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"Geldpolitik kann nicht untätig zuschauen"

Von Karl Leban

Wirtschaft

Euro-Inflation auf Rekordhoch: "Müssen zügig handeln", sagt EZB-Direktorin Schnabel. Zinswende wohl im Juli.


Im April hat sich der rasante Anstieg der Verbraucherpreise fortgesetzt. Durch die kräftigen Teuerungsschübe bei Energie stieg die Inflationsrate im Euroraum mit durchschnittlich 7,5 Prozent auf ein neues Rekordhoch. "In Europa gibt es kaum noch Länder, in denen die Preissteigerung unter 6 Prozent liegt", erklärt Markus Dürnberger, ein Asset-Manager des Bankhauses Spängler. "Auch die Kerninflation - die Preisentwicklung ohne Lebensmittel- und Energiekosten - liegt mit 3,5 Prozent bereits deutlich über der von der EZB ausgegebenen Zielmarke von 2 Prozent." Aus Dürnbergers Sicht setzt dies Europas Währungshüter "noch stärker unter Druck, an der Zinsschraube zu drehen".

In der EZB, der Europäischen Zentralbank, hat man die Zeichen der Zeit nach vielen Monaten des Zuwartens inzwischen offenbar erkannt. Jedenfalls mehren sich dort die Rufe nach einer baldigen Zinswende.

Auch EZB-Direktorin Isabel Schnabel zählt zum Kreis jener Notenbanker, die sich angesichts der massiven Teuerungswelle nunmehr dafür aussprechen, "zügig und entschlossen zu handeln, um die Preisstabilität mittelfristig zu sichern". Nur so könne man "die weitaus höheren Kosten eines zu späten Handelns vermeiden". Das betonte Schnabel Mittwochnachmittag bei einer Festveranstaltung in der Nationalbank zum 50-Jahr-Jubiläum der Österreichischen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (ÖVFA). Wenige Tage zuvor hatte Schnabel in der deutschen Zeitung "Die Welt" für eine erste Zinserhöhung im Juli plädiert.

Gebot der Preisstabilität

"Die Tatsache, dass die heutige Inflation zu einem großen Teil ein globales Phänomen ist, entbindet uns nicht von der Verantwortung, darauf zu reagieren", sagte die deutsche Notenbankerin bei ihrem Gastvortrag in Wien. Die Globalisierung der Inflation bedeute demnach "nicht, dass die Geldpolitik untätig zuschauen kann". Gerade in einem Umfeld anhaltender globaler Preisschocks sei es für die Geldpolitik "besonders wichtig, die mittelfristigen Inflationserwartungen fest zu verankern". Und da die Gefahr wachse, dass sich die aktuell hohe Inflation in den Erwartungen der Menschen verfestige, sei es "nur noch dringlicher, dass die Geldpolitik handelt, um die Preisstabilität zu wahren und um sicherzustellen, dass die Inflation mittelfristig zu unserem Zielwert von 2 Prozent zurückkehrt", gab Schnabel zu bedenken.

"Große Bedeutung" für die inländische Inflation misst die 50-jährige Finanzmarktökonomin dem "Verhältnis von globaler Nachfrage und globalem Angebot" bei. Vor der Corona-Pandemie habe die Integration vieler großer Schwellenländer in globale Wertschöpfungsketten zu einem "beispiellosen Anstieg der globalen Produktionskapazität" geführt, das habe den Inflationsdruck verringert. "Heute jedoch übersteigt die weltweite Nachfrage das globale Angebot und übt einen anhaltenden Aufwärtsdruck auf die Konsumentenpreise aus", erklärte Schnabel in ihrem Vortrag über die Globalisierung der Inflation.

Mit Blick auf die jüngsten Energiepreisschocks hielt die EZB-Direktorin zudem fest, dass es vom makroökonomischen Umfeld abhänge, ob diese in weiterer Folge zu einem breiten Preisschub führen. Dazu brauche es ein Umfeld mit einer starken Nachfrage und auch einer starken Preissetzungsmacht der Unternehmen. "In einer Situation, wie wir sie heute antreffen, können Firmen gestiegene Kosten in Form höherer Exportpreise weitergeben und damit einen negativen Terms-of-Trade-Schock abfedern", analysierte Schnabel. Der englische Begriff Terms of Trade bezeichnet die Austauschverhältnisse im internationalen Handel und die Beziehung zwischen den durchschnittlichen Export- und Importpreisen eines Landes oder einer Gruppe von Ländern.

"Verbraucher tragen Hauptlast"

Was Schnabel ebenfalls hervorhob: "Änderungen in der globalen Kapazitätsauslastung können Auswirkungen nicht nur auf die Einkommensverteilung zwischen den Volkswirtschaften haben, sondern auch innerhalb der Länder." Im vergangenen Jahr hätten viele Firmen im Euroraum von dem starken Preisanstieg profitiert und ihre Gewinne weiter ausbauen können. "Das trug dazu bei, dass die Verbraucher - und nicht die Eigentümer der Unternehmen - die Hauptlast des Inflationsschocks getragen haben", sagte die Notenbankerin.

Schnabel sprach auch von Hinweisen auf eine globale Synchronisierung des jüngsten Anstiegs der Inflation. Beiderseits des Atlantiks sei der Preisdruck derzeit ähnlich hoch. Zu tun habe dies unter anderem auch damit, dass es in der Corona-Krise sowohl in der Eurozone als auch in den USA zu einer enormen Anhäufung von Finanzvermögen und zu Überschussersparnissen gekommen sei, erklärte Schnabel. Angesichts der Zunahme globaler Einflüsse auf das Inflationsgeschehen sei sie jedenfalls überzeugt, dass "die feste Verankerung der Inflationserwartung an unserem Zielwert von 2 Prozent an Bedeutung noch gewonnen hat".

Drei Zinserhöhungen heuer?

Aller Voraussicht nach wird die EZB die Zinswende, die in den USA, Großbritannien und vielen anderen Ländern längst eingeleitet ist, im Juli - wie von Schnabel und kürzlich etwa auch von EZB-Ratsmitglied Olli Rehn, dem deutschen Bundesbankchef Joachim Nagel und EZB-Direktor Frank Elderson befürwortet - auf den Weg bringen. EZB-Chefin Christine Lagarde signalisierte zuletzt bereits, dass die Zentralbank ihre Anleihenkäufe zu Beginn des dritten Quartals beenden und eine erste Zinserhöhung "einige Wochen später" praktisch auf dem Fuß folgen könnte.

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Mit null liegt der Leitzins im Währungsraum aktuell auf einem Rekordtiefstand. Erhöhungen des Leitzinses würden Kredite verteuern und die Nachfrage bremsen, das würde die Inflationsrate senken, aber auch das Wirtschaftswachstum schwächen. Österreichs Notenbankchef Robert Holzmann hält heuer bis zu drei Zinserhöhungen für möglich.