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Russland auf "Ramsch"-Niveau

Von Marina Delcheva

Wirtschaft

Rating-Agenturen stufen Russland massiv herab, Staatskonzerne verlieren an Wert, und der Rubel stürzt ab.


Russlands Wirtschaft befindet sich de facto im freien Fall. Die bisherigen Sanktionen der EU, der USA und einer Reihe anderer Länder haben das Land hart getroffen und es in die wirtschaftliche Isolation getrieben. Der Rubel ist seit Beginn der Invasion in die Ukraine vergangene Woche um satte 26 Prozent eingebrochen. Die Inflation steigt spürbar. Experten rechnen mit einem Einbruch der Wirtschaftsleistung um 10 Prozent heuer, manche sagen gar 20 Prozent voraus. Und jetzt kündigen immer mehr international tätige Firmen den Rückzug aus Moskau an.

Nachdem "Standard & Poor’s" zuletzt Russlands Bonität auf Ramsch-Niveau herabgestuft hat, zogen nun auch die zwei anderen großen Ratingagenturen nach. Fitch und Moody’s haben die Kreditwürdigkeit des Landes auf die niedrigste Stufe, also auf "Ramsch" gesetzt. Das bedeutet, dass dann Anleihen quasi als uneinbringlich gelten. Fitch nahm die Bewertung um sechs Stufen von BBB auf B zurück. Eine so starke Abwertung eines einzelnen Staates habe es zuletzt 1997 bei Südkorea gegeben. Gleichzeitig werden die Aussichten "negativ" bewertet, was die Tür zu weiteren Herabstufungen öffnet. Auch Moody‘s stufte Russland um sechs Stufen von Baa3 auf B3 herab, Ausblick "negativ". In der Praxis bedeutet das, dass Russland de facto als nicht kreditwürdig gilt und sich am internationalen Finanzmarkt nicht oder nur sehr schwer refinanzieren kann.

Notenbank lenkte ein

Zur Erinnerung: Nach der Invasion in die Ukraine haben EU, USA und andere Länder eine Reihe weitreichender Sanktionen über Russland verhängt. Sieben russische Banken wurden aus dem internationalen Finanztransaktionsnetzwerk Swift ausgeschlossen, darunter sind auch die zwei größten russischen Banken Sberbank und VTB. Ein Embargo für Hochtechnologien wurde verhängt. Zudem wurden alle Vermögenswerte der russischen Nationalbank in der EU, der Schweiz, den USA und anderen Ländern eingefroren. Und die USA greifen vermehrt nach dem Oligarchen-Vermögen.

Um den entstandenen Schaden irgendwie in den Griff zu bekommen, hat die russische Nationalbank deshalb eine Reihe von Maßnahmen angekündigt. So hat sie den Leitzins am Montag auf 20 Prozent gesetzt und ihn damit fast verdoppelt, um den Kursverfall zu begrenzen. Ewald Nowotny, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE), zitierte bei einer Online-Diskussion aus einem vergangenen Treffen mit Elwira Nabiullina, mittlerweile russische Zentralbankchefin: "Der Rubel-Dollar-Kurs hat eine starke psychologische Wirkung auf die russische Bevölkerung." Außerdem soll der Nationale Wohlstandsfonds angezapft werden.

Firmenwerte verpuffen

Der Schaden für international tätige russische Firmen ist auch immens. Viele von ihnen sind an den Börsen in London, Wien, New York, Sidney gelistet. Ihre Aktien werden auf "Junk" herabgestuft und können nicht mehr verkauft werden, berichteten Finanzmedien aus London und Australien. Die Aktienkurse von Gazprom, Lukoil oder Rosneft brechen weiterhin massiv ein. Der Marktwert ganz vieler russischer Unternehmen hat sich binnen weniger Tage de facto in Luft aufgelöst. Umgekehrt verlassen immer mehr ausländische Firmen wie VW, Eni oder H&M Moskau oder stellen, zumindest vorübergehend, die Geschäftstätigkeit ein.

Wifo: Minus 10 Prozent

Das heimische Wirtschaftsforschungsforschungsinstitut (Wifo) beziffert den wirtschaftlichen Schaden für Russland mit einem BIP-Einbruch von 9,71 Prozent. "Sanktionen zeigen kurzfristig meist wirtschaftliche aber keine politische Wirkung. Halten sie lange an und sind umfassend, kann sich ihr politisches Wirkungspotenzial vergrößern", wird Wifo-Chef Gabriel Felbermayr in einer Aussendung zitiert. Der Schaden für die EU, USA und Großbritannien sei hingegen überschaubar (siehe Grafik).

Für Österreich wird der Schaden mit 0,28 des BIP beziffert. Am härtesten würde es die baltischen Staaten, die an Russland angrenzen, treffen. Sollte die Situation aber weiter eskalieren und sollten sich die Fronten verhärten, dürfte nicht nur der menschliche, sondern auch der ökonomische Schaden dieses Krieges weit dramatischer ausfallen, für Russland und für den Westen. Russland droht jedenfalls die Rezession. Russland exportiert relativ viel in die EU. Im Jahr 2020 war laut Wifo die EU für mehr als ein Drittel des russischen Außenhandels verantwortlich, dagegen finden lediglich 4,8 Prozent des Außenhandels der EU mit Russland statt. Wer jedenfalls von der Entkoppelung profitiere, sei China, das den Handel mit Russland verstärken würde.