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Davos und die Polykrise

Von Thomas Seifert aus Davos

Wirtschaft
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj meldete sich mit einer Videoansprache zu Wort.
© reuters / Wiegmann

Der Krieg in der Ukraine hat gleich vier Krisen befeuert: Energiekrise, Klimakrise, Lebensmittelkrise und Inflation. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos sucht man Auswege aus dem Krisenquartett.


Aus Russland sind keine VIPs unter den insgesamt 2.500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Weltwirtschaftsforums in Davos, das Russia House, in das in den vergangenen Jahren russische Geschäftsleute zum abendlichen Networking geladen haben, wurde zum "Russia War Crimes House" umfunktioniert: Hier wird auf russische Kriegsverbrechen in der Ukraine hingewiesen.

Seit dem 24. Februar, dem Tag des Beginns des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, ist eben nichts mehr, wie es vorher war - auch nicht in Davos.

Die Debatten zum Start des Weltwirtschaftsforums am Montag nehmen auch allesamt Bezug auf den Krieg in der Ukraine - bei einer Podiumsdiskussion warnt der Chef der Internationalen Energieagentur (IEA), Fatih Birol, davor, die Energiewende angesichts der kriegsbedingt drohenden Energiekrise zu verschleppen. "Wir brauchen mittelfristig weiter fossile Brennstoffe, aber wir sollten nicht unsere Zukunft an fossile Energieträger ketten."

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Die Gaskrise solle nicht als Ausrede für weitere Investitionen in fossile Energiequellen dienen, "mit Blick auf die Zeitleiste macht das ohnehin keinen Sinn und funktioniert auch aus moralischen Gründen nicht", sagte Birol. Mit vernünftigen Investitionen in erneuerbare Energieträger und in Atomenergie gebe es Alternativen zu Energieknappheit einerseits und einem sich weiter beschleunigenden Klimawandel andererseits, sagte der IEA-Chef in Davos.

Bereits in den vergangenen Jahren hatten die IEA Investoren davor gewarnt, weiter Geld in die Erschließung neuer Öl-, Gas- und Kohlelagerstätten zu stecken - widrigenfalls sei das Ziel, bis Mitte des Jahrhunderts kein Kohledioxid mehr zu emittieren, nicht erreichbar.

Robert Habeck warnt vor globaler Rezession

Der deutsche Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen sprach das Krisenquartett, mit dem die Weltgemeinschaft derzeit konfrontiert sei, an: Hohe Inflation, Energiekrise, Lebensmittelmangel und Klimakrise hätten sich durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine weiter zugespitzt. "Wir können die Probleme nicht lösen, wenn wir uns nur auf eins der Probleme konzentrieren. Wenn keines der Probleme gelöst wird, dann fürchte ich, werden wir eine globale Rezession erleben - mit gewaltigen Auswirkungen nicht nur auf das Klima, den Klimaschutz, sondern auf die weltweite Stabilität", sagte Habeck.

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Weil die Häfen der Ukraine blockiert sind und Lebensmittellieferungen aus der Ukraine nicht auf die Weltmärkte gelangen können, drohe eine Hungerkrise. Habeck mahnte bei der Lösung der Krisen zur weltweiten Zusammenarbeit: "Wenn wir nur an uns denken, unsere Energie- und unsere Lebensmittelversorgung, hat das verhängnisvolle Folgen für die Gesamtmärkte."

Ukraine House an der Promenade in Davos während des World Economic Forum.
© Thomas Seifert

Um die Russische Föderation weiter unter Druck zu setzen, sprach Habeck sich für ein europaweites Öl-Embargo gegen Russland aus: Dabei sieht der deutsche Wirtschaftsminister die EU-Kommission am Zug. Gleichzeitig sagte er, er erkenne an, dass die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten sich in unterschiedlichen Ausgangssituationen befinden. "Da müssen wir aufpassen, dass wir nicht alle Regeln gleichermaßen auf alle anwenden und dabei nicht sehen, in welch schwieriger Lage einige Länder sind", so Habeck.

Selenskyj fordert "maximale" Sanktionen gegen Russland

"Aber ich erwarte von allen - auch von Ungarn -, dass sie darauf hinarbeiten, damit wir eine gemeinsame Lösung finden und nicht sagen: ‚Wir bekommen eine Ausnahme, dann lehnen wir uns zurück und bauen unsere Partnerschaft mit Putin weiter aus‘." Habeck sagte, er sei aber zuversichtlich, dass die EU eine gemeinsame Linie finden werde, zeigte sich aber zugleich enttäuscht darüber, dass die Einführung des Öl-Embargos so lange dauere.

Nach dieser Podiumsdiskussion meldete sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mit einer Videoansprache zu Wort: Die internationale Staatengemeinschaft müsse mit "maximalen" Sanktionen gegen Russland auf den Plan treten, es dürfe überhaupt keinen Handel mit Russland mehr geben und die Finanz-Sanktionen müssten auf alle russischen Banken ausgeweitet werden.

Selenskyj bedankte sich in seiner Videobotschaft für die internationale Unterstützung der Ukraine und lud die Unternehmensvertreter ein, sich nach dem Ende des Krieges an Wiederaufbauprogrammen der zerstörten ukrainischen Städte zu beteiligen. Finanziert werden könnten diese Wiederaufbauprogramme mit eingefrorenen russischen Geldern, schlug Selenskyj vor.

Der ukrainische Premierminister Denys Schmyhal hatte Anfang Mai die Wiederaufbaukosten mit rund 600 Milliarden US-Dollar angegeben. Die Ukraine würde rund vier bis fünf Milliarden Dollar pro Monat benötigen, sagte Schmyhal damals beim Frühlingstreffen von Weltbank und Währungsfonds in Washington.

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Längerfristig - davon war auch in Davos die Rede - würde die Ukraine einen Marshall-Plan des 21. Jahrhunderts benötigen. Nach dem Zweiten Weltkrieg halfen die USA dem verwüsteten europäischen Kontinent wieder auf die Beine. Mit einer ähnlichen Wiederaufbaustrategie soll nach dem Krieg auch eine neue Ukraine aus den Trümmern wiederauferstehen.