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Die Fallen des EU-Notfallplans

Von Bernd Vasari

Wirtschaft

Die EU-Kommission will sich für einen Gasausfall im Herbst rüsten, kann aber den Mitgliedstaaten nichts anschaffen.


Am Donnerstag könnte wieder Gas über die Nord-Stream-Pipelines von Russland in die EU fließen. Das geht zumindest aus den Daten des deutschen Netzbetreibers Gascade hervor. Gascade ist Betreiber der beiden Empfangspunkte von Nord Stream 1 im vorpommerschen Lubmin. Für beide Punkte sind Gaslieferungen vorgemerkt.

Es seien zirka 800 Gigawattstunden für Donnerstag angemeldet, teilte die deutsche Bundesnetzagentur am Mittwoch mit. Zum Vergleich: An den drei Tagen vor den Wartungsarbeiten waren es etwa 700 Gigawattstunden.

Doch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist weniger optimistisch. Sie hält einen kompletten Lieferstopp von Gas aus Russland für wahrscheinlich. "Wir müssen uns auf eine mögliche vollständige Unterbrechung der russischen Gasversorgung vorbereiten", sagt sie. "Dies ist ein wahrscheinliches Szenario." Man habe schon in der Vergangenheit gesehen, dass Russland versuche, Druck auf die EU auszuüben, indem es die Gasversorgung reduziert.

Um ein derartiges Szenario abzufedern, präsentierte die EU-Kommission nun einen Notfallplan:

  • Was sieht der EU-Notfallplan vor?

Die Mitgliedsstaaten sollen 15 Prozent ihres durchschnittlichen Gasverbrauchs der letzten 5 Jahre in den kommenden Monaten verringern. Zudem sollen die Staaten ihre Notfallpläne bis Ende September aktualisieren. Der öffentliche Sektor, Unternehmen und Haushalte sollen aufgefordert werden, den Gasverbrauch zu reduzieren. Generell gibt es für den Fall einer Gasnotlage bereits einheitliche Regeln in der EU, die in der "SoS-Verordnung" verankert sind. Österreich hat diese bereits 2019 umgesetzt. Die Vorgaben sind freiwillig, könnten aber im Fall einer Versorgungsnotlage obligatorisch gemacht werden, heißt es. Die EU-Staaten müssen dem Vorhaben noch zustimmen. Voraussetzung für die Einführung von verpflichtenden Einsparzielen wäre, dass mindestens drei Staaten oder die EU-Kommission wegen einer Unterversorgung mit Gas akute Notsituationen befürchten.

  • Kann die EU den Plan in allen Mitgliedsstaaten durchsetzen?

Laut dem Artikel 194 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) kann die EU gesetzgeberisch tätig werden. Eine Einstimmigkeit ist dafür nicht notwendig. Verfassungsexperte Peter Bußjäger verweist aber auf Absatz 2 im Artikel 194: "Diese Maßnahmen (...) berühren nicht das Recht eines Mitgliedstaats, die Bedingungen für die Nutzung seiner Energieressourcen, seine Wahl zwischen verschiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur seiner Energieversorgung zu bestimmen." Laut Bußjäger sei daher nicht eindeutig, wie weit das Durchgriffsrecht der EU reicht. Für die Wahl der unterschiedlichen Energiequellen brauche es zudem laut Artikel 192, Absatz 2 ein Einstimmigkeitsverfahren der Mitgliedsstaaten. Das heißt: Wenn nicht alle mitmachen, kann die EU gar nichts tun.

© M. Hirsch
  • Ab wann ruft Österreich die Alarmstufe aus?

Das hängt davon ab, ob die heimischen Gasspeicher bis 1. November zu 80 Prozent gefüllt werden können. Sollte zu wenig Gas nach Österreich fließen, würde die Alarmstufe ausgerufen werden. So ein Fall könnte eintreten, wenn die russischen Gaslieferungen über Nord-Stream-1 auch nach der Wartung ausbleiben. Derzeit sind die heimischen Speicher mit mehr als 50 Prozent gefüllt.

  • Kann Österreich auf das in Österreich gespeicherte Gas zugreifen?

Österreich könnte im Notfall auf alle in Österreich gespeicherten Gasmengen zugreifen und somit ihre Besitzer enteignen. Das könne per Verordnung mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Hauptausschuss des Nationalrates erfolgen, sagt Energieministerin Leonore Gewessler. "Sinnvoll finde ich das aber nicht", sagt sie. "In einem ersten Schritt" werde man "darauf schauen müssen, dass wir unsere europäischen Verpflichtungen erfüllen". So hätten auch österreichische Unternehmen Gas in der Slowakei, in Ungarn und in Deutschland eingespeichert.