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Die Geopolitik der Halbleiterindustrie

Von Bernhard Seyringer

Wirtschaft

Bis 2025 will China bei Chips 70 Prozent Eigenversorgung haben, doch dieses Ziel wird deutlich verfehlt werden.


Seit der Amtszeit von US-Präsident Donald Trump ist der geopolitische Wettbewerb zwischen den USA und China ein quasi-offizielles Format. Der primäre Schauplatz der Austragung ist die Technologiepolitik. Obwohl viele Industriesektoren davon betroffen sind, gibt es doch einen, der aufgrund seiner Schlüsselposition für sämtliche Technologiebereiche eine wichtige Indikatorrolle hat: die Halbleiterindustrie. Ohne sie ist technologischer Fortschritt unmöglich. Aber, wie lässt sich nach fast drei Dekaden technologischer Globalisierung und hochgradig vernetzten Wertschöpfungsketten plötzlich von "Entkopplung" sprechen? Und wie lässt sich diese herstellen, ohne die eigene Innovationskraft zu beschädigen?

Diese Fragen sind für unzählige Think Tanks in den USA aktuell tonangebend. Für China stellt die Branche nach wie vor die Achillesferse dar. Seit drei Dekaden treibt Peking die Entwicklung voran. Mit unzähligen Strategiepapieren und riesigen Subventionen. Die gewünschten Ziele wurden allerdings bis heute nicht erreicht.

Im Jahr 2020 hat China Halbleiter im Wert von ungefähr 350 Milliarden US-Dollar (gut 308 Milliarden Euro) importiert, das ist mehr als die Gesamtimporte aus der EU. In den Fabriken der Technologiehersteller wird fast ein Drittel der globalen Halbleiterproduktion verarbeitet. Dabei werden aber nur 10 Prozent von chinesischen Produzenten hergestellt. Nach Berechnungen des Marktforschungsinstituts IC Insights, wird dieser Anteil bis 2025 auf bestenfalls 20 Prozent ansteigen. Damit ist klar, dass die im Strategiepapier "Made in China 2025" formulierten Ziele einer "Eigenversorgungsquote" von 70 Prozent bis 2025 deutlich verfehlt werden.

Allerdings gibt sich Peking noch nicht geschlagen: Seit dem Frühjahr 2020 werden die Investitionen erneut deutlich erhöht: Der Branchenverband der Halbleiterindustrie SEMI, beziffert die aktuellen Ausgaben Chinas auf 26 Prozent der globalen Gesamtinvestitionen (Vergleich: Taiwan 24 Prozent). Aber nicht nur die staatlichen Ausgaben sind enorm angestiegen: Im zweiten Quartal des Jahres 2021 haben auch Risikokapitalgeber laut "Financial Times" ihre Investitionen um 446 Prozent auf 8,9 Milliarden Dollar erhöht.

Wertschöpfungskette

Um den Zwischenstand im Technologiewettbewerb darzustellen, ist der Blick auf die unterschiedlichen Stufen in der Wertschöpfungskette zur Herstellung von Halbleitern notwendig. Die Produktion von Bauelementen oder Chips verläuft in drei Stufen: das Design, die Fertigung und die Endfertigung. In der Entwicklungsstufe "Design" wird ein Dateiformat (GDSII-Code) entwickelt, das sämtliche Layoutdaten beinhaltet, die zur Übertragung von mikroskopisch-kleinen "Schaltplänen" auf das Silizium-Trägermaterial des zukünftigen Bauelements notwendig sind.

Laut UBS Research halten chinesische Unternehmen im Segment Chip-Design einen Weltmarktanteil von bestenfalls 15 Prozent. Bei besonders leistungsfähigen Chips sinkt der Weltmarktanteil auf nur ein Prozent. Mit dem Huawei Tochterunternehmen HiSilicon existiert ein international-wettbewerbsfähiges Unternehmen, das sich ausschließlich auf das Design konzentriert und dazu in der Lage ist, spektakuläre Durchbrüche wie den Chip "Kirin 9000" zu entwickeln. Allerdings, gibt es keine chinesischen Hersteller, die derartig hochwertige Chips auch in Serie produzieren können. Daher muss der "Kirin 9000" von TSMC in Taiwan produziert werden.

Automatisierungssoftware

Ein ähnliches Bild bietet sich im Bereich Automatisierungssoftware für den Design-Prozess: Der einzige chinesische Anbieter derartiger Tools, die dazu in der Lage sind, den gesamten Prozess abzudecken, ist Huada Empyrean. Wobei selbst das von unterschiedlichen chinesischen Wissenschaftern angezweifelt wird. Weitere 13 Software-Entwickler wurden mit großzügigen Förderungen durch den "Halbleiter-Fonds" von 2014 unterstützt, konnten aber keine nennenswerten Fortschritte erzielen. Seit Frühling 2020 setzt die chinesische Regierung vor allem auf das Unternehmen Giga Design Automation.

In der zweiten Produktionsstufe, der Fertigung, wird das Design mittels unterschiedlicher lithografischer und chemischer Verfahren auf das Trägermaterial Silizium aufgebracht. Dazu sind sehr teure und hochkomplexe Geräte notwendig. Unter anderem EUV-(Extreme Ultraviolet) Lithographie-Geräte, die von Shanghai Micro Electronics Equipment (SMEE), Chinas führendem Unternehmen, entwickelt werden. Es besteht bereits seit fast zwanzig Jahren und liegt ungefähr acht Generationen (16 Jahre) hinter dem technischen Entwicklungsstand des Weltmarktführers ASML aus den Niederlanden zurück.

Der Weltmarktanteil von SMEE und dem zweitgereihten Unternehmen, Kingsemi liegt bei 0,2 Prozent. Diese Situation führt dazu, dass nur etwa ein Viertel der chinesischen Hersteller Fertigungsausrüstung bei heimischen Anbietern erwirbt. Sie sind gezwungen, Geräte bei Unternehmen aus Japan, Südkorea, Taiwan und den Niederlanden zu kaufen. Im Jahr 2020 sind aber wesentliche Halbleiter-Projekte auch gescheitert oder eingestellt worden: Wuhan Hingxin in der Provinz Hubei, Shaanxi Kuntong in Shaanxi und das Leuchtturmprojekt Nanjing Dekema, das sogar als "Nanjing TSMC" beworben wurde.

Taiwan-Firma TSMC dominiert

Chinesische Chip-Produzenten halten unter anderem deswegen kaum mehr als 10 Prozent Anteil am Weltmarkt. Es existieren nur zwei international-wettbewerbsfähige Unternehmen, die sich ausschließlich auf die Produktion konzentrieren ("foundries"): die Semiconductor Manufacturing Industry Company (SMIC), und Hua Hong.

Dominiert wird die globale Produktion vom taiwanesischen Unternehmen TSMC das mehr als 50 Prozent am Weltmarkt hält und in sämtlichen Fertigungsbereichen der chinesischen SMIC weit voraus ist. Zum Vergleich: SMIC hat 2019 den Entwicklungsstand der Prozesstechnologie erreicht, den TSMC oder auch Intel oder Samsung bereits 2014 erreicht hatten.

Geopolitischer Wettbewerb

Der einzige Produktionsschritt in der Halbleiterherstellung, in dem China über ernsthafte Weltmarktanteile verfügt, ist die Endfertigung. Der Anteil liegt bei fast 25 Prozent des Weltmarktes (OECD). Für den Wettbewerb mit den USA ist er praktisch irrelevant, da er nur aus gering-qualifizierten Tätigkeiten besteht.

Die USA suchen den Wettbewerb in Bereichen, in denen US-Unternehmen de facto Monopolstellung besitzen: Sowohl im Bereich Chip-Design ("fabless") als auch in der Software zur Automatisierung des Design-Prozesses führt aktuell an den US-Unternehmen Broadcom, Qualcom und Nvidia einerseits sowie Cadence, Synopsis und Ansys andererseits, kein Weg vorbei. Die Unternehmen halten zusammen Marktanteile von mehr als 80 Prozent.

Ähnlich ist der Sektor Fertigungstechnik gestaltet: Es besteht eine massive Marktdominanz von drei US-amerikanischen Unternehmen: Applied Materials, LAM Research und KLA-Tencor. China braucht diese Technologien dringend. Die Innovationsstrategien funktionieren nur punktuell und der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften ist in sämtlichen Hochtechnologiebereichen erdrückend. Der Zwischenbefund für den strategischen Wettbewerb mit den USA könnte kaum schlechter sein. Einem anderen US-Präsidenten folgend: It’s the technology, stupid.