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Europas Stromversorgung wegen Dürre in Gefahr

Wirtschaft

Das Niedrigwasser der Flüsse droht auch Schiffstransporte lahmzulegen - mit drastischen Folgen.


Die anhaltende Dürre in Europa gefährdet die Stromversorgung des Kontinents. Der Grund: Infolge der austrocknenden Flüsse fallen Atom- und Wasserkraftwerke aus, außerdem besteht das Risiko, dass Kohlekraftwerke nicht mehr versorgt werden können. Groß sind die Sorgen vor allem in Deutschland, dessen Wirtschaft für die Konjunktur in Österreich als besonders wichtig gilt. "Es ist möglich, dass wir in Deutschland vor einer Gasknappheit noch eine Stromknappheit bekommen", zitiert das "Handelsblatt" Alexander Weiss, den Leiter der globalen Energieberatung von McKinsey.

Auch der Verbund, der größte österreichische Stromproduzent, bekommt die Trockenheit derzeit zu spüren. Im Zusammenhang mit seinen Flusskraftwerken verweist er auf geringere Wassermengen. Aktuell werde um 14 Prozent weniger Strom erzeugt als im langjährigen Durchschnitt, sagte eine Sprecherin des teilstaatlichen Energiekonzerns der Austria Presse Agentur. Auch deshalb sei eine Diversifizierung der österreichischen Stromerzeugung hin zu mehr Photovoltaik und Windkraft sinnvoll, wie sie hinzufügte.

Dass die Lauf- und Schwellwasserkraftwerke in Österreich aktuell weniger zur Stromdeckung beitragen, zeigt sich auch in den Daten des Übertragungsnetzbetreibers APG. So lieferten sie beispielsweise am Montag durchschnittlich rund 2.400 Megawatt an Leistung. Zum Vergleich: Am 15. August 2021 waren es im Tagesschnitt mehr als 3.400 MW gewesen.

Anders als in Österreich, wo die niedrigen Pegelstände von Flüssen wie der Donau zum Teil noch durch Wasser von den Gletschern kompensiert werden, scheint die Lage in Deutschland hingegen nicht unproblematisch zu sein. "Es kommen alle denkbaren Faktoren zusammen, die für das Stromerzeugungssystem in Summe eine immense Belastung darstellen", so McKinsey-Experte Weiss laut "Handelsblatt". Lastabwürfe seien nicht unwahrscheinlich. Gemeint ist eine Situation, in der etwa größere Stromabnehmer aus der Industrie vom Netz abgetrennt werden müssen, um Stromausfälle zu verhindern.

Bereits jetzt führen die Knappheiten dazu, dass mehr Strom aus Gas produziert wird. Im Juli haben deutsche Gaskraftwerke 13 Prozent mehr Strom erzeugt als im Juli des vergangenen Jahres. Für August sind es bisher 24 Prozent mehr.

Industrie schlägt Alarm

Die niedrigen Pegelstände vieler Flüsse in Europa gefährden freilich auch die Transportwirtschaft auf den Wasserstraßen. Die deutsche Industrie etwa schlägt deshalb bereits Alarm. "Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Anlagen in der chemischen oder Stahlindustrie abgeschaltet werden, Mineralöle und Baustoffe ihr Ziel nicht erreichen oder Großraum- und Schwertransporte nicht mehr durchgeführt werden können", sagte am Dienstag Holger Lösch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie.

Die Folge wären Lieferengpässe, Produktionsdrosselungen oder -stillstände und Kurzarbeit. Die anhaltende Trockenperiode und das Niedrigwasser würden die Versorgungssicherheit der Industrie bedrohen, so Lösch. "Die Unternehmen stellen sich auf das Schlimmste ein. Die ohnehin angespannte wirtschaftliche Lage in den Unternehmen verschärft sich."

Durch das enorme Niedrigwasser, das massive Transportengpässe nach sich zu ziehen droht, sieht Lösch aber auch "die politischen Pläne, angesichts der Gaskrise vorübergehend stärker auf Kohle zu setzen, durchkreuzt". Neben dem Kohletransport hängt auch die Kraftstoffversorgung vom Transport über Wasserstraßen ab."

Mit Blick auf die Trockenheit, die als eine Folge der Klimakrise gilt, sehen Wissenschafter vorerst keine Entspannung. Zwar sei in den nächsten zehn Tagen in vielen Regionen Europas Regen zu erwarten, sagte Andrea Toreti vom European Drought Observatory der EU-Kommission. "Die langfristige Vorhersage für die nächsten drei Monate deutet jedoch immer noch auf trockenere Bedingungen als üblich hin." Der Hydrologe Fred Hattermann vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) weist darauf hin, dass die trockenste Zeit des Jahres in der Regel erst ab September beginnt. (kle)