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Staatspleite Russlands rückt näher

Wirtschaft

Der Bankrott, der zunehmend wahrscheinlicher wird, würde auch Österreichs Anleger treffen.


Überraschend wäre eine Staatspleite Russlands nach den weitreichenden westlichen Sanktionen im Zuge der Invasion in der Ukraine wohl nicht. Die Zahl jener Experten, die Moskaus Schuldendienst inzwischen akut in Gefahr sehen, wird immer größer, während Russland in wirtschaftlicher Hinsicht immer mehr ins Abseits gerät. Die internationalen Strafmaßnahmen scheinen jedenfalls genug Potenzial für eine Insolvenz von Putins Imperium zu haben. Es wäre Russlands zweiter Staatsbankrott binnen 24 Jahren.

Die amerikanisch-britische Ratingagentur Fitch warnt bereits vor einem unmittelbar drohenden Zahlungsausfall. Sie hat ihre Bewertung für die Kreditwürdigkeit Russlands am Mittwoch noch tiefer in den Ramsch-Bereich gedrückt - von der Bonitätsnote "B" um sechs Stufen auf "C". Ebenfalls nur noch Ramsch-Status - dieser kennzeichnet für Anleger hochriskante, stark ausfallgefährdete Investments - haben russische Staatsanleihen auch bei den beiden US-Ratingagenturen Moody’s und Standard & Poor’s (S&P).

Erste Nagelprobe am 16. März

Der Chef des Berliner Wirtschaftsforschungsinstituts DIW, Marcel Fratzscher, hält eine Pleite des russischen Staates in den kommenden Monaten für sehr wahrscheinlich. Infolge der Sanktionen bestehe ein hohes Risiko, dass Russland seine Schulden bei internationalen Gläubigern nicht bediene, sagte Fratzscher der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Darüber hinaus könne es bei einem Zahlungsausfall zu Verwerfungen auf den Finanzmärkten kommen. Vom ausstehenden Volumen an russischen Staatsanleihen werden nach Informationen der "Wiener Zeitung" circa 20 Prozent vom Ausland gehalten.

Nach Angaben des US-Finanznachrichtendienstes Bloomberg hat Russland derzeit insgesamt rund 49 Milliarden Dollar (45 Milliarden Euro) an Staatsanleihen in Dollar und in Euro offen. Die erste Nagelprobe steht bereits am 16. März - also in wenigen Tagen - an: Da werden dann Zinszahlungen über mehr als 100 Millionen Dollar fällig. In weiterer Folge läuft am 4. April eine Zwei-Milliarden-Dollar-Anleihe aus.

Auch für die US-Investmentbank Morgan Stanley ist ein Zahlungsausfall das "wahrscheinlichste Szenario". Mit Putins Papieren will kaum jemand noch zu tun haben. "Ich würde keinen Penny für diese Anleihen bezahlen", zitiert Bloomberg den Ex-Hedgefonds-Manager Jay Newman.

Vieles noch unklar

Ein Staatsbankrott Russlands würde auch österreichische Anleger treffen. Daten der Nationalbank (OeNB) zufolge lässt sich das finanzielle Engagement heimischer Versicherer, Privathaushalte und Investmentfonds bei russischen Anleihen und Aktien mit insgesamt knapp einer Milliarde Euro beziffern, wovon mehr als 350 Milliarden auf Bonds entfallen. Aus diesen Zahlen geht allerdings nicht hervor, wie hoch das Volumen ist, das österreichische Investoren nur an russischen Staatsanleihen halten.

Unklar ist auch, wie sich eine Pleite Russlands auf den Bankensektor in Österreich auswirken könnte. Mit Blick auf die Sanktionen hat die Finanzmarktaufsicht am Dienstag lediglich erklärt, dass das heimische Finanzsystem stabil sei und die derzeit absehbaren Auswirkungen "schmerzhaft, aber verkraftbar" seien.

Russland-Krise 1998

Der bisher schwärzeste Tag in der Geschichte des neuen Russlands war der 17. August 1998. Damals stellte die Regierung wegen knapper Kassen die Bedienung der Binnenschulden ein und gab den Rubel zur Abwertung frei. Die Finanzmärkte kamen ins Taumeln, das Vertrauen in Russland war dahin. Der Rubel büßte nach Jahren der Stabilität in wenigen Wochen 75 Prozent ein. Russische Banken konnten ihre Verpflichtungen nicht mehr erfüllen. Internationale Finanzorganisationen stellten die Unterstützung ein.

Diesmal unterscheidet sich die Situation in wesentlichen Punkten, die Ausgangslage ist völlig anders. Damals hatte Russland hohe Staatsschulden und geringe Devisenreserven. Zudem war der Rubel noch an den Dollar gekoppelt, sodass die Zentralbank den Wechselkurs verteidigen musste. Heute sind Russlands Staatskassen - nicht zuletzt dank der hohen Öl- und Gaspreise - prall gefüllt. Doch durch die Sanktionen wurde ein Großteil von Russlands Zentralbankreserven (640 Milliarden Dollar) eingefroren.

So betonen auch S&P und Moody’s, dass die Hauptursachen für das erhöhte Risiko eines Zahlungsausfalls nicht Geldnot, sondern Folgen der Sanktionen sind. Durch sie sind auch die Möglichkeiten der Zentralbank stark eingeschränkt. Selbst wenn Russland zahlen würde, wäre deshalb ungewiss, ob Gläubiger im Ausland an ihr Geld kommen.

Ein weiteres Problem für internationale Investoren, wie die dpa berichtet: Auch Kreditausfallversicherungen greifen bei manchen Anleihen womöglich nicht. Denn Russland könnte Schulden in Rubel begleichen, dürfte das Geld aber nicht ins Ausland transferieren.

Putin sucht Geldquellen

Unterdessen hat Wladimir Putin ein Gesetz verabschiedet, das Mittel aus einem nationalen Vermögensfonds für den Ankauf von Staatsanleihen und Aktien freigibt. Zudem hat der russische Staatschef eine Kapital-Amnestie erlassen: Das bedeutet, dass Geld, das am Fiskus vorbei ins Ausland geschleust wurde, wieder nach Russland zurückkehren kann, ohne dass Strafen oder Steuern drohen.

Der russische Rubel hat inzwischen seine Talfahrt fortgesetzt. Im Moskauer Handel stieg der Dollar zur russischen Devise um rund 15 Prozent auf 119,99 Rubel. (kle)