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Grünes Label für Atomkraft löst scharfe Kritik aus

Von Andreas Lieb

Wirtschaft

Die Europäische Kommission klassifiziert Nuklearenergie und Gas als "grüne Übergangstechnologie".


Alle verfügbaren Mittel" müsse man nützen, um bis 2050 die Klimaneutralität in der EU zu erreichen: In diesem Satz begründete EU-Kommissarin Mairead McGuinness den umstrittenen Kern des zweiten, ergänzenden delegierten Rechtsaktes zur Taxonomie, der längst nicht mehr gut für Überraschungen war.

Seit der Vorstellung des Entwurfs hatte die Kommission bloß noch ein wenig nachgeschärft, etwa bei den Auflagen für Gas, aber auch im endgültigen Dokument blieb es dabei: Atomenergie und Gas werden als "grüne Übergangstechnologie" klassifiziert - sehr zum Missfallen von Umweltschützern, Grünen und Ländern wie Österreich oder Luxemburg.

Die österreichische Politik reagierte jedenfalls scharf und mit einer Klagsdrohung auf den umstrittenen Taxonomie-Vorschlag der Kommission. Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen meldete sich zu Wort und attestierte der Brüsseler Behörde am Mittwoch per Aussendung, ein "falsches Signal" zu senden. Während die österreichischen EU-Abgeordneten geschlossenen Widerstand ankündigten, stellte Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) eine Klage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Aussicht.

Die deutsche Regierung will unterdessen die Entscheidung prüfen. Klimaschutzminister Robert Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke (beide Grüne) lehnen den Vorschlag in einer gemeinsamen Erklärung ab.

EU-Kommission mauert

Indes wurde EU-Kommissarin McGuinness nicht müde, die Entscheidung zu verteidigen. Es habe im Kollegium eine "überwältigende Mehrheit" dafür gegeben (lediglich Budgetkommissar Johannes Hahn hatte sich bereits vorab dazu bekannt, dagegen zu stimmen), und man habe doch, bei aller Kontroverse, die Stellungnahmen des EU-Parlaments, einer Expertengruppe und auch der Sachverständigengruppe der Mitgliedstaaten für nachhaltiges Finanzwesen miteinbezogen.

"Die Verstärkung privater Investitionen in den Übergang ist eine Voraussetzung für die Verwirklichung unserer Klimaziele. Heute haben wir strenge Bedingungen präsentiert, die zur Mobilisierung von Kapital für den Ausstieg aus schädlicheren Energieträgern wie Kohle beitragen. Und wir stärken die Markttransparenz, damit Anleger bei Investitionsentscheidungen ohne Weiteres erkennen können, ob Gas- oder Kernenergietätigkeiten im Spiel sind", so McGuinness.

Lenkung der privaten Gelder in Richtung Klimaziele

Die Taxonomie soll bewirken, dass private Gelder dorthin gelenkt werden, wo es in Richtung Klimaziele geht. Die Kommission ist demnach der Auffassung, dass die im Rechtsakt erfassten Bereiche der Kern- und Gasenergie "im Einklang mit den Klima- und Umweltzielen der EU" stehen. Ins Treffen führt die Behörde, dass damit strenge Bedingungen und hohe Transparenz verbunden seien. So gibt es spezielle Offenlegungspflichten für Unternehmen, die sich dort engagieren. Anleger sollen erkennen können, welche Investitionsmöglichkeiten konkret mit Gas- und Kernenergietätigkeiten verbunden sind. Neue Atomkraftwerke können bis 2045 als nachhaltig klassifiziert werden, wenn ein konkreter Plan für die Endlagerung radioaktiver Abfälle ab spätestens 2050 vorliegt. Außerdem müssen die Anlagen neuesten technischen Standards entsprechen.

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Investitionen in neue Gaskraftwerke sollen bis 2030 als nachhaltig gelten, wenn sie unter anderem schmutzigere Kraftwerke ersetzen und bis 2035 komplett mit klimafreundlicheren Gasen wie Wasserstoff betrieben werden. Im ursprünglichen Entwurf war die Beimischung von klimafreundlichen Gasen schon ab 2026 vorgeschrieben, hier dürfte Deutschland eine Änderung verhandelt haben. Keineswegs handle es sich um "greenwashing", ließ der aus gesundheitlichen Gründen nicht anwesende Kommissions-Vizepräsident Valdis Dombrovskis ausrichten: "Mit den heute vorgelegten Regeln stärken wir auch die Transparenz und die Offenlegung von Informationen, damit Investoren informierte Entscheidungen treffen können und so jegliche Grünfärberei vermieden wird." Es gehe um die Beschleunigung privater Investitionen, mit denen der Übergang zu einem grünen Energiesystem geschaffen werden soll. Gefragt, wie denn das alles überprüft werden soll, antwortete McGuinness, man werde mit externen Prüfern und lokalen Behörden auf die Einhaltung der Vorgaben achten.

Strenge Auflagen für Atomkraftwerke

Dass nicht einmal die Europäische Investitionsbank EIB auf diesen Zug aufspringt, irritiert die Kommission nicht: Diese habe eben ihre eigene Vorstellung. Das Argument, dass gerade Atomkraftwerke ja auch ein hohes Gefahrenpotenzial darstellen würden, wischte die Kommissarin vom Tisch: Dafür gebe es die strengen Auflagen und Bedingungen, der Energiemix der Mitgliedsländer sei ja sowieso ihnen selbst überlassen. Allerdings müsse man bedenken, dass gerade beim Kohleausstieg eine sehr unterschiedliche Ausgangslage in den Mitgliedsländern herrsche. Die Taxonomie gebe ja keine Vorgaben dafür, wer welche Technologie zu verwenden habe, es gehe bloß um die Klassifizierung als Hilfe für die privaten Investoren.

Die Taxonomieverordnung soll alle drei Jahre überprüft und gegebenenfalls adaptiert werden. Nun haben EU-Parlament und der Rat vier bis sechs Monate Zeit, den Akt zu prüfen und Einwände zu erheben. Von den Mitgliedsländern ist kein Veto zu erwarten, die erforderliche qualifizierte Mehrheit geht sich nicht aus. Österreich hat zwar in Luxemburg einen Mitstreiter und in Ländern wie Spanien oder Schweden Sympathisanten, aber im Rat reicht das nicht. Deutschland, das um die Verwendung von Gas nicht herumkommt, gab sich zurückhaltend und will die Dokumente erst einmal genauer prüfen. Im EU-Parlament würde eine einfache Mehrheit zur Ablehnung reichen, aber trotz starken Widerstands, in dem sich etwa die österreichischen Abgeordneten aller Parteien vereint zeigen, gilt auch das als sehr unwahrscheinlich.