Noch ist die Prognose für die 23 Länder Mittel-, Ost- und Südosteuropas trotz des russischen Krieges in der Ukraine positiv: Die elf EU-Mitglieder der Region werden laut des Wiener Instituts für internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) im Schnitt um 2,5 Prozent wachsen. Kommt es aber zu einem Öl- und Gasembargo der EU, oder zu einer Eskalation des Krieges, dann muss die gesamte Region mit einem Abschwung rechnen, auch Österreich. Die Prognose für die Ukraine und Russland ist sowohl im Basisszenario, als auch im Krisenszenario negativ. Hier die wichtigsten Erkenntnisse im Überblick.



Österreich ist nicht nur wegen der hohen Abhängigkeit von russischem Gas, die 80 Prozent beträgt, exponiert, sondern auch wegen der Banken. Die erwartete Rezession würde bei einem Energieembargo noch tiefer ausfallen als in Deutschland, wo ein Einbruch von 0,5 bis 6 Prozent des BIP prognostiziert wird. Ungemach sehen die wiiw-Analysten auf die Banken zukommen. Die Raiffeisenbank International ist mit 18 Milliarden Euro Aktiva das größte Finanzinstitut in Russland. Bei einer möglichen Verstaatlichung durch Russland oder Verkauf würden hohe Verluste entstehen.


Die ukrainische Wirtschaft wird laut Berechnungen des wiiw heuer um minus 38 bis minus 45 Prozent schrumpfen, verliert also bis fast die Hälfte der Wirtschaftsleistung. "Auch bei einem Waffenstillstand und einer politischen Lösung dürfte ein kräftiger Aufschwung erst 2024 einsetzen, weil private Investoren wohl nur langsam wieder ins Land zurückkommen würden", sagt Vasily Astrov, Ökonom am wiiw. In den Gebieten, in denen es keine Kämpfe gibt, zeige sich die Wirtschaft bisher erstaunlich widerstandsfähig, so der Analyst. Das Budgetdefizit dürfte auf 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigen und werde nur mit westlicher Finanzhilfe abzudecken sein. In den vom Krieg betroffenen Regionen, wo die Wirtschaft zum Erliegen gekommen war, wurden bisher 53 Prozent des BIP, 43 Prozent der industriellen Produktion und 34 Prozent der Agrarproduktion erwirtschaftet und über die Schwarzmeerhäfen 50 Prozent der Exporte abgewickelt.


"Schon jetzt sehen wir, dass es aufgrund der Sanktionen in vielen Bereichen zu Problemen mit den Lieferketten kommt. Das und der Rückzug vieler westlicher Firmen, beispielsweise in der Autoindustrie, trifft die industrielle Produktion ins Mark", so Astrov. Das kriegsführende Russland sei mit einem Wirtschaftseinbruch von 9 bis 15 Prozent konfrontiert sowie mit einer Inflation von 20 bis 28 Prozent. Das würde die Haushaltseinkommen und somit den privaten Konsum weiter reduzieren und die Krise verschärfen. Ein Energieembargo würde nur mittelfristig die Finanzierung des Krieges gefährden, so Astov, "da die russische Regierung über Reserven und fiskalischen Spielraum verfügt". 


Die Folgen für die Länder Ost- und Südosteuropas seien überschaubar, so das wiiw. Der Krieg führt zwar zu höheren Lebensmittel- und Energiepreisen, das BIP würde bei den EU-11 jedoch etwa 3 Prozent betragen, in den sechs Westbalkanländern 3,1 Prozent und in der Türkei 2,7 Prozent. Im Fall eines Energieembargos würden auch diese Wirtschaftsräume empfindlich reagieren. "Sollte es dazu kommen, wird die Inflationsrate in fast allen Ländern Mittel-, Ost- und Südosteuropas zweistellig ausfallen", konstatiert Vasily Astrov. In der Türkei würde sie auch ohne Krisenszenario 55 Prozent betragen.