man habe ein "gutes Gleichgewicht" zwischen grundlegend unterschiedlichen Meinungen gefunden, zeigte sich die zuständige EU-Finanzkommissarin Mairead McGuinness hingegen überzeugt. Beim Übergang müssen "wir auch nicht perfekte Lösungen akzeptieren", sagte sie weiter. Die EU-Kommission betonte stets, dass es sich hierbei um Brückentechnologien handelt.
Konkret sollen beispielsweise Gaskraftwerke in diesem Jahrzehnt als "grün" gelten, wenn sie ein CO2-Emissionslimit von 270 Gramm je Kilowattstunde nicht überschreiten. Dies ist auch möglich, wenn sie über einen Zeitraum von 20 Jahren bestimmte Werte nicht überschreiten. Damit können auch Gaskraftwerke als nachhaltig gelten, die erst später auf klimafreundlichere Produktionsweisen umstellen oder später nur noch teilweise genutzt werden. Sie sind verpflichtet, bis 2035 auf CO2-ärmere Produktionsweisen umzustellen. Das war zunächst ab 2026 angedacht. Neue Atomkraftwerke müssen für ein Öko-Label eine Baugenehmigung vor 2045 bekommen. Außerdem müssen die Länder, in denen sie entstehen, bis 2050 einen Plan und die finanziellen Mittel haben, radioaktive Abfälle sicher zu entsorgen.
Das geplante Inkrafttreten der neuen Regeln lässt sich verhindern, wenn 20 der 27 EU-Staaten mit mindestens 65 Prozent der EU-Gesamtbevölkerung oder eine absolute Mehrheit im Europaparlament dagegen stimmen. Beides gilt aber als nahezu ausgeschlossen. Mit der Taxonomie will die Kommission festlegen, welche Finanzinvestitionen künftig als klimafreundlich gelten sollen, um mehr Geld in nachhaltige Technologien und Unternehmen lenken und so wesentlich zur Klimaneutralität Europas bis 2050 beitragen.
Kritik aus heimischer Politik
Erwartungsgemäß kritisch hat die österreichische Politik auf das von der EU-Kommission vorgeschlagene "grüne Label" für die Atomkraft reagiert. Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) warf der Brüsseler Behörde vor, mit ihrer Entscheidung, Atomkraft als klimafreundlich einzustufen, ihre eigenen Bemühungen zum Klimaschutz zu untergraben. "Die EU konterkariert die Agenda des Green Deals", sagte Brunner nach der Taxonomie-Entscheidung der EU-Behörde am Mittwoch in Brüssel.
"Wir bedauern die Entscheidung zur Taxonomie-Verordnung der EU-Kommission", so Brunner. "Für uns ist die Entscheidung, Atomkraft als 'grün' einzustufen weder ökologisch noch ökonomisch nachhaltig. Wer künftig mehr Schulden für den Klimaschutz fordert, wird mit mehr Atomkraft in Europa aufwachen."
Besorgt zeigte sich Brunner über die erwartete Reaktion der Märkte. "Sogar die Europäische Investitionsbank, bei der die Mitgliedsstaaten Kapitaleigner sind, hat bereits klargestellt, dass sie nicht in Atomkraft investieren wird. Obendrein haben nahezu alle EU-Staaten, darunter auch Frankreich, Deutschland und Italien, in ihren nationalen Grünen Anleihen Atomkraft dezidiert ausgeschlossen - obwohl in diesen Ländern AKWs stehen. Auch im österreichischen Green Bond der heuer noch aufgelegt wird, wird Atomkraft selbstverständlich ausgeschlossen sein."
Kritik auch von Opposition
Es gebe klare Aussagen von sogenannten ESG-Investoren, die besonderes Augenmerk auf nachhaltige soziale und ökologische Standards legten, dass sie Atomkraft ablehnen und durch die Taxonomie-Verordnung ein "Greenwashing" von Atomkraft befürchten. "Es steht eine Zersplitterung des Marktes im Raum und es wird damit das Gegenteil dessen erreicht, wofür eine Taxonomie benötigt wird", warnte Brunner. Dies sei für die dringend notwendige Entwicklung eines Green Finance Marktes äußerst bedauerlich. Die Kommissions-Entscheidung sei "kurzsichtig und nicht nachvollziehbar", auch der Markt werde dafür "wenig Verständnis zeigen".
Klimaministerin Leonore Gewessler (ÖVP) hatte bereits im Vorfeld mit einer Klage Österreichs gegen die EU-Kommission in Sachen Taxonomie gedroht. Gewessler wollte sich am Mittwochnachmittag in einer Pressekonferenz dazu näher äußern.
Kritik an der Kommissionsentscheidung gab es auch von der Opposition. "Wir sind dagegen, dass Gas und Atomstrom da hineingenommen werden", sagte NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger am Mittwoch in einer Pressekonferenz zur Taxonomie-Verordnung. Gas als nachhaltige, umweltschonende Energiequelle zu bezeichnen "ist einfach nicht in Ordnung". NEOS-Europaabgeordnete Claudia Gamon betonte, dass das Taxonomie-Regelwerk nun "völlig unbrauchbar" sei. "In der Sekunde, in der der Vorschlag der Kommission das Parlament erreicht, werde ich gemeinsam mit anderen Abgeordneten Widerspruch einlegen", so Gamon.
ÖVP-Europaabgeordneter Othmar Karas teilte auf Twitter mit, dass "alle zuständigen österreichischen Europaabgeordneten Einspruch gegen die Pläne der EU-Kommission ein(legen)" werden. "Die Ablehnung der Atomkraft ist keine parteipolitische Frage, sondern war stets ein gemeinsames österreichisches Anliegen", betonte der Vizepräsident des Europaparlaments. Karas' Fraktionskollegin Angelika Winzig sprach in einer Aussendung von einem "fatalen Signal für die Zukunft". "Wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir eine grüne Zukunft predigen und zugleich Investitionen in rückwärtsgewandte, radioaktive Technologien fördern", teilte Winzig mit.
Im Vorfeld der Kommissionsentscheidung hatte sich bereits der grüne EU-Abgeordnete Thomas Waitz kritisch geäußert, der von einer "dreisten Kompetenzüberschreitung" der Brüsseler Behörde sprach. Die Grüne EU-Delegationsleiterin Monika Vana warnte, dass "der Green Deal und die ökologische Transformation ausgerechnet durch die Taxonomie untergraben" werde. Die Umweltorganisation GLOBAL 2000 sprach von einer "politischen Bankrotterklärung der EU-Kommission gegenüber einer nachhaltigen und umweltgerechten Energiepolitik". (apa, reuters)